Das Oldenburger Wunderhorn

Reflexionen 10

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Denk mal an der Grafen

Der Staatsbürger  –  Der Graf als Heimatgestalt –  Grafengeschichte(n) –  Kunstfragen –  Andere Grafenzeugnisse
  –  Ein historisches Detail
–  Denkmalnutzung –  Die Standortfrage –  (noch eine Idee) –  (Artikel als Pdf-Datei)

Interpretation von Geschichte und ihre offizielle Darstellung sind auch in Oldenburg von grundlegendem Interesse und
darum immer wieder einmal Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen. Seit letztem Jahr geht es um die Frage, ob ein der Stadt als Geschenk angetragenes Graf Anton Günther-Reiterdenkmal öffentlich aufgestellt werden soll. Der Verfasser vertritt die Ansicht, dass ein solches Denkmal, wenn es kulturwissenschaftlich eingebettet wird, der Vermittlung regionaler Geschichte dienen kann und insofern nützlich wäre.
                                                   

Zugegeben, der Verfasser selbst hatte einige Zeit überhaupt nicht an Oldenburger Geschichtsthemen gedacht, da er seine ganze Aufmerksamkeit einer befristeten Beschäftigung im Schuldienst widmen musste. Mit reichhaltiger pädagogischer Erfahrung im Gepäck will man sich nun vorrangig wieder dem „Geschichtsdienst“ zuwenden – und trifft in der Stadt Oldenburg auf eine komplexe (perplexe) Diskussion, in der sich viele Menschen über das Für und Wider, das Wie und Wo eines eventuell aufzustellenden Denkmals für den Oldenburger Grafen Anton Günther auseinandersetzen; diesen letzten der mittelalterlichen Grafenlinie, nach dessen Tode 1667 das Land Oldenburg erbschaftsweise an die dänische Krone fiel, ehe es 1773 wieder einen eigenen Regenten aus einer Nebenlinie derselben Familie bekam, die bis 1918 an der Herrschaft blieb.
Das Denkmal, gemäß Zeitungsfotos ein etwas überlebensgroßer realistischer Bronzeguss mit dem Barock-Grafen auf seinem Pferd „Kranich“, ist von einer Gruppe um den früheren Niedersächsischen Landtagspräsidenten und ehemaligen Oldenburger Oberbürgermeister Horst Milde privat in Auftrag gegeben, vom inzwischen verstorbenen Oldenburger Unternehmer Klaus Dirks bezahlt und im Sommer 2011 der Stadt zum Geschenk angeboten worden. Nach Vorschlag der Stiftergruppe solle das Denkmal einen Platz beim Oldenburger Schloss bekommen, dem einstigen Grafensitz. Vertreter aus Wissenschaft und Kunst und dann auch der Stadtleitung haben das Geschenk aber abgelehnt, mit der Begründung, die Art der Darstellung sei nicht zeitgemäß. Abschlägig äußerten sich auch von Milde angerufene hochrangige Landesvertreter. Aus der Oldenburger Bevölkerung kommen unterschiedliche Stimmen, wobei die Befürworter in der Mehrzahl zu sein scheinen. Details zum Thema können in den Medien, v.a. in der Presse verfolgt werden.
Ob leidenschaftliche Befürworter oder Gegner, gleichgültig ist den Beteiligten die Oldenburger Geschichte sowie die Stadtgestaltung keinesfalls. Da das auch für den Verfasser gilt, möchte dieser hier eigene Gedanken zum Grafen-Denkmal nachtragen.

Die Debatte um das Grafen-Denkmal sorgt für Schlagzeilen. Foto: Martin Teller, 15.2.2012.
 

Der Staatsbürger

Horst Milde ist ein überaus freundlicher und durchweg geschätzter und geehrter Mann. Im Laufe seines politischen Lebensweges hat er sich als Mitglied einer alten demokratischen Partei intensiv für die res publica im Allgemeinen und für Oldenburger Belange im Besonderen eingesetzt. Man wünscht sich, Derartiges am Ende ihrer Laufbahn über mehr Politiker, über mehr Bürger sagen zu können.
Noch als Pensionär engagiert er sich stark in gesellschaftsrelevanten Bereichen, was in einem Alter wie seinem noch immer ungewöhnlich ist. Der Herr wird im April 2012 neunundsiebzig. Sicher hat jeder einzelne von uns für sein offizielles Handeln auch persönliche Gründe. Der Journalist Felix Zimmermann hat durchaus respektvoll Mildes biographischen Antrieb erkundet, wonach dessen Denkmal-Engagement als Entgegenwirken traumatischer Erinnerung an den Verlust von Heimat zu verstehen sei (externer Link: www.Oldenburger-Lokalteil.de).
Milde gehört zu den Heimatvertriebenen des II. Weltkriegs, was in der Tat seinen früheren Einsatz für ein Vertriebenendenkmal in Oldenburg erklärt. Dabei hat er die Erfahrung machen müssen, nachdem er sich mit Kritikern über Gestalt und Standort jenes Denkmals ausgetauscht und sich letztlich flexibel in beidem gezeigt hat, dass die Aufstellung noch ganz zuletzt, als eine Kompromissversion des Denkmals bereits fertiggestellt war, am mangelnden Gestaltungswillen der Politik scheiterte, sich eines mehrschichtigen Geschichtsthemas anzunehmen. Gremien können ein gutes Beratungsinstrument sein, sie können aber auch demokratisch zumeist bestens legitimiert alles zerreden.
Aufgrund dieser Erfahrung ist Mildes jetziger weitgehender Alleingang nur allzu verständlich. Geradezu beeindruckend ist die Kühnheit dieses alten Herren, der eindeutig nicht der Geht-Nicht-Fraktion angehört, diesmal seiner Stadt eine bereits fertige Lösung für ein Anton Günther-Denkmal zu präsentieren, das seit ersten Vorschlägen in den Jahren 1840 und 1844 nicht realisiert worden ist (s. dazu H. Schmidt: Graf Anton Günther und das oldenburgische Geschichtsbewußtsein, Old. Jb. Bd. 84). Ein Politiker weiß trotzdem, dass es dem Erfolg einer Sache dienlich sein kann, Andere vorab einzubeziehen. Das muss man zwar nicht immer tun, es hängt von der Situation ab. Hilfreich wäre hier aber z.B. der Rat von Museumsfachleuten, die zur Gestaltung des landesgeschichtlichen Charakters einer Grafendarstellung gewiss mehr beitragen können als ein nachträgliches Njet.

Der Graf als Heimatgestalt

Mildes Vorstoß für den in der Bevölkerung bekanntesten und (deshalb?) beliebtesten Oldenburger Grafen trifft bei ihr wohl darum auf recht große Gegenliebe, weil dieser auch dort das Gefühl von Heimat bedient bzw. das einer wie auch immer gearteten alten Zeit, die aus heutiger global verunsicherter Sicht noch begreiflich und überschaubar schien (was an Quellenmangel liegen könnte).
Nun hängt von – geschichtlich und weltweit betrachtet keineswegs selbstverständlicher – Heimatgeborgenheit allein das Wohlbefinden nicht ab. Noch Grundlegenderes wie Gesundheit, Sicherung der Grundbedürfnisse Nahrung/Kleidung/Wohnung und Lebensperspektive durch gesichertes Einkommen stehen ihr voran. Bei den meisten Diskutanten sind diese Voraussetzungen glücklicherweise gegeben, dennoch ist der Wunsch nach einer geschichtsindividuell gestalteten Heimat ein Aspekt, der durchaus Berücksichtigung verdient. Wenn an die spezielle Geschichte Oldenburgs im Stadtbild durch entsprechend spezielle historische Überreste und Denkmäler erinnert wird, dient das der Identifikation der Einwohner mit ihrer Stadt und schärft deren Profil im Vergleich mit anderen Städten. Da nun der frühneuzeitliche Graf im Heimatbild vieler Bürger als ein eindeutiges Symbol ihrer Stadt und Region betrachtet wird, taugt er auch heute noch als (kritisch zu hinterfragender) „Botschafter“ derselben, weshalb er eben von der Stadt bereits als weicher Standortfaktor genutzt wird, mit dem sich etwa beim Kramermarktsumzug oder als „Stadtführer“ Stadtmarketing betreiben lässt. Eine offiziell aufgestellte Grafenfigur könnte diesen Wiedererkennungswert noch verstärken, wie jeder moderne Standortpolitiker bedenken wird. Jeder Geschichtsgelehrte wiederum könnte das dahinterstehende manchmal aber noch diffuse Interesse der Bevölkerung an Regionalgeschichte als Steilvorlage für historische Aufklärung nutzen, indem er die Menschen dort abholt, wo sie stehen – mitunter vor einem geschichtlichen Denkmal.

Grafengeschichte(n)

Wer etwas Geschichtserfahrung hat, weiß natürlich: Was vor über 170 Jahren vorgeschlagen wurde, muss heute nicht mehr unbedingt auf der Agenda stehen. Es kann dies aber noch tun, auch unter geänderten Zeitumständen, wenn man die Betrachtungsweise darauf ändert.
Das Mitte des 19. Jahrhunderts vorgeschlagene Grafendenkmal, hauptsächlich mit missverstandenen angeblichen Verdiensten des Grafen als Förderer des Volkes begründet, war zunächst einmal eindeutig als Objekt der Herrscherverehrung gedacht. Solch eine Intention passte noch zum Empfinden vieler wenn auch nicht mehr aller Zeitgenossen der Monarchie, in einer Demokratie wäre sie wahrlich nicht mehr zeitgemäß, was Manche entsprechend dem angebotenen Standbild vorwerfen. Man kann das geplante Denkmal von 1844 aber auch unter Einbettung in die damalige Kulturepoche gemäß entsprechender Hinweise seiner Unterstützer als ein Symbol friedlicher Heimat interpretieren, eine Erinnerung an die im Oldenburger Land verhältnismäßig glimpflich überstandenen schweren Zeiten des 30jährigen Krieges, mithin als Ausdruck bürgerlicher Sehnsucht nach Ruhe vor zerstörerischen Kriegen. Denn Mitte des 19. Jahrhunderts dürfte gerade die Erinnerung an die napoleonischen Kriegswirren noch sehr präsent gewesen sein. Diese mittlere Zeit des 19. Jahrhunderts ist schließlich eine ganz andere als die des zweiten Deutschen Reiches nach 1871 mit seinem preußischen Militarismus. War das damalige Grafendenkmal bewusst oder unbewusst als beschauliche Oldenburg-Nabelschau gedacht, als Gegenstand eines Spitzweg-Biedermeier? Auch so etwas möchte man als psychologisch nicht passend für die gegenwärtige Moderne bezeichnen, zögert angesichts erst in Gang kommender Auswirkungen der globalen Finanzvernetzung aber doch mit einem zu schnellen Urteil.
Wir können derartige Intentionen damaliger Denkmalbefürworter im Wesentlichen nur aus ihrer Zeit ableiten, können unsererseits aber dem Anton Günther-Denkmal einen innewohnenden Friedensaspekt nicht grundsätzlich absprechen. Nur weil sich der unkriegerische Graf zu Lebzeiten selbst als Friedensfürst verherrlichen ließ, bedeutet das nicht, dass die Sache im Kern historisch falsch wäre. Friedenspolitik ist heute aktuell wie eh und je, und an einen zwar absolutistischen Herrscher zu erinnern, der aber seine Machtmittel dafür einsetzte, Untertanen und Land nicht im Krieg verheeren zu lassen, sollte heutigen demokratisch-souveränen Oldenburgern jederzeit möglich sein.

Es wäre ein Irrtum, ein heutiges Grafen-Denkmal als Ausdruck romantisierender oder gar politischer monarchischer Gesinnung zu deuten, selbst wenn die bronzene Grafenpose des Denkmals der aus etlichen Abbildungen sehr bekannten landesherrlichen Herrschaftsgeste Anton Günthers zu Pferd gleichkommt. Abgesehen vielleicht von manchen Illustrierten-Träumen Einzelner spielt unreflektierte Fürstenverehrung im gesellschaftlichen Bewusstsein keine ausschlaggebende Rolle mehr. Nicht zuletzt weil sich die kollektive Erinnerung sehr bewusst ist, dass in einer Monarchie jemand wie Kaiser Wilhelm II. an die Macht kommen kann, der seiner verantwortungsvollen Aufgabe überhaupt nicht gewachsen war. So etwas kann zwar auch im heutigen System geschehen, doch demokratisch gewählte Funktionsträger sind an Amtszeiten und mehrheitlichen Konsens gebunden, was Revolutionen in Volldemokratien bislang jedenfalls überflüssig gemacht hat. Dem Verfasser möge allerdings die persönliche Randbemerkung gestattet sein, dass jemand mit wesentlichen Verdiensten um die Oldenburger Geschichtswissenschaft unter einem regierenden Großherzog, also in einer Monarchie, sicherlich nicht um eine dauerhaft existenzsichernde Anstellung hätte bangen müssen, während dies in einer Demokratie der Fall sein kann.
Wer aber seine demokratische Grundeinstellung beim bloßen Anblick eines geschichtlichen Grafen-Denkmals gefährdet sieht, sollte vielleicht einmal seine eigene Demokratiefestigkeit hinterfragen. (Das gleiche gilt zuweilen für bauliche Hinterlassenschaften der Nazis, die Manche als zeitgeschichtliche Denkmäler ansehen und aus historisch-didaktischen sowie architektur- und kunstgeschichtlichen Gründen erhalten und wissenschaftlich bearbeiten wollen, während sich Andere an ihnen machtergreifend als Bilderstürmer betätigen.) So historisch verständlich antimonarchistische Reflexe sein mögen: In Europa und Deutschland gehören bürgerliche Kämpfe gegen die absolute Monarchie ins 18. bis frühe 20. Jahrhundert, im 21. Jahrhundert wird niemand mehr die Macht von Erbmonarchen und Adelsherrschaft zurückdrängen müssen (allenfalls noch die quasimonarchischer Autokraten), solange sich die Demokratie ihre rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen und damit ihre Demokraten erhält. Der Verfasser kann im angebotenen Anton Günther-Denkmal beim besten Willen keine politische Agitation für ein vordemokratisches System sehen, sondern nur eine geschichtliche Erinnerung an eine regional- und stadtgeschichtlich bedeutsame Persönlichkeit.

Kritische Stimmen weisen zu Recht darauf hin, Graf Anton Günthers Geschichtsrolle werde in der Bevölkerung oft zu verklärt gesehen, in jüngerer Zeit werde sie vor allem auf wenige Pferdegeschenke verkürzt, mit denen der Graf Oldenburg vor feindlichen Truppen gerettet habe. So liest man zum Beispiel: Anton Günther [...] besaß allein neun Gestüte und verstand es, durch geschickt platzierte Geschenke seiner begehrten Reitpferde an [den Kaiser und andere wichtige europäische Herrscher] sein Land aus dem Dreißigjährigen Krieg herauszuhalten. Den kaiserlichen Marschall Tilly, der 1623 mit seiner Armee schon bei Wardenburg lagerte, konnte er so mit einigen Oldenburger Hengsten beschwichtigen, daß er umkehrte und Stadt und Grafschaft ungeschoren ließ. (Bildband „Oldenburg“, H. J. Hansen, K. Rohmeier, Oldenburg [1987], S. 87.)
Oldenburger Pferdefreunde mögen stolz auf die Tradition als Pferdezuchtstandort sein und im Grafen den ideellen Begründer desselben sehen. Die beschwichtigende Wirkung Oldenburger Hengste wird indes so groß nicht gewesen sein, wären da nicht des Grafen geschickte diplomatische Verhandlungen in alle Richtungen, verbunden mit hohen Geldzahlungen, mit denen er die militärische Neutralität des Landes Oldenburg bei seinen Verhandlungspartnern erreichte bzw. laufend sicherte, was während des Krieges seiner Bevölkerung nicht alles aber immerhin viel Leid erspart hat.
Was den kaiserlichen Heerführer Tilly betrifft, dem es 1623 um raschen Truppendurchzug und nicht um die Plünderung der Grafschaft Oldenburg ging, war der von den Pferden kaum so hingerissen, dass er alles andere vergaß, wie es die verklärende Sage will. Die Pferde haben hauptsächlich den Charakter eines standesgemäßen diplomatischen Geschenkes, als automatisch funktionierende Bestechung dürfen sie nicht missverstanden werden. Denn sie waren sicher nicht allein ausschlaggebend für das Aufgeben des Durchzugsplanes, da Tilly seine Entscheidungen letztlich doch vor dem Kaiser militärisch-politisch zu rechtfertigen hatte; und Graf Anton Günther versicherte sich allseits diplomatischen Schutzes, auch und gerade durch den Kaiser, Tillys Herren. Trotzdem und entgegen seiner überbetonen Rolle als „Pferdediplomat“ konnte der Graf später nicht verhindern, dass 1627-31 doch noch kaiserliche Truppen in einigen Orten der Grafschaft außer in der Stadt Oldenburg selbst zwangsweise einquartiert wurden, was den Grafen viel Unterhalt kostete und die Landbevölkerung erheblichen Unannehmlichkeiten aussetzte, ohne insgesamt solch schlimme Züge anzunehmen wie in anderen Teilen des Deutschen Reiches. Einigermaßen glimpflich davongekommen zu sein verdankt Oldenburg allein diesem Grafen. Dies rechtfertigt in den Augen vieler eine wenn auch späte Würdigung durch die heutige Bevölkerung.

Man kann ein Denkmal dieses Grafen aber kaum mit der Begründung ablehnen, das öffentliche Bild von ihm sei einseitig (wie von den meisten historischen Gestalten), wenn man doch immer wieder die Möglichkeit hat, dieses Bild erläuternd zu ergänzen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass Menschen zunächst immer aus ihrer Zeit heraus und dann auch als individuelle Persönlichkeiten zu verstehen sind und nicht nach gegenwärtigen Maßstäben gemessen werden dürfen. Anton Günther begriff sich eindeutig nicht als „bürgernaher Herrscher“, was seine heutige Popularität in Teilen der Bürgerschaft vielleicht vergessen lässt, sondern als adeliger Landesherr von Gottes Gnaden, für den sein gesellschaftlicher Abstand zum Bürger- und zum Bauernstand Bestandteil göttlicher Ordnung war. Das Hauptaugenmerk seiner Herrschaftspolitik galt der Sicherung seiner gräflichen Steuerbasis, seinem standesgemäßen Leben, das Wohl der Bevölkerung hatte er nicht primär im Blick. Er setzte seine wirtschaftlichen Eigeninteressen daher über die seiner Landeskinder und auch über die der Bremer Nachbarn, wie die Durchsetzung des Weserzolls zu deren Lasten zeigt. Andererseits war er kein rücksichtsloser Gewaltherrscher, was gerade in seiner Zeit nicht selbstverständlich war, er kümmerte sich um die Ausstattung der Landeskirche ebenso wie um die Linderung materieller Not bedürftiger Untertanen. Der Graf war ein lebendiger Mensch mit Vorzügen und Fehlern. (S. dazu Friedrich-Wilhelm Schaer, Art. Graf Anton Günther, Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg, Oldenburg 1992, S. 37-40.)
Das alles sollten die heutigen Oldenburger wissen, genauso wie sie zu Recht nicht vergessen haben, dass der Graf in einer sehr kriegerischen Epoche den Frieden für sein Land dauerhaft zu wahren wusste, schließlich betrieb er aktive Neutralitätspolitik. Das zweifellos vor allem aus wirtschaftlichem Eigennutz, doch die Bevölkerung profitierte weitgehend von der Neutralität ihrer Grafschaft, in der die Lage längst nicht so schlecht war wie in den vielen kriegszerstörten Gebieten Deutschlands.
Dass Anton Günther ein absoluter Regent zur Zeit der Monarchie war, kann man ihm nicht vorwerfen, da er sich seine Lebenszeit und seinen gesellschaftlichen Stand kaum selbst ausgesucht haben dürfte und seinerzeit kein demokratisches Regierungsmodell als Alternative existierte. Er hat auch, um es überzubetonen, kein Nazi-Parteibuch im Keller und keine Parteispenden- oder Korruptionsaffäre am Hals gehabt. Man kann ihm aber seinen permanenten und insgesamt erfolgreichen Einsatz für Frieden im Lande und Schutz der Stadt Oldenburg zugute halten. Im Gegensatz zu so manchen seiner und unserer Zeitgenossen ist er damit durchaus denkmalwürdig.
Eine gute Möglichkeit, mit einem Anton Günther-Denkmal Geschichtswissen der Bevölkerung aktiv zu gestalten und die Verkürzung auf populäre Legenden einzudämmen, besteht darin, diesem eine Erklärungstafel beizufügen; so wie es in Museen allgemein üblich ist, Ausstellungsstücke mit wissenschaftlicher Beschreibung zu versehen. Darauf lässt sich darstellen, dass der Graf ein absolutistischer Herrscher seiner Zeit gewesen ist, vor allem eigenwirtschaftliche Interessen verfolgt und seine Untertanen patriarchalisch kurz gehalten hat, ihnen aber auch mit religiös fundierter Verantwortlichkeit begegnet ist und das Land Oldenburg nach Kräften aus dem 30jährigen Krieg herausgehalten hat – also keineswegs ein ausgesprochener „Bürgergraf“ war aber sicher mit mehr Umsicht und Milde regiert hat als so mancher seiner Vorgänger und Standesgenossen.

Kunstfragen

Das Bild des Grafen in der Bevölkerung scheint geradezu eisern auf die Zeichnung fixiert zu sein, in welcher er mit Grafenhut auf dem Kopf und Stab in der Hand auf seinem barock-langbehaarten Lieblingspferd reitet, weshalb ihn die Stiftergruppe wie selbstverständlich in ebendieser Pose wiederum in Metall, in Bronze gießen ließ. Es wäre gestalterische Überlegungen unter Geschichtsfachleuten wert gewesen, ob die bekannteste auch die ideale Darstellungsform ist. Der Verfasser selbst hat lange vor Beginn der aktuellen Diskussion ein Anton Günther-Denkmal grundsätzlich befürwortet und dabei ebenfalls die Form des zeitlosen Klassikers „Graf auf Kranich“ erwogen, weil sie der Bevölkerung am eingängigsten ist und man nicht erst lang erklären müsste, um wen es sich handelt, ehe man im Denkmalzusammenhang Oldenburger Geschichte erläutern könnte.
Alternativ, so der Verfasser damals, ließe sich Anton Günther prinzipiell „auch ‚zu Fuß’ in einem Denkmal darstellen, das der geschichtlichen Bedeutung des Grafen für Stadt und Land Oldenburg angemessen wäre“ – zumal Anton Günther zu Lebzeiten auch in dieser Weise abgebildet wurde. Selbst wenn er in unser „Erinnerung“ immer nur reitet, ist er doch gelegentlich zu Fuß gegangen, wie zeitgenössische Darstellungen seiner Person in Herrscherpose und als Privatmann zeigen. (Geschichte des Landes Oldenburg, 4. Auflage 1993, Abbildungen S. 176, S. 178.)
Trotzdem wäre ein Reiterstandbild gerade diesem Grafen angemessener; nicht nur, weil er Pferdezüchter und -liebhaber war, und nicht nur wegen der Geschichte mit den Pferdegeschenken, die zwar übergewichtet aber doch wahr sind. Sondern weil das Denkmal auf diese Weise wohl dem historisch-originalen Lebensgefühl Graf Anton Günthers am nächsten kommt, und seiner Zeit, in der sich ein Herrscher gerne offiziell zu Pferde präsentierte. Diese Tiere waren über ihre Funktion als alltägliches Last- und Verkehrsmittel hinaus bei entsprechendem Wert zugleich Status- und Herrschaftssymbol (wie heute Autos). Wer darin „Werbung für die Monarchie“ sieht, hat zwar die monarchische Herrschaftssymbolik dekodiert, blendet aber die eigentliche Intention – die geschichtsdarstellerische Funktion – eines solchen Denkmals aus, das einen bemerkenswerten Aspekt der Vergangenheit wiedergeben, nicht aber diese Vergangenheit in die politische Gegenwart übertragen will.
Insofern ginge auch die Annahme fehl, Reiterdenkmäler seien heute generell nicht mehr zeitgemäß. Menschen unserer Zeit oder jüngster Vergangenheit wird man in der Tat nur zu Pferde darstellen können, wenn dies einen besonderen Bezug zu ihrem Leben oder ihrer speziell zu ehrenden Leistung hat. Das trifft auch auf Anton Günther zu, doch bei seinem Denkmal geht es eben nicht um die heutige Zeit sondern um ein historisches Abbild einer vergangenen Epoche, um ein Geschichtsdenkmal. Eine Geschichtsdarstellung in Form einer historisch korrekt wiedergegebenen Persönlichkeit ohne beigefügte wertende Symbolik wie Friedenstauben, Füllhörner (für Wohlstand), Schriftzüge mit Vaterlandselogen und dergleichen wird schwerlich mit altertümlich-untertäniger Fürstenhuldigung gleichzusetzen sein, zumal wenn die Figur mit ausgewogenem Beitext kritisch begleitet wird. Vielmehr könnte solch ein anschaulich realistisches Denkmal ein didaktisch nutzbares Fenster in die Oldenburger Vergangenheit sein. Damit würde man en passant sogar diejenigen erreichen, die ein Museum nicht betreten und sich mit Geschichtsliteratur nicht beschäftigen mögen. Möglicherweise könnte ein Anton Günther-Denkmal aber dazu einladen, wenn sich 2017 der Todestag des Grafen zum 350ten Male jährt, was vielen Oldenburgern Anlass sein wird, sich einmal näher mit der Geschichte um den Grafen zu beschäftigen.
Das angebotene Grafen-Denkmal bekommt einen zusätzlichen geschichtlichen Nebenaspekt durch den Umstand, dass es in Oldenburg – außer Verwaltungs-, Garnisons- und Garten- auch Pferdestadt – zwar Pferdeplastiken aber kein wirkliches Reiterdenkmal gibt. Obwohl es sich aufgrund der geschichtlichen Bedeutung des Reitens anbieten würde, ist in dieser Form bislang kein offizielles in der Stadt vorhanden. Vielleicht weil der spezielle Anlass fehlte – geritten wurde schließlich überall, den nun der Oldenburger „Pferdegraf“ bieten könnte, vielleicht eher auch aus Kostengründen, die heute durch das Geschenk entfallen würden, wurde das Thema nie aufgegriffen; nicht einmal beim Denkmal der 91er Dragoner, das einen Löwen zeigt. So könnte ein unmilitärisches Anton Günther-Denkmal stellvertretend für alle anderen Reiter der Oldenburger Vergangenheit stehen und auch auf die lebendige Gegenwart des Reitsports und des Freizeitreitens hinweisen.

Ob das Denkmal diese Funktionen erfüllen kann, wird sich möglicherweise nicht zeigen, falls es gar nicht im öffentlichen Raum aufgestellt wird. Denn Oldenburger Künstler und Kunstexperten lehnen das Geschenk ab, weil es ohne künstlerischen Wert sei. Das ist nun ein Argument, das genauso schwer zu wiederlegen wie zu belegen ist. Sicher gibt es objektive Kriterien für den Wert von Kunst (wobei nicht der Geldwert gemeint ist), vieles bleibt aber persönlicher Geschmack der Betrachter. Aufgrund der deutschen Diktaturerfahrungen ist man im Falle solch apodiktischer Begründung verbunden mit obrigkeitsähnlicher Durchsetzungsmacht rasch beim Zensurvorwurf, der wie der Vorwurf des Unkünstlerischen beides sein kann: gelegentlich überzogen, manchmal gerechtfertigt. Hinter einem „Un-Kunst“-Argument kann sich allerdings auch verstecken, wer in einem falsch verstandenen Reflex auf zwölf Jahre Nazizeit Denkmäler für ältere deutsche Geschichte (wie diese selbst) generell ablehnt und dies nicht offiziell zugeben mag. Solch ein einseitiges Geschichtsbild werden Kunstliebhaber und Geschichtsbewusste sicher nicht vertreten wollen.
Dem Standbild wurde ebenfalls nachgesagt, es sei ohne eigenen Wert, weil es sich „nur“ um Auftragskunst handele. Demnach wären dann sämtliche durch historische Herrscher und wohlhabende Privatleute beauftragen Kunstwerke keine solchen sondern lediglich profane Gebrauchsgegenstände. Man gehe in Gedanken durch die berühmten Werke der älteren Kunstgeschichte, die zu einem Großteil „nur“ in Auftrag der Geldgeber entstanden sind, und überprüfe seine Beurteilung.
Der Dresdener Bildhauer Walter Hilpert, Erschaffer des Grafen-Denkmals, hört gewiss „gerne“, dass hiesige Kollegen ihm ein adäquates Kunstverständnis absprechen und seiner Statue damit die nötige Schaffenshöhe. Man kann verstehen, dass stadtoldenburger Künstler hier gerne zum Zuge gekommen wären und die Denkmalausführung nur ungern einem Externen überlassen, der aber wenigstens von dem aus Hude und damit aus dem Oldenburger Land stammenden Künstler Bernd Eylers vorgeschlagen wurde und der Anschauung nach – die Statue des bekannten Oldenburger Pferdes Donnerhall in der Langen Straße stammt von ihm – ein Meister der naturalistischen Pferdedarstellung ist. Der reitende Graf erscheint auf den Fotos ebenfalls realistisch wiedergegeben, so dass gar kein Zweifel an der Professionalität des Bildhauers aufkommen sollte.

Mit der grundsätzlichen Frage „Was ist Kunst?“ wurde, angestoßen durch die Denkmalkritiker, das ganz große Fass aufgemacht, dass wir hier kurz mit anstechen aber keinesfalls bis zur Neige leeren wollen.
Die eigentliche Frage lautet doch eher: „Wer definiert, was ‚Kunst’ ist“ – die Geisteswissenschaften allein, oder auch die Künstler selbst, und hat die Bevölkerung mit durchschnittlich weniger abstraktem Geschmack, die durch Steuern aber doch die meisten öffentlichen Kunstanschaffungen bezahlt, dabei mitzureden? Dürfen umgekehrt heutzutage einzelne wohlhabende und großzügige Mäzene ihren persönlichen Geschmack allen Anderen vorschreiben? Muss man fragen, was schwerer wiegt: Klasse, Masse oder Kasse – oder braucht man nicht vielmehr alle drei, um gegenständliche Kunst in der Gesellschaft zu etablieren?
Der in der Bevölkerung ausgeprägte Wunsch nach „erkennbarer gefälliger Gestalt“ von Kunstwerken kollidiert zuweilen mit dem gelehrten Kunstverständnis offizieller Fachleute. Um künftige Misshelligkeiten zu vermeiden, will die Stadt Oldenburg „Leitlinien für Kunst im öffentlichen Raum“ ausarbeiten und deren Durchsetzung dann wohl streng überwachen. Durch ein Gremium, das demokratisch durch freie, gleiche und geheime Wahlen legitimiert ist? Dürfen sich nur Fachleute aus Kunst und Kultur zur Wahl stellen, oder auch Vertreter der Mehrheitsbevölkerung, und wie ist die Stimmgewichtung? Kann es so etwas wie Konsenskunst per Abstimmung überhaupt geben, sofern sie sich nicht kulturell bedingt über einen langen Zeitraum entwickelt hat?
Weil Experten (oft in bester Absicht) niemals wünschen, dass Laien ihre fachlich gut begründeten Entscheidungen beeinflussen können, wird es wohl weniger demokratisch zugehen, und das muss nicht schlecht sein. Es ist bereits von anderer Seite richtig gesagt worden, dass echte Kunst nicht per Mehrheitsentscheid definiert werden kann. Umgekehrt können Fachleute unmöglich allein festlegen, was Kunst und Kultur insgesamt zu sein hat, weil diese niemals allein die gegenwärtige Kultur gestalten können – allenfalls rückblickend analysieren und bewerten, ohne dabei die Freiheit heutiger Kunstausübung reglementieren zu wollen. Ohne das Volk lässt sich keine Kulturnation machen, ohne einzelne herausragende Künstler und Kulturspezialisten aller Sparten aber auch nicht. Mehrheitsmeinung ist nicht automatisch die bessere, umgekehrt ist es aber auch nicht zwingend, dass Expertenmeinung in jedem Fall richtiger sei, wenn Fachleute bei ihrer Entscheidungsfindung allzu sehr auf ihr eigenes Fach fokussiert wären und das Große Ganze bzw. fachfremde Relevanzen aus dem Blick verlieren sollten. Im Idealfall ergänzen sich schlicht beide Seiten. Der Verfasser ist für sich zu der Meinung gekommen, dass kulturelle Vorgaben durch befähigte Spezialisten zweckdienlich sind, solange diese Einwände von Laien immer als Chance zur Überprüfung, als nötiges Korrektiv begreifen, denn niemand ist perfekt.

Im Zuge der öffentlichen Denkmaldiskussion ist ein Gegensatz zwischen traditionell-gegenständlicher und modern-abstrakter Kunst aufgekommen, der angesichts freier Entscheidungsmöglichkeit in einer (post)modernen Kultur nicht zwingend ist. Vielmehr kommt es darauf an, was man darstellen will, welche Werkaussage man erzielen will, schließlich sollten Form und Inhalt einander bedingen.
Um der Gegenwart Raum zu geben, braucht eine Gesellschaft zweifellos künstlerische Ausdrucksformen, in denen die aktuelle Zeitströmung leben kann. Sie sind auch für bedeutungsgeladene Denkmäler angemessen, besonders wenn diese zeitgenössische Sachverhalte darstellen. Es steht jedem Künstler frei, dies auch für geschichtliche Inhalte oder Personen zu versuchen. In Elsfleth, ausgerechnet in der den Grafen stets kritischen Wesermarsch, steht seit 2008 ein 1,50 m hohes in moderner Form gestaltetes Anton Günther-Reiterdenkmal quasi als Gegenentwurf zum aktuell diskutierten Oldenburger Denkmal. Es wurde vom Oldenburger Künstler Michael Ramsauer geschaffen und, als interessante Parallele zu Oldenburg, vom Elsflether Mäzen Horst Werner Janssen privat gestiftet. Ebenfalls in Bronze gegossen zeigt es Graf und Pferd fast ganz ohne übliche Attribute, die Haare des Pferdes etwas kürzer, den Grafen barhäuptig ohne jeglichen Gestand in der Hand, beide in weich zerfließender Gestalt. Man sollte als Künstler einen Grund haben, Geschichtliches so darzustellen, nach Interpretation des Verfassers zum Beispiel, um die seitdem verflossene Zeit herauszustellen. Es aber nur zu tun, weil man es unbedingt anders machen will als die Vorfahren, hieße noch nicht, eine angemessene Formensprache gefunden zu haben. So wie die traditionell gestaltete Reiterfigur eben wegen ihres historischen Ausdrucks kritisiert wird, so kann die moderne gerade wegen unhistorischer Symbolik kritisiert werden: Kein Graf wäre jemals ohne das Herrschaftszeichen Grafenhut ausgeritten, und jeder Reiter hätte zumindest eine Gerte dabei, wenn schon keinen modernen Schutzhelm.
Friedliche Koexistenz der Kunstrichtungen bedeutet „leben und leben lassen“ für Anhänger beider Richtungen, der traditionellen und der modernen. Demnach kann niemand billigerweise verlangen, dass Teile des gestalterischen Schaffens nicht bewusst von moderner Formensprache abweichen können, gerade wenn sie Themen behandeln, die nicht der Gegenwart entspringen. Was spricht dagegen, ein Geschichtsdenkmal, das „nachträglich“ an geschichtliche Ereignisse oder Personen erinnert, in der ihm gemäßen Zeitsprache, also gegebenenfalls historisierend zu gestalten, solange damit nicht über einen didaktischen Lehrzweck hinaus die Denkungsweise vergangener Epochen wiederaufgelebt oder ein original historisches Kunstwerk vorgetäuscht werden soll, sondern das Werk lediglich der Veranschauung von Geschichte dient? Natürlich lässt sich alte Geschichte auch in gegenwärtiger Formensprache gelungen darstellen, sie kann aber leicht deplaziert wirken, wenn sie weniger auf den geschichtlichen Kern zielte als vielmehr nur ein zweckfreies Spiel mit modernen Möglichkeiten darstellte. Als sehr freies Beispiel dazu wäre Graf Anton Günther auf einem Oldenburger Fahrrad eine gelungene scherzhafte Anspielung auf unsere eigene Gegenwart, würde der historischen Wirklichkeit seiner Zeit aber überhaupt nicht gerecht und könnte deswegen nicht als Denkmal für Geschichte taugen.
Ab besten ist darum wohl die bereits praktizierte Mischung aus beidem, im öffentlichen Raum je nach Anlass außer Modernem auch ältere Formen zuzulassen und neben Abstraktem auch Gegenständliches aufzustellen. Ein gelungener Kompromiss: Experten zeigen der in Kunstbelangen oft traditioneller denkenden Bevölkerung neue Möglichkeiten, akzeptieren aber die gleichzeitige Relevanz älterer Ausdrucksformen in der Gegenwart.
Entsprechend ließe sich das angebotene ganz im Stile des 17. Jahrhunderts gestaltete Denkmal des Barockgrafen als bewusste Historisierung begreifen und durchaus im öffentlichem Raum platzieren, der in der Stadt Oldenburg arm an geschichtlichen Zeugnissen dieser Art ist. Man will damit gar nicht erst den Eindruck eines avantgardistischen Kunstwerkes machen, darf gleichzeitig aber auf keinen Fall den eines alten historischen Denkmals erwecken, schließlich ist es nur ein rückblickendes geschichtliches. Deshalb gehörte unbedingt das Entstehungsdatum mit auf die Erläuterungstafel, damit auch bei unbedarften Betrachtern nie ein Zweifel aufkommen könnte.

Trotz all dieser bedenkenswerten Kunstbelange geht die öffentliche Diskussion diesbezüglich teilweise am Thema vorbei. Sie ist auf manche falsche Fährte geraten, die von der eigentlichen Kernfrage wegführt. Es geht den Stiftern schließlich nicht um die Durchsetzung einer bestimmten Kunstauffassung, sondern sie wollen schlicht ein Geschichtsdenkmal für den Grafen Anton Günther aufstellen; und haben möglicherweise nicht bedacht, in welche – aus ihrer Sicht – Irrwege sich die öffentliche Debatte verlaufen kann.
Denn die hier noch weiter zu diskutierende Frage lautet nicht, ob das angebotene Denkmalsgeschenk „Kunst“ sei, sondern ob das Denkmal den Erinnerungsgegenstand, den historischen Oldenburger Grafen, angemessen wiedergibt. Falls man sich einmal dazu durchringen kann, die Bevölkerung per demokratischer Abstimmung entscheiden zu lassen, dann natürlich nicht über Kunstfragen, sondern ob und wo ein Denkmal für Regional- und Stadtgeschichte, die Erinnerung an einen trotz Einschränkungen im Sinne der Bevölkerung verdienten Landesherren, im öffentlichen Raum aufgestellt werden soll.

Das Wandgemälde des Grafen am Hotel Graf Anton Günther in der Oldenburger Innenstadt. Foto: Martin Teller, 6.1.2012.
 

Andere Grafenzeugnisse

Kehren wir zurück zum eigentlichen Thema und widmen uns einer grundsätzlichen Überlegung. Ist ein Geschichtsdenkmal für den Grafen Anton Günther in Oldenburg nicht entbehrlich, wo es doch schon viele Erinnerungen an ihn in Stadt und Region gibt?
Für Menschen, die generell keinen Sinn für Geschichte haben, ist jegliches Zeugnis davon überflüssig oder lästig, was manche betont herausstellen, weshalb sie auch nichts mit einem Grafen-Denkmal anzufangen wissen. Den Standardkommentar „zu teuer“ haben die Stifter mit ihrem Geschenkangebot freilich unterlaufen. Die geschichtsbewussten Teilnehmer der öffentlichen Diskussion können dagegen in der Tat leicht eine Reihe von Stätten aufzählen, an denen Anton Günther in der Hauptstadt seiner alten Grafschaft bereits verewigt wurde: das Wandgemälde am Hotel „Graf Anton Günther“ in der Innenstadt, ein großes Mosaik an der „Graf Anton Günther-Schule“, beide mit typischem Bild des Grafen auf Kranich, im Schulnamen selbst, in einem Straßennamen, in Vereins- und Firmennamen, natürlich auch in Dauerausstellungen des Stadt- und des Landesmuseums, die Lebensaspekte bzw. teilweise die originale Wohnumgebung des Grafen zeigen.
Bemerkenswert ist eine 2006 von dem Abiturienten Florian Müller erstellte Figur, die vor der genannten Schule steht und ebenfalls den reitenden Grafen Anton Günther in etwa lebensgroßer Proportion darstellt. Sie besteht aus dem derzeitigen „Modematerial“ für Außenkunstwerke: aus rostigem Eisen, und zeigt Ross und Reiter nicht als Vollplastiken sondern geformt als ein hindurchsehbares Netz aus Metallgestänge. Der gräfliche Kopf wird nur durch einen Hut symbolisiert, der auf einer Metallstange steckt, die Rückgrad und Hals darstellt. Der „Graf“ streckt in seiner rechten Hand einen Metallstab vor. Das „Pferd“ hat eine bis zum Boden reichende Mähne und einen ebensolchen Schweif, die beide aus Metallketten geformt sind. Trotz der eher abstrakten Darstellungsweise erkennen Oldenburger anhand der bekannten Attribute – Reiter, Hut, Stab, Pferd mit langer Mähe und Schweif – sofort, um wen es sich handeln soll. Es ist wohl noch nie vorher jemand auf die Idee gekommen, Graf Anton Günther auf solch erfrischend unkonventionelle Weise zu zeigen. Noch in den 1950er Jahren wäre die Skulptur ein Skandal gewesen. Sie erscheint als geradezu professioneller Gegenentwurf zu traditionelleren Plastiken, zeigt mithin bereits die moderne Bearbeitungsweise, die manche Künstler für unerlässlich halten. Das Schüler-Denkmal zeugt von erfrischender Unkonventionalität, von jugendlicher Unbefangenheit und Geschichtsbewusstsein. Denn auch der Abiturient ist nahe am historischen Thema geblieben und hat sogar nicht auf „Kranich“ verzichtet, eben weil er wusste, dass eine entsprechende Formensprache sofort auf den zugehörigen geschichtlichen Inhalt verweist. Das spricht bei Graf Anton Günther für die Darstellung als Reiterstandbild.
Da haben wir doch schon ein Grafen-Denkmal in Oldenburg, und ein originelles dazu? Nur bedingt. Zum einen widerspricht die hier gelungene moderne Adaption des Themas nicht der obigen These, dass sehr moderne Gestaltungsformen historischen Inhalten oft unangemessen sein können, zumal wenn sich ein Denkmal seriös und nicht nur scherzweise mit einem Geschichtsthema auseinandersetzen soll. Sie widerspricht auch nicht der Forderung, dass es umgekehrt als künstlerisches Stilmittel möglich sein muss, thematisch begründet ein Werk bewusst historisierend zu gestalten. Außerdem ist das „Grafengerippe“ vielleicht gar nicht dauerhaft zu betrachten (was bedauerlich wäre), da in Schulbesitz, und damit gar kein eigenes Denkmal der Stadt. Die Schüler-Skulptur ist ebenso wie die großen Grafenwandbilder genauer hinterfragt überhaupt kein Denkmal im eigentlichen Sinne, denn diese Werke sind nicht bewusst zur Erinnerung an Geschichte geschaffen, trotz historischer Anleihen illustrieren sie eher vordergründig den Namen der Schule und des Hotels, als dass sie Grafengeschichte und Landesgeschichte darstellen wollten. Dem pfiffigen Werk des Abiturienten sei eine lange Existenz gegönnt, ein offizielles Grafen-Denkmal in Oldenburg ersetzt es nicht, kann aber einen interessanten Kontrapunkt dazu setzen.
Das gilt auch für die Museumsausstellungen, die einen anderen Charakter haben als ein jederzeit zugängliches Freiluftdenkmal, das in einer Figur (und einer Texttafel) ausdrücken muss, wozu Museen mitunter ganze Räume und ein Kaleidoskop von Darstellungsmitteln haben. Die Verwendung des gräflichen Namens auf vielerlei Weise spricht auch nicht gegen ein dreidimensionales Anton Günther-Denkmal, das es im Oldenburger Stadtbild noch nicht gibt. In der alten Hauptstadt, dem zentralen Erinnerungsort für Landesgeschichte, ist es aufgrund seiner sowohl stadt- als auch landesgeschichtlichen Aussage passend platziert, unabhängig von allen weiteren Zeugnissen des Grafen im Oldenburger Land. In Form der angebotenen Skulptur wäre das Denkmal ein „Gemälde zum Anfassen“ aus dauerhaftem Material, das wie oben erwähnt geschichtsdidaktisch nutzbar wäre als gleichsam in den öffentlichen Raum installierte Geschichtsfigur, und überdies touristisch als sicher beliebtes Fotomotiv.

Fast ein Jahrhundert nach Ende der Monarchie und nach bisher 67 Jahren ununterbrochener Demokratie sollte man keine Berührungsängste mit Herrschergestalten der monarchischen Epoche haben. Oldenburg ist über so lange Zeit seiner Geschichte hinweg mit dem Grafen- und Herzogshaus verbunden gewesen, dass man einzelne – besonders herausragende verdiente – Mitglieder dieser Familie in Denkmälern ehren können sollte, und wenn einer der früheren Herrscher außer dem bereits bedachten Herzog Peter Friedrich Ludwig denkmalwürdig ist, dann Graf Anton Günther. Ohnehin geschehen Denkmalsetzungen in dieser Stadt zum Glück nicht einseitig. Sie hat schon etliche denkmalwürdige bürgerliche Demokraten geehrt, wie den Journalisten und Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky, ein kritischer Kopf, der mit demselben am Theaterwall ausgestellt ist, sowie als sitzende Brustfigur am alten Rathaus den trotz unvorteilhafter Brille weitblickenden Oberbürgermeister Theodor Görlitz. All dies trägt zur vom Verfasser so genannten geschichtsindividuellen Gestaltung der Stadt bei, welche unsere gegenwärtige Lebenswelt um die zeitliche Dimension ergänzt.

Das unverkennbare Reiterstandbild vor der Graf Anton Günther-Schule in Oldenburg. Foto: Martin Teller, 6.1.2012.
 

Ein historisches Detail

Wer Geschichtssinn hat, wird sich den Elementen des Vergangen nie unkritisch stellen. Nachdem die seit März 2010 konzipierte Denkmalfigur fertiggestellt und im Sommer 2011 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, haben sich Oldenburger Geschichts- und Kunstexperten öffentlich oder privat damit auseinandergesetzt. Es heißt zwar: „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“. In diesem Fall muss man aber vorher genau auf das angebotene Reiterdenkmal schauen, handelt es sich doch um ein Objekt für den öffentlichen Raum, das eben zum Betrachten geschaffen wurde.
Als Milde für die Stiftergruppe das Standbild der Stadt zum Geschenk anbot, sagten Fachleute, sie hätten sich eine Beteiligung der Öffentlichkeit gewünscht, was sie sonst nur selten tun, weshalb man davon ausgehen kann, dass die Experten vor Fertigstellung des Denkmals selbst gerne gehört worden wären. Dies allerdings wäre trotz Mildes schlechten Erfahrungen so verkehrt nicht gewesen, wenn man dabei qualifizierte fachliche Unterstützung hätte bekommen können. Oben kam schon zur Sprache, dass zwar an der professionellen Art der Denkmalausführung kein Zweifel bestehen kann. Auch die Kleidung und weitgehend die Ausrüstung des Grafen und die Ausstattung des Pferdes entsprechen soweit ersichtlich der historischen Vorlage. Manchen gefällt die historisierende Ausführung des Denkmals nicht, aber das müsste kein grundlegendes Hindernis bleiben.
Doch Dr. Michael Reinbold, Leiter der Abteilung Kunstgewerbe des Landesmuseums im Schloss, hat in einem Zeitungsleserbrief (Nordwest-Zeitung, 2.8.2011, Nr. 178) öffentlich darauf hingewiesen, dass in einem figürlichen Detail ein nicht irrelevantes Missverständnis steckt: „Auf dem Urbild von 1667 hält der Graf in seiner ausgestreckten Rechten einen Kommandostab im Segensgestus über sein Oldenburger Land.“ – und nicht wie im angebotenen Standbild eine bloße Reitgerte neben den Pferdekopf. Dieses Detail macht den Unterschied aus zwischen der gemeinten historischen Grafenfigur und einer ungewollt willkürlichen Anton Günther-Darstellung, zwischen einer durchdachten landesherrlichen Haltung und einer ungewöhnlichen reiterlichen Gertenhandhabung, was nicht im Sinne der engagierten Stifter selbst sein kann.
Die irrtümliche Verwechselung des starren, mehr als fingerdicken historischen Kommandostabes mit einer damals wie heute gebräuchlichen dünnen und biegsamen Gerte dürfte wesentlich zur generellen Ablehnung des Denkmals durch manche Fachleute beigetragen haben: Geschichtsexperten müssen ohnehin gegen ein simplifizierendes Bild Anton Günthers anarbeiten, und nun auch noch gegen ein falsches Bildzitat? Auf einem Pressefoto im Zeitungsartikel zur Vorstellung des Denkmalprojektes ist die Entwurfzeichnung zu sehen, die vielleicht noch den richtigen Kommandostab enthält, einen allerdings schon recht dünnen langen Stab mit Knaufabschluss (Nordwest-Zeitung, 2.3.2010, Nr. 52). Es gibt aufwendig gefertigte Gerten, die ebenfalls einen Knauf am Ende haben, was die Verwechselung erklären dürfte, nicht aber die Umformung zu einem abgewinkelten reinen Gertengriff in der fertigen Skulptur. Bei gewünschter originalgetreuer Wiedergabe einer historischen Figur müsste die künstlerische Freiheit enden.
Viele denkmalbefürwortende Geschichtsfreunde würden sich sicher nicht an dem scheinbar nur kleinen Fehler stören, wie etliche unter ihnen auch die gräflichen Pferdegeschenke immer wieder übergewichten. Der Verfasser kennt aber seine Historikerzunft, die mit wissenschaftlicher Strenge noch nach Generationen den (Kommando)Stab über jene brechen würde, die Graf Anton Günther ein Denkmal errichtet hätten, das missverstandene politische Ikonographie enthielte, das dadurch die historische Bildaussage in einem wesentlichen Punkt verfälschte und damit der vereinfachten volkstümlichen Sagengestalt des Grafen näher wäre als der eigentlich gewollten Geschichtsperson. An der berechtigten Forderung nach wissenschaftlicher Genauigkeit und Wahrheit kommt man als Fachmann nicht vorbei, selbst wenn man prinzipiell ein Anton Günther-Denkmal befürwortet und auch gegen eine Historisierung nichts einzuwenden hätte.

Gäbe es das Detail mit dem unkorrekt interpretierten Kommandostab nicht, wäre die Zahl der Kritiker vermutlich kleiner, von denen sich anscheinend etliche an der vorgestreckten Gerte stören, die ihnen wohl nicht wie eine harmlose Zeigegeste vorkommt sondern sie in unhistorischer Verknüpfung an die arrogante Haltung von Herrenmenschen einer ganz anderen Geschichtsperiode erinnert. Dann hätte auch kein Denkmalkritiker dem zäh für das Denkmal eintretenden Milde „versuchte politische Richtungsvorgabe per Reitpeitsche“ vorwerfen können. Denn die Reitgerte, wie sie im Reitsport richtigerweise genannt wird, ist eine Fehlinterpretation auch der Kritiker: Sie sollte in Wirklichkeit eben der symbolhaft segnende Kommandostab des frühneuzeitlichen Landesherren sein. Das Einzige, was man dem früheren Verwaltungspräsidenten des Oldenburger Landes „unterstellen“ könnte, wäre eine Politik mit Marschallstab, Zögerlichen und Kleinmütigen die Richtung weisend. Aber dazu ist dieser Demokrat zu erfahren, zu wissen, dass man niemandem Sinn für Oldenburger Belange oder Mut zum Gestalten befehlen kann. Man kann nur hoffen, dass diejenigen, die entscheiden dürfen, beides auch haben.

Die ungeplante Gerte ist ein guter Anlass, noch einmal über alternative Darstellungsformen eines Reiterdenkmals für den Grafen nachzudenken, der nicht permanent als spätere „Oldenburger Geschichtsikone“ mit einem unhandlichen Kommandostab umhergeritten ist, und der auch andere Pferde geritten hat außer Kranich, dessen barocke Haarverlängerung nur wenig alltagstauglich gewesen sein dürfte. Viel eher wird der Graf wie in der reiterlichen Praxis üblich beim Ausreiten eine Gerte dabeigehabt haben, sicher eine besonders aufwendig gefertigte, um falls nötig damit gegenüber dem Pferd seine Körperhilfen zu verstärken; modern für Nichtreiter: bei seinem „Fahrzeug die Gänge zu schalten“, wozu übrigens auch Sporen dienen. Man hätte mit den Formen bewusst spielen können, dann wäre es beispielsweise möglich gewesen, Graf Anton Günther als normalen Reiter darzustellen, mit seitlich angelegter Gerte wie beim Reiten üblich. Denn eine Gerte hält man, wie man als Reiter weiß, normalerweise nicht neben den Pferdekopf, um das Tier nicht nervös zu machen, außer wenn man vielleicht im Hochsommer Pferdebremsen verscheucht. Solch eine ungezwungene Reiterdarstellung des Grafen wäre durchaus neu gewesen und doch nicht unhistorisch. Wenn das Denkmal wegen der zu erwartenden höheren Akzeptanz aber eine dreidimensionale Umsetzung der bekannten Gemälde sein soll, ist ein Kommandostab wegen historischer Korrektheit unerlässlich, und nicht nur wegen des erwähnten praktischen Wiedererkennungswertes des Grafen.

Denkmalnutzung

Wie der Verfasser könnten auch andere anfangs nicht Eingebundene überlegen, ob das unerwartet angebotene Denkmal nicht doch zur Darstellung der Regionalgeschichte nutzbar gemacht werden kann. Man könnte die fremde Denkmalinitiative als Möglichkeit begreifen, den Prozess im Sinne der Kulturwissenschaften konstruktiv-korrektiv zu begleiten. Ein Denkmal dient schließlich dem erstrebenswerten Zweck des Nachdenkens, das nicht bei den Verdiensten des Grafen enden müsste, sondern bei den Betrachtern auch sein gesamtes persönliches Handeln und seine Zeitumstände kritisch hinterfragen lassen könnte, womit der Bildungszweck erreicht wäre.

Ein wesentlicher Störfaktor ist die Gerte, ein Interpretationsfehler, der aber nicht generell gegen die Errichtung eines Anton Günther-Reiterdenkmals in Oldenburg spricht, und auch nicht endgültig gegen die Nutzung des zur Debatte stehenden, weil sich hier vielleicht noch etwas ändern lässt. Zusammengefasst sind manche Einwände gegen das Standbild bei näherem Hinsehen haltlos, einige durchaus berechtigt, wobei man den Stiftern – die immerhin Gestaltungsvorstellungen haben – nicht ihren engagierten Bürgersinn absprechen kann; und einen gewissen Oldenburger Regionalpatriotismus, der in seiner Unmodernität vielleicht gerade ein Zeichen unserer wandlungsreichen Zeit ist: als Wunsch nach einem verlässlichem Lebensrahmen. Dieser hat seine Berechtigung, indem er Einigen Orientierungsmöglichkeiten in einer unübersichtlichen Welt gibt, Anderen nötigen Rückhalt, sich den Chancen zu widmen, die fließender Wandel immer auch bietet.

Gemäß ersten Politikervorschlägen verlangen die geplanten Leitlinien für öffentliche Kunst in Oldenburg von dieser „hohe künstlerische Qualität, innovative Konzepte und gesellschaftliche Relevanz“. Was das Anton Günther-Denkmal betrifft, ist die qualitative Ausführung durch den erfahrenen Bildhauer Hilpert offensichtlich gegeben. Dass Geschichte und alles, was über sie aufklärt, gesellschaftlich relevant ist, dürfte auch außer Frage stehen. Denn nicht nur unsere augenblickliche Existenz in der absoluten Gegenwart ist für uns von Belang, sondern auch unser Dasein in der Zeit, das uns temporäre Wesen gleichzeitig Teil von planender Zukunft und auszudeutender Vergangenheit sein lässt. Innovativ ist das angebotene Bildnis ganz sicher, wenn man nur an die unkonventionelle Gertenhaltung denkt, aber auch an den Mut, ein historisierendes Werk zu schaffen, dass nach konventioneller Meinung von Experten heute nicht der Mehrheitsrichtung der Kunstschaffenden entspricht. Natürlich hätte man auch andere Darstellungsweisen des Landesgrafen erwägen können, dennoch ist eine „Dreidimensional-Werdung“ eines bekannten Gemäldes ein originelles Konzept, das im öffentlichen Raum „funktionieren“ dürfte.
Bei der Umsetzung einer innovativen Einbettung des Grafen-Denkmals in die Stadtlandschaft könnten sich viele Menschen hervortun – Stichworte: genaue Standortsuche und Umfeldgestaltung nebst Tafeltext – und der scheinbaren Sagengestalt endlich ein wirkliches Geschichtsdenkmal widmen. Sicherlich ist es möglich, sich dafür unter Kulturexperten und Geschichtsinteressierten mehrheitlich über die folgenden Punkte einig zu werden, wenn nicht sofort dann vielleicht noch im Laufe des gegenwärtigen Jahrhunderts:
Die geschichtliche Rolle Graf Anton Günthers hängt nicht von vereinfachenden Sagen über ihn ab. Die Neutralitätspolitik des Grafen im 30jährigen Krieg hat viele Oldenburger vor schweren Kriegsfolgen bewahrt. Zur Erinnerung daran kann an einem passenden Ort ein zur Reflexion einladendes Geschichtsdenkmal aufgestellt werden, dessen Form den geschichtlichen Inhalt bzw. die Geschichtsperson adäquat wiedergeben muss. Mit diesem Akt der regionalgeschichtlichen Selbstbestimmung soll weder die Monarchie wiedereingeführt werden noch eine Kunstrichtung als die Alleingültige erklärt werden. Niemand, der sich zur Sache höflich und konstruktiv äußert, wird wegen seiner Auffassung herabgesetzt. Anhand der Vorschläge von Kulturfachleuten entscheiden die Oldenburger Bürger mit, welche Denkmäler in ihrer Stadt aufgestellt werden. Die Politik akzeptiert Einigungen der beiden Gruppen und setzt bürgerlichen Mehrheitswillen um, wenn dieser gesetzeskonform ist und auf den Grundsätzen von Ethik und praktischer Vernunft beruht.

Wenn der Verfasser freilich bis zur allgemeinen Übereinkunft allein entscheiden könnte, würde er die Sache mit einer pragmatischen Lösung abkürzen. Wie bereits dargelegt geht es für Geschichtsfachleute, die einen ideellen oder reellen öffentlichen Bildungsauftrag haben, in der ganzen Denkmaldiskussion vorrangig darum, ob Darstellung und Darstellungsweise einer geschichtlichen Figur auf dem Hintergrund historischer Erkenntnisse vertretbar sind. Die historische Rolle Anton Günthers und seine generelle Denkmalwürdigkeit können unter Fachleuten graduell verschieden beurteilt werden, ebenso der zu verwendende Kunststil. Einigkeit dürfte aber darin bestehen, dass ein historisches Bildzitat korrekt sein muss und der Kommandostab in der Hand des Grafen eben keine unüblich gehaltene Reitgerte ist.
Zur Abhilfe sind zwei Lösungsansätze erkennbar. Der simple wäre, die Gerte offiziell als künstlerische Variation eines Kommandostabes umzudeuten. So etwas funktioniert aber eher in der Politik als in der Wissenschaft, und da Oldenburg auch eine Wissenschaftsstadt ist mit vielen Experten, die viel von ihren Fächern verstehen und das fachlich geschulte Denken nicht aus Opportunität einstellen, bietet sich eine zweite nachhaltigere Lösung an: Ungetrübt jeder Materialkenntnis erlaubt sich der Verfasser den pragmatischen und vielleicht wenig künstlersensiblen Vorschlag, die Grafenfigur punktuell so nachzubearbeiten, dass ein wirklicher Kommandostab deutlich erkennbar wird, wie er anfangs – siehe Entwurfsskizze – auch wohl geplant war. Dieser Vorschlag, der einem erfahrenen Künstler handwerklich zuzutrauen ist, versteht sich überhaupt nicht als dirigistischer Eingriff in die Kunstausübung, da es hier gar nicht um eine frei erdachte Skulptur geht, sondern um die vorlagengetreue Wiedergabe einer geschichtlichen Abbildung. Ob nun der Stab etwas verdickt würde, vielleicht durch Überzug einer Bronzeumhüllung, oder zumindest der Hakengriff zum Knauf umgearbeitet würde, damit die Gerte problemlos als Kommandostab durchgehen kann, wäre Sache des Künstlers. Sollte das Bildnis partiell oder ganz umgegossen werden müssen, was anscheinend bis zu einem Jahr dauern kann und im Falle höherer Kosten das Engagement sämtlicher Denkmalbefürworter unter Beweis stellen könnte, dann wäre das nicht schlimm, denn bis zum nächsten geschichtlichen Bezugstermin, dem Anton Günther-Jubiläumsjahr 2017, wären die Arbeiten längst abgeschlossen.
Mit dieser möglichst einfach zu haltenden Änderung entfiele der fachliche Hauptkritikpunkt an der Skulptur, was die entscheidenden Kunstexperten über den historisierenden Stil hinwegsehen und grünes Licht zur Aufstellung des Denkmals geben lassen könnte. Ein solcher Kompromiss sollte ganz im Sinne des Staatsmannes Milde sein, da das Denkmal doch noch realisiert würde, und auch dem Bildhauer sollte es nicht schwer fallen, da er doch kein Experte für historische Oldenburg-Kunst ist und nicht wissen konnte, wie gravierend sich der Unterschied zwischen einem Knauf und einem Hakengriff für die Akzeptanz seines Werkes auswirken kann.

Die Standortfrage

Wenn sich alle Beteiligten einander entgegenkommen und sich soweit einigen könnten, wäre auch der zweite Hauptstreitpunkt dieser Debatte, die Suche nach einem geeigneten Standort für das Graf Anton Günther-Denkmal, wohl schnell abzuarbeiten. Idealerweise läge er innerhalb Oldenburgs als alter Landeshauptstadt, dort dann an einem historischen Ort mit Bezug zur Grafengeschichte. Das wäre, wenn man den Stadtkern betrachtet, am ehesten im ehemals herrschaftlichen Südteil zwischen Lambertikirche und Schloss, nicht im nördlich gelegenen bürgerlichen Teil. Der von vielen Seiten gemachte Vorschlag, das Denkmal solle beim Oldenburger Schloss aufgestellt werden, ist sehr naheliegend, wurde die einstige Grafenresidenz doch ausgerechnet unter Anton Günther zum Barockschloss ausgebaut, dessen Bestandteile noch die heutige Baugestalt maßgeblich bestimmen. Dabei ist es zweitrangig, ob der genaue Standort nun vor, neben oder hinter dem Schloss läge, etwa auf dem Schlossplatz als direktes Pendant zum Denkmal Peter Friedrich Ludwigs, das auch von einem wohlhabenden Privatmann gestiftet wurde, oder auf dem Rasenstreifen nördlich neben dem Schloss, wo besonders darauf zu achten wäre, dass das Standbild nicht den willkürlichen Eindruck einer bloßen Gartenzierfigur machte, oder auch im Pflaster zum ECE-Einkaufszentrum, dem laut Neonbeschriftung sogenannten „Schloss Höfe“.
Hier würde das Grafen-Denkmal erheblich besser passen als die drei Bronzebären, welche die Stadt wieder aufgestellt hat, nachdem der Platz umgestaltet und von Berliner Platz ins historisch richtige Schlossplatz umbenannt wurde. Seitdem sind die früheren „Berliner Bären“ dort zu einem Fremdkörper geworden und würden besser auf den neuen Berliner Platz im Norden des Hauptbahnhofs umziehen, denn sie sind nicht explizit für den Standort am Schloss geschaffen worden sondern zur Illustration (irgend)eines Berliner Platzes wo auch immer. Durch Wiederaufstellung auf dem nunmehrigen Schlossplatz hat man die drei Bären aus ihrem Sinnzusammenhang gerissen und von einem Staatsdenkmal zu bloßen Tierfiguren degradiert. Die geplanten Richtlinien öffentlicher Kunst beinhalten hoffentlich auch den Aspekt Standortrelevanz.
Ein anderer möglicher Ort für das Anton Günther-Denkmal wäre die Grünfläche südlich des Schlossgebäuderinges, etwa anstelle der „Liegenden“, die ohnehin besser auf die große Liegewiese in den Schlossgarten passt, wo dieses moderne Kunstwerk mehr Sinn und Beachtung fände. Der Reitergraf könnte hier nach Süden ausgerichtet werden, mit Blick auf den Damm, Teil der wichtigsten historischen Fernstraße Oldenburgs, über die Anton Günther oft mit seinem Gefolge in Richtung seiner Jagdreviere bei Hatten, Hude und Dingstede geritten ist. Bei konsequenter gleichwohl historisch verkürzender Betrachtung Anton Günthers als „Friedensfürst“ könnte man zwar eine Aufstellung des Standbildes auf dem Friedensplatz neben der Friedenssäule erwägen, doch jener Ort hat keinen geschichtlichen Bezug zu dem Grafen. Der wäre eventuell noch innerhalb des „herrschaftlichen“ Wallringes gegeben, der schon zu Anton Günthers Zeiten die später noch ausgebauten Befestigungsanlagen der Stadt enthielt, nicht aber im heutigen Schlossgarten, den es zu seiner Zeit noch gar nicht gab, wo eher das Denkmal des Parkgründers Peter Friedrich Ludwig einen sinnvollen Platz hätte. Als ebenfalls denkbare Lösung bietet sich für Geschichtsbewusste der Bereich zwischen Dobbenstraße und Eversten Holz an, praktischerweise wohl am Rande des Holzes zur Meinardusstraße. Denn am alten Eversten Holz hatte sich Graf Anton Günther einen herrschaftlichen Ziergarten anlagen lassen, ein Pendant zum Wunderburgpark seiner Gemahlin in Osternburg. An diesen sogenannten Herrengarten, der längst mit Wohngebäuden überbaut ist, könnte das gräfliche Reiterdenkmal erinnern.
Angesichts der vielen passenden Standorte müsste man wünschen, dass Oldenburg noch mehr regional- oder stadtgeschichtliche Denkmäler angeboten bekommt. Wenigstens sollte man sich künftig gründliche Gedanken über geeignete Standorte von Kunstwerken und Denkmälern im öffentlichen Raum machen, denn manche der vorhandenen würden an anderen Orten ihren Sinngehalt viel besser zur Wirkung kommen lassen.

Der von Milde vertretenen Stiftergruppe ist zu wünschen, dass sie mit ihrer unkonventionellen Denkmalinitiative ebenfalls die von ihr beabsichtigte Wirkung erzielt: den Oldenburger Bürgern eine Freude zu machen. Sollte das Denkmal gleichzeitig dauerhaft zur regionalgeschichtlichen Bildung beitragen, könnten sich auch die Kulturfachleute freuen. Natürlich muss akzeptiert werden, wenn nicht Alle mit dem Grafen-Denkmal oder seiner Stilrichtung etwas anfangen können. Man kann aber dessen Intention, an eine Friedensleistung zu erinnern, auf die Debattierenden übertragen und an diese appellieren, einen akzeptablen Konsens zu finden, der den Bezug auf relevante ältere Oldenburger Geschichte in einem Denkmal ermöglicht.
Mildes intensivem Werben für das Denkmalprojekt verdanken etliche Oldenburger derzeit einen genaueren Blick auf die unbekannten Seiten ihrer bekanntesten Geschichtsperson, sowie ein schärferes Bewusstsein für kommunale Gestaltungsprozesse. Mindestens dafür könnten ihm die Menschen in Stadt und Land tatsächlich danken.

* * *

Zusätzlich zu einem Grafen-Denkmal im frühneuzeitlichen Stile kann sich der Verfasser durchaus auch eine vorsichtige modernere Darstellung des Themas Landesgeschichte vorstellen, die dennoch stilistisch ihren geschichtlichen Inhalten gerecht würde und gleichzeitig in unserer Gegenwart verankert wäre. Der Schlossplatz eignet sich bestens als Erinnerungsort für die Geschichte des ganzen historischen Oldenburger Landes, in dem nicht überall aber doch vielerorts noch ein Zusammengehörigkeitsgefühl besteht. Dies könnte dort symbolisiert werden durch einen „Oldenburger Landesbrunnen“, als Einzelstück weniger wartungsintensiv als die früheren vielen modernen Brunnen, anders als diese randlich gelegen und somit keinen Veranstaltungen im Weg.
Der Landesbrunnen wäre bestückt mit ganz verschiedenen plastischen Oldenburg-Motiven in hochwertiger und haltbarer Bronze, wobei sich Geschichte und Symbolik ergänzen könnten: zum Beispiel u.a. ein Landeswappen, Graf Anton Günther en miniature mit oder ohne Ross, wichtige noch stehende und abgerissene Gebäude der Stadt wie alle drei Rathäuser und die Wassermühlen (eventuell mit beweglichem Rad), Hunte-Symbolik, Figuren alter Berufe, stilisierte Darstellungen der Oldenburger Land- und Ortschaften usw., vielleicht gekrönt von einer Grünkohlpalme – als Zeugnis von Geschichtsverständnis, das den Wunsch von „Erdung“ durch Heimatgefühl ernst nimmt und zugleich mit einer gelassenen Leichtigkeit über sich selbst lächeln kann.

Martin Teller, 16.2.2012

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