Das Oldenburger Wunderhorn

Reflexionen 2

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Deiche um IKEA    Vertriebenes Vertriebenendenkmal – ein Zwischenruf zur Standortfrage   
Das verschwundene Schloß von Donnerschwee


Deiche um IKEA
 

Historische Deiche im Kleinen Felde in Oldenburg-Neuenwege (Karte 1:10.000 von 1993). (Beide hiesigen Kartenausschnitte sind wie fast alle modernen Karten genordet, d.h. Norden ist „oben“, Süden „unten“, Westen „links“ und Osten „rechts“.)

Im Jahr 2005 machten sich die Oldenburger Gedanken über passende Standorte für die geplante Ansiedlung eines IKEA-Möbelhauses, nachdem erste Verhandlungen gescheitert waren. Dabei ging es zuerst um Grundstücke an der Holler Landstraße südlich des Blankenburger Holzes, die zwar in praktischer Autobahnnähe aber in einem Landschaftsschutzgebiet gelegen hätten. Am 8.3.2006 meldete die örtliche Presse (Nordwest-Zeitung Nr. 57 und Hunte Report Nr. 10), der endgültige Platz sei gefunden: ebenfalls an der Landstraße, doch nun etwas stadtnäher westlich der Werrastraße. Bei der Gelegenheit überlege die Stadt als Grundeigentümerin, gleich das ganze für Gewerbefläche vorgesehene 30 ha große Gelände zwischen Holler Landstraße, Werrastraße, Hunte und Hemmelsbäker Kanal um einen Meter aufzuschütten, um den Osthafen zu erweitern und einige innenstadtnähere Betriebe hierhin umzusiedeln.

Anfänglich wußte die Bevölkerung vom zuerst verhandelten Standort nur, daß er in einem Landschaftsschutzgebiet liegt, dessen Erstreckung von Osten lediglich bis etwa Klosterholzweg auch nicht jedermann bekannt war. Daher wurde u.a. vermutet, IKEA könne, so wie jetzt tatsächlich vorgesehen, in den (weitgehend nicht geschützten) Wiesenflächen westlich der Werrastraße angesiedelt werden. Einige Leserbriefschreiber gaben daraufhin zu bedenken, daß dieses Gebiet möglicherweise nicht überflutungssicher sei bzw. gerade zu den Hunte-Überschwemmungsflächen gehöre – was kaum gegen den allseits beliebten Möbelhändler als vielmehr gegen die Bebauung eines vermeintlich landschaftlich geschützten Areals gerichtet war, das wegen seiner Weite und seiner Naturnähe bei Spaziergängern seinerseits sehr beliebt ist.

Abgesehen davon, daß dieses Gebiet keine Polderfläche mehr ist und durch moderne Deiche an Hunte und Kanal durchaus gut geschützt wird, wie auf dem Kartenausschnitt von 1993 zu sehen ist, war der vorgesehene erste Standort zwischen Holler Landstraße und Blankenburger Holz bezüglich Hochwasserschutz über jeden Verdacht erhaben. Liegt er doch schon seit Jahrhunderten östlich eines Deiches, den einst die Nonnen von Blankenburg oder spätestens deren Erben, die Grafen von Oldenburg, im Laufe landwirtschaftlichen Ausbaus anlegen ließen, um ihre Acker- und Waldländereien vor dem Huntewasser zu schützen. Dieser nach den benachbarten Wiesenflächen benannte Deich am Kleinen Felde (heute Klosterholzweg) ist schon auf der Vogteikarte von 1790 wie auf noch 60 Jahre älteren Karten in seinem heutigen Verlauf enthalten; vgl. den folgenden Kartenausschnitt mit dem obigen.

Lage der Flur Im Kleinen Felde um 1790 (Vogteikarte, moderne Umzeichnung 1:25.000 von 1960),
mit Einträgen von Martin Teller.

Das (gar nicht so) Kleine Feld gehörte ursprünglich auch zum Kloster. Wenn der Flurname (in der mittelniederdeutschen Form luttel wisch) schon aus dem Mittelalter stammt, was anzunehmen ist, zeigt er an, daß die geistlichen Damen anderswo – nämlich südöstlich des Klosters – noch größere Wiesenländereien besaßen. Von der Holler Landstraße aus ist die Zuwegung zum historischen Deich für Ortsfremde heute nicht leicht zu identifizieren, bieten sich jedenfalls Spaziergängern und Fahrradfahrern doch gleich drei Möglichkeiten; vgl. oben. Wer sich nicht auf die von Lastwagen frequentierte Werrastraße in der Mitte begeben mag, kann rechts davon den modernen Radweg benutzen oder links auf dem geschwungen ausgreifenden alten Deich den gegenwärtig noch freien Blick über die grüne Ebene genießen, der bis zu den Bäumen an der Hunte und den dahinter aufragenden weißen Getreidetürmen am Oldenburger Stau reicht.

Die Flur wurde westlich von einem anderen historischen Deich begrenzt, dessen Verlauf einem natürlichem Uferwall der Hunte folgen wird und damit als passierbare Wegstrecke mindestens bis in die Frühzeiten des 1294 gegründeten Klosters zurückreichen könnte: der spätestens im 17. Jahrhundert vollendete Poggendeich (von mnd.-plattdt. Poggen = Frösche.) Soll ein Weg nördlich um das Blankenburger Holz herum in dieser einst sumpfig-moorigen Gegend doch die erste landfeste Zuwegung von Oldenburg zum Kloster geboten haben, bevor etwa um 1400 Leibeigene der umliegenden Orte den von Drielake kommenden Klambeker Weg anlegten, den Westteil der heutigen Holler Landstraße. Dabei dürfte eine ältere Straße zum Mitte des 18. Jahrhunderts abgetragenen sogenannten Heidenwall, einer frühgeschichtlichen Wallanlage, aber schon bestanden haben, die als uralter Heerweg dem Flugsandrücken unter der Cloppenburger und Stedinger Straße folgend hier die Huntefurt bei Donnerschwee durchquerte. Das Stück des Klambeker Weges östlich davon bis südlich des Blankenburger Holzes dürfte aber in Gänze erst um 1400 entstanden sein, und danach wohl der Deich beim Kleinen Felde, der Wald und Waldacker schützt und gleichzeitig einen kürzeren und bequemeren Weg zum Kloster darstellte. Das Straßenstück der Holler Landstraße östlich davon wurde als Teil des Neuen Weges mit Ansiedlung der ersten Bauerstellen im daher sogenannten Neuenwege erst während des 16. Jahrhunderts angelegt.

Das Land des Klosters kam mit dessen Säkularisation (Auflösung des geistlichen Betriebes) gegen 1577 zuerst in landesherrliche und allmählich auch in private Hände. Das Flurstück jenseits des Poggendeiches zur Hunte hin namens Wesenbrok (oder -brook) war dagegen seit jeher Besitz von Donnerschweer Bauern – aus Sicht der Klosterverwalter die „Überhuntischen“, nach denen das Wesenbrok seinen zweiten Namen hatte, bzw. umgekehrt lag das Land für die Donnerschweer „över de Hunte“. Ursprünglich war es durch einen Huntenebenarm vom Blankenburger Ufer getrennt, der vom Poggendeich begrenzt wurde und allmählich verlandete, mit einer Ausnahme: der geschwungene Teil vom kleinen Grabenzug westlich des oberen Kleinenfelder Grabens, wo er parallel zum rot eingezeichneten Poggendeich in fast nördlicher Himmelsrichtung läuft, ist ein spärlicher Rest dieses alten Huntearms. Noch in zweiter Hinsicht ist der Kleinenfelder Graben eine Ausnahme, denn an ihm entlang – und nur hier in diesem Areal – zieht sich ein „besonders geschütztes Biotop“ (nach § 28a NNatG). Man wird ihn daher wohl von jeglicher Aufschüttung und Bebauung ausnehmen, trotz des bedrohlich in seine Richtung weisenden Fortführungsansatzes der Fuldastraße.

Im Gegensatz zum noch komplett vorhandenen Deich am Kleinen Felde ist der Poggendeich auf ganzer (noch unüberbauter) Länge nicht mehr als Wall erkennbar. Sicherlich wurde er im Zuge landwirtschaftlicher Bearbeitung wieder abgetragen. Zumindest ein Stück seiner Grundfläche am Ostufer des Kleinenfelder Grabens hat gute Aussichten, durch seine Lage im Biotop erhalten zu bleiben. Kultureller und ökologischer Landschaftsschutz greifen hier vollständig ineinander. Nicht minder schützenswert ist natürlich der ganze Deich unter dem Klosterholzweg, doch zum Schutzgedanken gehört auch, wenn schon nicht die historischen Fluren selbst so doch wenigstens ihre Flurnamen zu erhalten, was sich die Stadtverwaltung seit einigen Jahren immerhin selbst zum Ziel gesetzt hat. Das war offensichtlich noch nicht der Fall, als man bei Fulda- und Werrastraße auf Bezeichnungen zurückgriff, die in geographischer wie historischer Hinsicht mit Oldenburg und dem hiesigen Gelände überhaupt nichts zu tun haben. Nun würde sich anbieten, Im Kleinen Feld und Wesenbrok als die wichtigsten Flurnamen zu berücksichtigen, falls zwei Straßen im neuen Gewerbegebiet nördlich der Holler Landstraße gebaut werden.

Es ist eine geschichtsträchtige Gegend, das Gelände am neuen Osthafen – gewiß mehr als nur eine bloße Brachfläche, die erst im 20. und 21. Jahrhundert durch Gewerbeansiedlung „erschlossen“ wird. Vom hiesigen Land haben sich schon über viele Jahrhunderte hinweg Generationen von Menschen ihren Lebensunterhalt erarbeitet. Möge dies auch mit der neuen gewerblichen Nutzung möglich sein. Jedenfalls ist IKEA gut durch junge und z.T. auch noch durch alte Deiche gesichert. Freilich könnte es sein, daß die zu erwartenden Kundenströme hier doch noch „alle Dämme“ brechen lassen.

Martin Teller, 10.3.2006

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Vertriebenes Vertriebenendenkmal – ein Zwischenruf zur Standortfrage

Seit längerem und besonders intensiv in den ersten Monaten des Jahres 2006 stritten verschiedene Oldenburger Interessengruppen miteinander um einen passenden Standort für ein zu errichtendes Denkmal, das an das Schicksal deutscher Heimatvertriebener des II. Weltkriegs erinnern soll, von denen Oldenburg im Verhältnis zu seiner vorherigen Einwohnerzahl besonders viele aufgenommen hatte (dadurch seinerzeit etwa ein Drittel Neubürger). Das Folgende versteht sich als zusammenfassender Kommentar zu vielen unterschiedlichen Leserbriefen der Lokalpresse mit eigener Akzentuierung.

Wozu sich zur Diskussion um ein geplantes Vertriebenendenkmal zu Wort melden, habe ich mich gefragt, wenn sich die eigene fachliche Arbeit gegenwärtig doch auf Siedlungs- und Landschaftsgeschichte konzentriert, die historisch weitgehend belastungsfrei weniger Gefahren birgt, mißverstanden zu werden. Doch Gestaltungsfrage und Standortsuche eines Gedenkbauwerks ist Siedlungswesen im weiteren Sinne, Geschichte im engeren, und Städtebau ist zudem ein Teil der Geographie, die mich ebenso angeht. Als gebürtiger Oldenburger und Kind von einst wiederum als Kind Geflüchteten fällt es vielleicht leichter, manche gegensätzlichen Positionen in sich auszugleichen. Noch nützlicher wäre es dafür, zugleich jüdischen Glaubens zu sein, aber damit kann ich nicht dienen. Außerdem steht es jedem Bürger wohl an, sich auf seine persönliche Weise an der Gestaltung des Gemeinwesens zu beteiligen. Es sollen hier also einige Gedanken vorzugsweise über den offenbar schwer zu findenden Standort des Denkmals festgehalten werden, dessen Errichtung bereits im Stadtrat beschlossen wurde.

Das folgende in der Oldenburg-Literatur gefundene Foto vom Leobschütz-Gedenkstein spiegelt wegen des sichtbaren „Kommentars eines Hundes“ m. E. ironisch passend Inhalt und Tonart zahlreicher Leserbriefe dieser Wochen, in denen heißblütig für und wider Denkmal und Denkmalstandorte diskutiert wurde. Nach Stilart des trefflichen Karikaturisten Haitzinger – ich selbst muß mich auf eine gedankliche Zeichnung beschränken – fehlen eigentlich nur noch die Tauben von oben, um die Anwürfe gegen den Denkmalgedanken bildlich zu fassen.

 

Der sogenannte „Leobschützstein“ in der Grünanlage an der Peterstraße in Oldenburg. (Inschriften, vorne:) „Unvergessene deutsche Stadt im Osten Leobschütz“, (rechts:) Wappen Oldenburgs, sowie: „Patenstadt Oldenburg“, (hinten:) „Danzig / Memel / Pommern / Schlesien / Sudentenland / Ostpreussen / Westpreussen“. Wappen von Leobschütz, „1945“. Errichtet im Jahr 1958. Aus: Dietrich Hagen: Oldenburger Steinlese, Oldenburg 1993, S. 117.
Vgl. ebd., Titelseite, S. 110 und 113, Gestalt und Inschriften des 1990 geschaffenen benachbarten Mahnmals „Zum Gedenken an alle Opfer während der Zeit des Nationalsozialis­mus in Oldenburg 1933 bis 1945.“, das in seiner Gestaltung auf ein dahinter befindliches bereits aus dem Jahr 1967 stammendes Mahnmal zuführt und dieses als optischen Schlußpunkt einbezieht: „Hier stand bis 1938 das Gotteshaus der jüdischen Gemeinde“ (beider Beschriftung gekürzt).

Bei ernsthafter Betrachtung des bis dato nur noch wenig beachteten Steins kann man freilich auf den Gedanken kommen, mit ihm sei der Heimatvertriebenen durch vollständige Nennung der verlorenen ehemals deutschen Ostgebiete bereits in ausreichender Weise gedacht. Zumal der Stein in nächster Nachbarschaft zum Denkmal aller Opfer des Nationalsozialismus steht, seit Jahr und Tag auch in friedlicher Nachbarschaft zum älteren Synagogedenkmal. Hier scheinen alle Opfergruppen im Leid vereint zu sein. Wo ist nun das Problem?

Die Positionen

Liegt es bei den einstigen Vertriebenen, die längst in Oldenburg integriert nun im Alter sich verstärkt ihrer Jugendzeit erinnern und dies in ihrem besonderen Fall öffentlich dokumentieren möchten? Viele gebürtige Oldenburger werden einen traumatischen Heimatverlust nur schwer nachvollziehen können; wie überhaupt etliche kriegsbedingte Traumata unserer Bevölkerung erst jetzt zur Sprache kommen und vielleicht noch aufgearbeitet werden können – gewissermaßen als zweiten Teil der Kriegsbewältigung nach der Aufarbeitung schuldhafter Verstrickung des deutschen Volkes in barbarische Verbrechen. Entsprechend müßte es doch möglich sein, ein sensibel gestaltetes Denkmal zu errichten, wobei es sich natürlich anböte, den Leobschützstein einzubeziehen. Bei ihm steht die eine Stadt ein wenig zu sehr im Vordergrund, trotz Erwähnung anderer Gegenden auf der Rückseite, um als alleiniges Vertriebenendenkmal zu überzeugen. Möglich wäre eine ähnlich „wachsende“ Gestaltung wie um das Synagogenmahnmal.

Oder liegt die Ursache für den heftigen Konflikt bei den Sprechern des örtlichen Judentums, die durch eine nahe Vertriebenen-Gedenkstätte – vorgeschlagen war zuerst ein Standort am Heiligengeistwall Ecke Julius-Mosen-Platz – vielleicht ihre eigene entwertet sehen? Anscheinend befürchten sie, dadurch könnte das Leid jüdischer Opfer relativiert oder gar negiert werden (was m.W. niemand beabsichtigt). Demnach wurden sie erst kürzlich durch die Initiative des Vertriebenenverbandes darauf gestoßen, daß sich schon seit langem ein ähnliches Denkmal in unmittelbarer Nachbarschaft des eigenen Synagogensteins befindet, da wie erwähnt der Leobschützstein bislang eher ein Schattendasein führte. Dann hätten sie aber seit 1990 geflissentlich übersehen, daß die damals sicher mit ihnen abgesprochene und mit großem Presseecho eröffnete Denkmalerweiterung vor dem Synagogenstein eben nicht nur jüdischen Opfern gilt. Man hätte dort natürlich ein rein jüdisches Mahnmal belassen und der anderen Opfer anderswo gedenken können. War es keine gute Idee, einen gemeinsamen Ort der Trauer und Erinnerung als Grundlage von Versöhnung und gegenseitigem Verständnis schaffen zu wollen?

Es sind zwei im Kern berechtigte Anliegen, die hier irrtümlich aufeinanderstoßen. Das Problem liegt nämlich in der Definition von „Opfern“ bzw. darin, daß den Vertriebenen dieser Status von manchen – nicht nur jüdischen – Kritikern nicht zuerkannt werden mag. Dann scheint es auch nicht möglich, gemeinsam – sozusagen auf gleicher Tränenhöhe – zu trauern. Tränen freilich, die auf beiden Seiten längst nicht mehr fließen sondern allenfalls bitteren oder wehmütigen Ingrimm folgen ließen, der sich immer noch in Denkmaldebatten entladen kann.
Doch zu den bestrittenen Opfern. Abgesehen davon, daß es durchaus möglich ist, Täter und Opfer in einer Person zu sein, wie zahlreiche Gerichtsfälle zeigen und was man bei näherer Kenntnis wohl etlichen Flüchtlingen zuschreiben müßte, können die Kinder und Jugendlichen der Flüchtlingstrecks wohl kaum als „Täter“ bezeichnet werden. Zudem ist Hitler nie von sämtlichen deutschen Volksangehörigen unterstützt geschweige denn gewählt worden (er hat sich aus einer starken Minderheitsposition heraus bekanntlich nur mit Hilfe einer wehrlosen demokratischen Verfassung an die Macht bringen und danach zweifellos noch etliche Opportunisten für sich gewinnen können). Genaue Prozentanteile lassen sich im hiesigen Zusammenhang kaum feststellen. Falls eine ungefähre Übertragung der Ergebnisse der letzten freien Reichstagswahlen auf die Gruppe der Heimatvertriebenen (abzüglich der späteren zusätzlichen Mitläufer) methodisch zulässig ist, waren die Nicht-Nazis auch dort in der Mehrheit oder zumindest eine große Minderheit. Gewiß waren viele Vertriebene zuvor braune Parteigänger und mußten mit der katastrophalen Niederlage und dem Verlust ihrer Heimat die Folgen dessen am eigenen Leibe erleiden, insofern wurden sie als aktive oder passive Mittäter zu Opfern. Aber man tut mit Pauschalverurteilungen denjenigen Vertriebenen bitter Unrecht, die erst Hitler und seine Politik abgelehnt hatten, anschließend aber genauso die Folgen von Krieg und Zusammenbruch erleiden mußten wie jene, die im juristischen oder moralischen Sinne mitverantwortlich daran waren. – Während andere im Westteil des Reiches gänzlich verschont blieben, Unschuldige wie Schuldige.
Es ist gewiß nicht leicht mit den Vertriebenen wie mit allen damaligen Deutschen: Genausowenig, wie sie kollektiv schuldig waren, sind sie kollektiv von jeder Mitschuld freizusprechen. Man wird immer die Individuen betrachten müssen, sofern sich einem die einzelnen Lebensläufe noch erschließen bzw. wie weit Vereinfacher unterschiedlicher Provenienz und Motivationslage überhaupt an mehr als Schwarz-Weiß-Malerei interessiert sind. Die Vertriebenen erinnern mehr als die „seßhaft Gebliebenen“ an deutsche Schuld und sind daher offensichtlich vielen Zeitgenossen peinlich. Geschichtsverdrängung ist immer noch nicht gänzlich überwunden (sie steigert sich in gewissen Bevölkerungsgruppen geradezu zur Geschichtsvergessenheit). Dabei sind die heute noch Lebenden der ehemaligen Flüchtlinge gewiß mehrheitlich zu jung gewesen, um überhaupt an Verbrechen teilgenommen haben zu können. Daher ist ein Denkmal für diese Personengruppe zweifellos vertretbar und auch angebracht.

Die Orte

Auf dieser Basis darf man sich getrost nach einem geeigneten Standort für das Denkmal umschauen. Die Oldenburger schauen noch und es schaut nicht so aus, als würden sie sich leicht einigen können.

Heiligengeistwall / Ecke Julius-Mosen-Platz: Niemand wird dem integeren und verdienten Landtagspräsidenten a. D. Horst Milde ernsthaft unterstellen wollen, mit diesem Ortsvorschlag ein ideologisch begründetes „Gegendenkmal“ zu dem Bestehenden beim Platz der früheren Synagoge im Sinn zu haben. Zumal das dortige Mahnmal zwar vor allem aber ausdrücklich nicht nur an die ermordeten Juden unserer Stadt erinnern soll, sondern an sämtliche Opfer des Nationalsozialismus, wozu eben auch viele Vertriebene zählen. Die unterschiedlichen Auffassungen darüber sind erläutert. Wer die verschiedenen Opfergruppen lieber trennt, müßte die verdeckenden Häuser zur Kenntnis nehmen, die schräg zwischen dem Mahnmal an der Peterstraße und dem vorgeschlagenen Platz beim Haarentor stehen, den einst eine geschichtlich unbelastete (recht hübsch anzusehende) Feuerwache einnahm. Beide Orte liegen diagonal über 75 m Luftlinie entfernt, eine zwangsläufige Wegverbindung besteht nicht. Der kleine Platz am Heiligengeistwall, der zusätzlich durch den Haaren-Stadtgraben von der Gedenkstätte an der Peterstraße getrennt wird, ist von dort aus nur einzusehen, wenn man sich beim Hinschauen partout verrenken will oder den eigentlichen Denkmalplatz verläßt.
Es ließe sich gegenüber den Trennungsbefürwortern noch ins Feld führen, daß durch eine Einbeziehung des Leobschützsteins in ein größeres Denkmal dieser von seiner bisherigen Position nahe dem Synagogenstein entfernt würde, was allerdings für andere mögliche Standorte auch gilt. – Außer bei einer praktischen Erweiterung des Vertriebenendenkmals direkt an der Peterstraße, woran angesichts der Diskussionslage wohl nicht zu denken ist. Platz wäre auf der Grünfläche noch reichlich vorhanden.
Angesichts dieser Tatsachen läßt sich nur konstatieren, daß es den Gegnern jenes Standortes offensichtlich darum geht, eine Bannmeile eigener Definitionsweite um das von ihnen allein für jüdische Opfer reklamierte Denkmalensemble zu ziehen, was ihnen bei aller Rücksicht auf die Schutzwürdigkeit des von ihnen so vehement „verteidigten“ Ortes nicht zukommt und eingedenk der momentanen Position des Leobschützsteins ohnehin absurd ist.

Manche Leserbriefschreiber brachten bei der Gelegenheit die Säule auf dem nahen Friedensplatz ins Spiel und mokierten sich über die bestehende und durch das neue Denkmal möglicherweise noch verstärkte Denkmalhäufung dieser Gegend. Dazu sei gefragt, warum die geschichtsreiche Großstadt Oldenburg sich nicht eine Art historischer Gedenkmeile leisten soll, die am Beginn der hiesigen „Bildungsmeile“ (Ofener Straße und Ammerländer Heerstraße mit Universität, Fachhochschule und zahlreichen höheren und niederen Schulen) doch gar nicht unpassend läge. Immer wieder wurde von unterschiedlichen Personen vorgeschlagen, den im II. Weltkrieg zu Rüstungszwecken eingeschmolzenen einst auf der Säule befindlichen Friedensengel anhand vorhandener Originalschablonen wiederherzustellen. Merkwürdigerweise fand dies bislang keine Mehrheit, dabei läßt sich im Friedensengel doch das prominenteste aller Naziopfer sehen.

Bahnhofsvorplatz: Gewiß, auch den Oldenburger Bahnhof hat man traurigerweise zur Judenvernichtung mißbraucht. Mit Hinweis auf die von hier ausgegangene Deportierung der stadtoldenburger Juden in Konzentrationslager wurde gegen einen möglichen Alternativstandort des Vertriebenendenkmals auf dem Bahnhofsvorplatz argumentiert, den die Stadtverwaltung vorgeschlagen hatte. Dabei sollte doch niemand päpstlicher als der Papst sein wollen, sprich: empfindlicher als die lokalen jüdischen Vertreter, die bis auf den Platz am Heiligengeistwall erklärtermaßen keinen Ort für das Vertriebenendenkmal ablehnen wollen.
Natürlich war auch unser Bahnhof tragisch einbezogen in die verderbliche Infrastruktur des Nazireiches, und im weiteren Sinne auch dessen Vorplatz. Hier aber kreuzen sich naturgemäß die Lebenswege vieler Menschen, die glücklicherweise nicht allesamt tragisch verlaufen. Ohnehin wird man in Deutschland wohl keinen Ort finden, wo nicht entweder Nazitäter oder Naziopfer oder beide zugleich gewesen sind. Wenn es allein danach ginge, jegliche Berührungen mit 1933-45 in irgendeiner Weise mißbrauchten Orten zu vermeiden, könnte man hierzulande wohl nirgendwo mehr Denkmäler aufstellen, die nicht ausschließlich den immer selben Kreis von Opfern thematisieren, und würde andere übergehen, von positiven erinnerungswürdigen Ereignissen ganz zu schweigen. Letztlich würden dadurch die Möglichkeiten der Raumnutzung insgesamt übermäßig eingeschränkt. Man sollte sich daher aus praktischen lebensnahen Erwägungen darauf einigen, jeglichen Bereich als „nicht übermäßig kontaminiert“ zu betrachten, solange es sich nicht um eine besondere Verfolgungseinrichtung wie etwa ein regelrechtes Foltergefängnis oder gar ein KZ handelt, und dann der zahlreicheren untergeordneten Tatorte lediglich summarisch gedenken oder sie en detail in einschlägigen Fachbeiträgen behandeln und ansonsten einer aktuellen Nutzung freigeben.
Ohnehin wehrt man sich allmählich auch gefühlsmäßig gegen eine inflationäre Tabuerklärung etlicher Orte, die im Laufe ihrer Geschichte teilweise unbestreitbar Schreckliches gesehen haben, für die heutigen am vergangenen Unglück unschuldigen Menschen aber doch überwiegend alltägliche Lebenswelt sind und sein müssen, wie etwa der gesamte Bahnhof und sein Vorplatz. Bringt zur Aufklärung gerne inhaltsreiche Gedenktafeln an, gebt Informationsfaltblätter heraus und schreibt Aufsätze und Bücher zum Thema – als Historiker kann ich gar nicht genug von geschichtlichen Hinweisen aller Art bekommen – , aber laßt den Lebenden Raum in der Gegenwart und beschränkt die Tabuzonen auf besondere Schwerpunkte des Naziverbrechens! Permanent und insistierend aufgezwungene Erinnerungskultur mit zahlreichen Ver- und Geboten wird eher zum reflexhaften vergessen-Wollen führen als das Interesse an Geschichte zu fördern, besonders wenn diese ausschließlich negativ wahrgenommen wird. Historiker sind doch keine Wächter des Zugangs von (un)heiligen Hainen, auch keine Totenpriester, die andere Leute beständig in Sack und Asche gehen lassen wollen, sondern Vermittler lebendiger Reflexionsfähigkeit, die außer den berechtigten Lehren der jüngeren Vergangenheit noch reichlich andere Geschichtsinhalte behandeln! So notwendig Lektionen über das „Dritte Reich“ im Schulunterricht und später zur Auffrischung und Vertiefung sind, es liegt zuweilen eine Gefahr der Übersättigung in ihnen, die unnötigerweise zur völligen Ablehnung jeglichen geschichtlichen Denkens führen kann.
Aber zurück zum Bahnhof als potentieller Denkmalstandort. Dessen angebliche Nichteignung wie auch die des Platzes am Heiligengeistwall läßt sich eigentlich nur begründen, wenn man den Vertriebenen, die sich doch auch als (Nazi)Opfer fühlen, entweder pauschale Mittäterschaft unterstellt, oder ihre millionenfachen Schicksale gegenüber denen der eindeutiger zu bestimmenden (und durchschnittlich schwerer getroffenen) Opfergruppen für vernachlässigbar hält, oder sich der Mühe halber nicht näher mit notwendigen Differenzierungen innerhalb der Vertriebenen befassen möchte, die weiße von schwarzen Schafen trennt. Konzentrierten sich die Beurteilenden auf die gegenwärtig noch lebenden ehemaligen Flüchtlinge, seinerzeit überwiegend unbelastete Kinder, wäre eine Ablehnung so leicht nicht möglich.
Als wohl einzigen gravierenden Einwand gegen den Bahnhofsplatz ließe sich allerdings anführen, daß ein Bahnhof durchaus Ankunft symbolisieren kann, die meisten der ehemaligen Flüchtlinge über ihn aber nicht nur einst die Stadt erreicht haben sondern hier längst etabliert sind, also nicht mehr „ankommen“ sondern „da sind“. Insofern wäre ein zentrumsnäherer Standort symbolisch „inmitten der Gemeinschaft“ durchaus überlegenswert.

Dem Dargelegten ist zu entnehmen, daß meiner Auffassung nach beide besprochenen Standorte gleichermaßen gut für das Vertriebenendenkmal geeignet wären, der Ort am Heiligengeistwall noch etwas mehr als der am Bahnhofsplatz. Da aber die ehemals Vertriebenen mittlerweile in allen Stadtteilen zu Hause sind, sollte man unsere Vororte als Denkmalstandort nicht grundsätzlich ausschließen, immerhin ist Oldenburg gerade durch die aufgenommenen Flüchtlinge nach allen Seiten so stark gewachsen. Voraussetzung wäre aber, nicht das Gefühl bekommen zu müssen, das Denkmal solle in einem der ausgedehnten Vororte schamvoll „versteckt“ werden. Es wäre schon an einer dauernd frequentierten Hauptverkehrsstraße aufzustellen.
Als passend wurde das Gelände der ehemaligen Hindenburg-Kaserne genannt, das wegen seiner einstigen Nutzung als Flüchtlingslager und Durchgangsstation für viele Neu-Oldenburger zweifellos geeignet wäre. Der entsprechende historische Charme wäre gegeben, wenn das Denkmal im Grünstreifen an der Cloppenburger Straße vor einem der verbliebenen Kasernenbauten aufgestellt würde, die größtenteils als Flüchtlingswohnungen hergerichtet waren, etwa am südlichsten Block gegenüber dem Klingenbergplatz. Dort hat man nach der Privatisierung der Kasernenbauten vor einigen Jahren das von Nazisymbolen gänzlich freie Soldatenrelief abgeschlagen (anstatt einfach auf der gehaltenen Fahne ein Firmenlogo anzubringen und damit einen keineswegs frevelhaften Marketinggag zu erzielen, denn das wäre allemal besser gewesen als die stattgefundene Denkmalzerstörung). Mit Geschichtsverdrängung erzielen wir keine Fortschritte, Verdrängung hilft nicht lernen. Nur wenn man im Gegenteil genau hinschaut, läßt sich erkennen, daß unsere deutsche Geschichte eben nicht nur aus jenen 12 verhängnisvollen Jahren besteht, auf die sie in jüngster Vergangenheit gerne reduziert wurde, sondern reichhaltigere und bereicherndere Facetten beinhaltet.

Manche der zahl- und zuweilen auch namenlosen Flüchtlinge haben sicher kein Denkmal verdient, andere hätten schon längst eins bekommen müssen. Wer kennt schon die vielen Einzelschicksale. Warum nutzt man diese Problemlage nicht als Chance, ein „ehrliches“ Denkmal zu schaffen, mit dem sich alle Oldenburger identifizieren können, indem man Täter- und Opferschaft unter den einzelnen Mitgliedern der Vertriebenengruppe (gleich der Nicht-Vertriebenen) in gebührender Weise erwähnt? Wobei manche nur Täter, manche nur Opfer, und manche beides gewesen sind.
Vor allem aber sollte man bei der Denkmalgestaltung außer Heimatverlust und Heimatfindung einen Aspekt berücksichtigen, der bislang noch fast gar nicht zur Sprache gekommen ist: den der großen Aufbauleistung, mit der die Vertriebenen auch in der vom Krieg weitgehend unzerstörten Stadt Oldenburg einen bedeutenden Beitrag zum Wiedererblühen von Staat und Gesellschaft geleistet haben. Die Stadt verdankt den Flüchtlingen viel, zuallererst ein Drittel ihrer Einwohner und den Status einer Großstadt, nicht zuletzt eine Reihe von kreativen Köpfen.
Ein allseits akzeptiertes Denkmal über angekommene Vertriebene wird Leid und Freude thematisieren müssen, Zähigkeit, den Mut, den Willen und die Fähigkeit, Zukunft gestalten zu können. Damit wäre es ein höchst aktuelles Mahnmal für alle Seßhaften und Vertriebenen dieser globalisierten, wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich so schwierigen Zeit.

Martin Teller, 31.3.2006

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Das verschwundene Schloß von Donnerschwee

In seiner Rubrik und unserer Stadt schaute sich der NWZ-„Stadtbummler“ junge Straßen in der Donnerschweer Gegend „Unterm Berg“ an (Artikel „Großzügig am Borgwall“, Nordwest-Zeitung Nr. 100, Samstag, 24.4.2006). Dabei fragte er sich: „Warum Am Borgwall? Hat es in Donnerschwee je eine Burg mit Wall gegeben? Oder kommt Borg eher von Berg? Dann würde der Name durchaus in die Gegend des uralten (und längst abgetragenen) Beverbäkenberges passen. Wohnen in der Stadt ist eben immer auch ein bißchen Blättern in der Stadtgeschichte ...“

So ist es in der Tat! Dann blättern wir mal – bzw. klicken – und werfen etwas Licht in das Dunkel der Geschichte.

Lage der ehemaligen Burg bzw. des Schlosses zu Donnerschwee, seines noch bestehenden Wirtschaftshofes und des einstigen Verlaufs der Beverbäke nach Flurkarten bis 1850. Eingetragen in einen eingegrauten Ausschnitt der Karte der Stadt Oldenburg, 1:10.000, Oldenburg 1993. Burgplatz u.a. nach Heinrich Munderloh (Kartenvorlagen mit leichten Verzerrungen). Thematisch bearbeitet von Martin Teller, Mai 2006.

Der Stadtbummler, dem die Straßen der ausgedehnten Oldenburger Vororte regelmäßige Beachtung verdanken, war einige Schritte lang auf dem falschen Pfad: „Borg“ und der bis in die 1920er Jahre abgetragene „Berg“ ist nicht dasselbe. Auch ist der Straßenname „Unterm Berg“ nicht mit „im Tal“ gleichzusetzen, wie im selben Artikel vermutet wird, weil dafür der „Gegenberg“ fehlt. Unterm Berg bedeutet „am Fuße des Beverbäkenberges“, läßt sich auch – immer noch aktuell – als „unterhalb des Geestabhangs“ verstehen. Im Gegensatz dazu beruht der Straßenname Am Borgwall nicht auf Landschaftsgeschichte, sondern auf Siedlungsgeschichte.
Es hat im Mittelalter in dieser Gegend nämlich tatsächlich eine Burg mit Wall gegeben. Vermutlich bestand sie sogar hauptsächlich aus Wällen mit nur wenigen Wohnbauten, doch an der heutigen Oberfläche ist nichts mehr davon zu entdecken. Es ist auch keine Ansichtszeichnung bekannt, so daß sich Gesichertes allein zur Position der Burganlage sagen läßt – immerhin, was auf älterer mündlicher Überlieferung sowie auf Angaben jüngerer Autoren beruht, darunter Heimatforscher Heinrich Munderloh (Die Bauerschaft Donnerschwee, Oldenburg 1982, S. 10-17, 140.), die sich vor allem auf eine Luftbildaufnahme von 1952 stützen. Zusätzlich kann der Verfasser eigene historisch-geographische Beobachtungen und Korrekturen einbringen.

Demnach liegt der Burgplatz in der einstigen Wiesengegend zwischen dem alten Dorfrand von Donnerschwee und dem Hunteufer, die jetzt Gewerbegebiet ist und vom Gleis der ehemaligen Braker Bahn durchschnitten wird. Im wesentlichen südlich davon und westlich der Wehdestraße befand sich eine heute in ihrer Form nicht mehr erkennbare ca. 150 x 200 m große ovale Wiesenparzelle, die auffallenderweise den Flurnamen „Bollwerk“ trägt, im Inventar des zugehörigen Bauernhofes von 1817 heißt sie noch eindeutiger „Borgwall“. Auf der Luftaufnahme sollen darin deutlich die Umrisse der alten Burganlage zu erkennen sein, die sich unterhalb der Grasoberfläche abzeichneten: eine erhöht liegende etwa 30 x 40 m große Fläche, wie sie in die obige Karte eingetragen ist, mit einigen Steinfundamenten, umfaßt von zwei schon Mitte des 19. Jahrhunderts zugewachsenen Gräben. Der davon abgehende „Schaufelstiel“ zeigt noch die Zuwegung von Norden her, die gewiß über den Hofplatz des alten Bauernhofes lief, der heute die Hausnummer Wehdestraße 68 trägt.
Die anderen Rotstriche markieren den Verlauf der historischen oberen Wehdestraße und weitere Geländemarken, die zur ungefähren Einpassung der alten Flur in die moderne Karte dienten. Unterhalb der südlichen Wegeverdickung brach die alte bis zur Huntefurt führende Straße nicht etwa ab, sie verlief auch nicht über die heutige untere Wehdestraße, sondern weiter östlich über das Gelände des jetzigen Klärwerks. Zur besseren Orientierung im Gelände ist die junge Maastrichter Straße nördlich des Bahngleises in den Kartenausschnitt von 1993 nachgetragen (der nebenbei den nordwestlichen Anschluß zur Karte des Artikels über die „IKEA-Deiche“ darstellt). Der blau gezeichnete Verlauf der Beverbäke gibt den Stand von Ende des 18. bis Mitte des 20. Jahrhunderts wieder, an manchen Stellen wird er freilich viel älter sein. Die abschnittsweise auffallend geraden Bachstrecken beispielsweise deuten auf frühere wasserbauliche Eingriffe, die möglicherweise sogar noch in Zusammenhang mit dem Burgenbau standen, läßt sich ihr rechtwinkliges Umfließen der Burgstelle doch als teilweise Umleitung zum verbesserten Schutz der Burg interpretieren. 

Mit diesen nach heutiger Architektur bescheidenen Ausmaßen paßt die Burg von Donnerschwee in das Bild der spätmittelalterlichen Burgplätze des ammerländischen Landadels, die mit gewöhnlich hundert mal hundert Fuß (30 Meter Seitenlänge) alle so klein waren. Munderloh beschreibt ihre Gestalt anhand von Ausgrabungsergebnissen der vergleichbaren Anlage Gut Horn bei Wiefelstede (Ergänzungen vom Verfasser): „Gelegen im natürlichen Schutz der sumpfigen Niederung von Hunte und Beverbäke, umgeben von Wall und Graben, der vom Fluß her [eher von der Bäke] gespeist wurde, auf dem Wall ein Palisadenzaun. Eine Zugbrücke führte auf den Burgplatz, die Burg selbst war ein einfaches Fachwerkhaus von 10 Fach [Länge, wohl mit Reitdach] wie die Bauernhäuser im Dorf, daneben innerhalb der gleichen Umwallung, aber zusätzlich von eigenem Graben umgeben, noch ein ‚Bergfried’ [zum Brandschutz] mit Dachpfannen gedeckt, dieser [hier eher kein Wehrturm sondern lediglich] Vorratsspeicher mit einem Keller für Bier und andere kühl zu verwahrende Lebensmittel [und einige wertvolle Gegenstände, evtl. sogar noch für Saatgut].“
Möglicherweise befanden sich noch Ställe und ähnliche Nebengebäude in einer Vorburg oder außerhalb der kleinen Anlage auf der selben Flur, die später Bollwerk oder Borgwall genannt wurde. Das Hauptgebäude hatte noch immer die gleiche Gestalt wie die gewöhnlichen Häuser auch der leibeigenen Bauern, von hohen Türmen und zinnenbewehrten Steinmauern, die wir mit Burgen gewöhnlich verbinden, keine Spur, denn dies alles war in der hiesigen weitgehend „steinlosen“ Landschaft nicht üblich und wäre selbst der darin wohnenden wohlhabenden Niederadelsfamilie v. Bremen-Porsenberg unerschwinglich gewesen. Auch nicht ganz preiswerte Ziegelmauern waren bei Landadelssitzen noch nicht die Regel. Eine unzugängliche Umgebung und zusätzlich Wall und Graben konnten aber ebenso guten Schutz bieten. Diese einfache Gräftenburg (von Graft = Graben) ist vermutlich Ende des 14. Jahrhunderts baulich verbessert worden, worauf die steinernen Gebäudemauern hindeuten könnten (falls diese nicht nur zum Speicher gehörten; denkbar wären neue Ziegelbauten) sowie die Tatsache, daß das Gebäude in Urkunden von 1399 und 1436 „slot“ genannt wurde und nicht einfach „borch“, was mehr bedeuten wird als ein bloßes Synonym oder einen Ausdruck von Besitzer- und Adelsstolz. Daraus zu entnehmen, die Wehranlage habe das Bild eines „vornehmen Schlosses“ geboten, wie Munderloh es tut, ist allerdings zu weit hergeholt. Mit dem Oldenburger Schloß der Grafen wird es sich nicht haben vergleichen können, und auch dies bot bis zu Graf Anton Günthers grundlegender Umgestaltung keinen architektonisch besonders reizvollen Anblick, wenngleich es Ziegelfachwerkgebäude und einen echten steinernen Bergfried besaß und mit ca. 100 x 100 Metern eine etwa achtmal größere Grundfläche als das Donnerschweer „Schloß“ einnahm.

Doch dieses erfüllte für die Bewohner ebenso seinen Zweck als hinlänglich repräsentativer adeliger Wohnbau – natürlich auf bescheidenerer Ebene als die der Landesherren, aber der wehrhafte Wall mit Graben und Zugbrücke hob das Anwesen wenigstens über einfache Bauernstellen hinaus, selbst wenn diese gelegentlich auch ein großes Haus und einen umgräfteten Speicher besessen haben.
Noch etwas ist gemeinsam mit dem Oldenburger Schloß: Auch das in Donnerschwee stand an einem machtpolitisch günstigen Punkt, was ebenso für die baulich ähnlich vorzustellende kleine Burg Beverbäke galt, die bei der heutigen Junkerstraße und Junkerburg am Ufer der Beverbäke gelegen hat und den Übergang der Heerstraße von Oldenburg nach Moorriem und Bremen vielleicht einst „beherrschte“. Die Donnerschweer Burg stand unweit des bereits erwähnten Heerstraßen-Teils, der vom südlichen Geestrücken unter der Cloppenburger und Stedinger Straße herführend beim Drielaker „Heidenwall“ – einer weiteren kleinen Burg, im Spätmittelalter bereits aufgegebenen – offenbar die Hunte in einer (jetzt ausgebaggerten) Furt durchquert hat, durch Donnerschwee lief und sich am nördlichen Ortsausgang in mehrere Richtungen verzweigte. Dies war ein Nadelöhr, ein wahrhaft sensibler Punkt an der lange Zeit wichtigsten Nord-Süd-Verbindung des Oldenburger Landes.
Haben die Eigentümer der Donnerschweer Burg ihn kontrollieren können, wie Munderloh annimmt? Dies wie auch die Bedeutung der Beverbäker Burg hängt von den Oldenburger Grafen ab, die ihre Oldenburg um 1150 erbauen ließen und damit den Verkehr über einen künstlichen „Damm“ (so noch heute der Straßenname) durch die Hunteniederung ab der Heerstraße bei Osternburg an sich zogen, womit die Bedeutung der älteren Furt bei Donnerschwee schwand. Das müssen auch die Nachfolger der Burgeigentümerfamilie so gesehen haben, die v. Schagen und mit ihnen wohl die (v.) Schleppegrell, da sie 1399 ihr Schloß an die Grafen verkauften, bevor sie hundert Jahre später wie so manche andere Niederadelsfamilie gänzlich vor der immer stärker werdenden Stellung des Grafenhauses in andere Herrschaftsgebiete auswichen. Wer sich auch in Donnerschwee letztlich durchgesetzt hat, ist damit eindeutig.
Für die Zeit des Früh- und Hochmittelalters läßt sich die Frage nach der Kontrollmacht aber gar nicht definitiv beantworten, weil sie zwangsläufig eine weitere aufwirft, die mangels genauer Datierungsmöglichkeiten unklar bleiben muß: die des Alters der Burg. Ob und gegebenenfalls wann von der Donnerschweer Burg aus die Heerstraße beherrscht wurde, hängt von der Erbauungszeit ab und den lokalen und regionalen Machtverhältnissen im nachmaligen Oldenburger Land, über die wir aus der Zeit vor 1000 so gut wie nichts wissen. Einige Indizien können indes für genauere Eingrenzung sorgen: Die Bauernsiedlung Donnerschwee stammt mutmaßlich aus germanischer Zeit („Donars Wehde“), ist jedenfalls älter als die hochmittelalterliche Übersiedlung der Grafen an den Ort der „Aldenburg“. Auch die Burg in Donnerschwee dürfte kaum schon vor den dortigen Bauernhöfen vorhanden gewesen sein, da Adelige – auch die Grafen – nach altsächsischer Weise noch lange auf größeren Herrenhöfen zu wohnen pflegten. Bescheidene Hügelburgen – sogenannte Motten – setzten sich als Adelswohnsitze erst in der Zeit der salischen Kaiser durch (ca. 1100-1200), reine Gräftenburgen etwas später, und ebendieser Zeit dürfte auch das sogenannte Donnerschweer Schloß entstammen.
Demnach wäre es im Laufe des späteren 13. oder des 14. Jahrhunderts entstanden, seine schriftlichen Nachweise reichen nicht vor 1399 zurück. Da die Grafen nicht vor diesem Kaufdatum mit Besitz in Donnerschwee auftreten, haben sie bis dahin anscheinend wenig Einfluß im Gebiet am Geestabhang gehabt, was einen unabhängigen Burgenbau durch konkurrierende Adelsfamilien zuließe. Allerdings hatten sie ihre Machtstellung auf Landesebene nach dem Tiefpunkt der Ritteraufstände im 13. Jahrhundert wieder konsolidiert und wären in der Lage gewesen, eine wirklich bedrohliche nahe Gegenmacht auszuschalten. Die Burg der Aufständischen im heutigen Wardenburg wurde nach dem Sieg der Grafen in der Schlacht bei Tungeln geschleift, was mit der Donnerschweer Burg auch geschehen wäre, wenn deren Eigentümer Gegner der Grafen gewesen wären. Demnach ist diese Burg entweder zwar in der gräflichen Schwächephase des späten 13. Jahrhunderts entstanden aber nicht gegen ihre Macht gerichtet gewesen bzw. sollte im Gegenteil zu ihrer Unterstützung durch eine ihnen verbundene Adelsfamilie dienen, oder sie entstand erst nach der Krise im 14. Jahrhundert und wurde dann von den Grafen geduldet, weil diese mit der Oldenburg ohnehin seit Jahrhunderten die inzwischen wichtigere trockene Straßenverbindung beherrschten und sie mit den Herren v. Bremen-Porsenberg nachweislich auf freundlichem Fuß standen, die als gräfliche Amtmänner auftraten und in deren Sinne bei der Huntefurt eine gewisse Kontrolle ausgeübt haben könnten. Indem sie etwa zu verhindern suchten, daß streifende Feinde oder Zollbrecher unbemerkt an der Oldenburg vorbei über die alte Furt auf das andere Hunteufer setzten. 1428 bis mindestens um 1450 ist dort eine Zoll- und Hafenstelle für den Schiffsverkehr bekannt.
Dies alles relativiert Munderlohs „strategische“ Bedeutung der Burg Donnerschwee. In militärischer Hinsicht besaß sie allenfalls lokale Relevanz. Wichtiger dürfte von Anfang an ihre Funktion als standesgemäßer Wohnsitz gewesen sein. Gleichwohl war sie bedeutend genug, daß die Grafen die Burg erwarben, wobei sie aber zur weiteren Stärkung ihrer Position vor allem die umfangreichen zugehörigen Besitzrechte im Blick gehabt haben werden, die in einer Urkunde von 1436 deutlich werden, als sie das Schloß aus Geldmangel vorübergehend verpfänden mußten.

Im landschaftlich-geschichtlichen Zusammenhang ist interessant zu wissen, daß die Familie v. Bremen und ihre Zweige den Biber im Wappen führten, der auch in der Alten Welt natürlicherweise vorkam, bis er durch Jagd ausgerottet wurde. Davon zeugt neben diversen deutschlandweit vorkommenden Orts- und Flurnamen auch der hiesige Name der Beverbäke, die hochdeutsch nichts anderes als „Biberbach“ heißt. Er floß direkt neben dem Adelssitz – demnach haben seine Bewohner das Sinnbild ihrer vornehmen Existenz ihrer unmittelbaren ländlichen Lebenswelt entnommen.
Aus der weiteren Geschichte der Burg/des Schlosses ist überliefert, daß es im Jahre 1423 Heilwig, Herzogin von Schleswig, der Gemahlin des Grafen Dietrich, als Witwensitz diente. 1427-31 wurde dort Ingeborg aufgenommen, die Tochter des Grafen Moritz II., die nach dem Tode ihres friesischen Gemahls Ocko tom Broke aus dessen Heimat vertrieben worden war. Insofern muß es zu der Zeit nach damaligen Maßstäben tatsächlich zu den besseren Häusern gehört haben, wenngleich es von Alter, Bausubstanz, Wirkung, Wehrhaftigkeit und Bedeutung her immer weit hinter der Oldenburg zurückgeblieben ist. Nach 1436 hören wir nichts mehr davon, die Nachrichten brechen ab. Seither ist das Schloß von Donnerschwee verschollen.
Die Vermutung liegt nahe, es sei in einer kriegerischen Auseinandersetzung zerstört worden, an wahrscheinlichsten in einer der ständigen Fehden Graf Gerds des Mutigen. Der Brandfackel boten sich Gelegenheiten genug, als 1463 die vereinten Truppen von Graf Moritz III, Gerds Bruder, und den Bremern bis vor Oldenburg zogen, als nur ein Jahr später die Bremer Ohmstede und Donnerschwee verbrannten, oder gar 1474, als Burg und Stadt Oldenburg über 14 Tage lang von münsterschen, friesischen und bremischen Koalitionstruppen unter der Führung des Bischofs von Münster vergeblich belagert wurden. Sie haben ihren Zorn in Stadtnähe nachweislich an Everstener Scheunen ausgelassen, vom auffallenderen Donnerschweer Schloß, das ein besseres Plünderungsobjekt abgegeben hätte, schweigen die Chronisten. Vielleicht war es in den 38 Jahren zuvor unpraktisch geworden oder als militärisch unhaltbar aufgegeben und mehr oder weniger planmäßig geräumt worden, unter Mitnahme sämtlicher aufragender Fachwerkgebäude. Die Erde der Wälle ließ sich gut für allerlei Ausbesserungsarbeiten an Wegen nutzen, und so könnte die Burg allmählich wieder eingeebnet worden sein.

Auf welche Weise auch immer das Schloß von der Erdoberfläche verschwand, geschehen ist es. Doch ein Teil des Burgzubehörs ist bis heute „lebendig“ geblieben, der schon vor der Burg bestanden haben könnte – in anderer baulicher Gestalt natürlich: der Wirtschaftshof. Bereits in der Pfandurkunde von 1436 wird als Zubehör des Schlosses ein „Vorwerk“ erwähnt. 150 Jahre schweigen die Quellen darüber, dann erscheint es wieder, als Graf Johann VII., der Vater Anton Günthers, einen neuen Meier einsetzt, der den nunmehr Tafelgut genannten Hof bäuerlich bewirtschaften soll. Daß es sich tatsächlich um denselben Hof handelt, darf als gesichert angenommen werden, weil auch jetzt die Grafen Eigentümer waren, der Burgplatz direkt südlich an das Hofgrundstück angrenzt und jener in den frühneuzeitlichen Besitzregistern als Land dieser Hofstelle ausgewiesen ist. Nach mehrfachen Um- und Neubauten im Laufe seiner Geschichte zeigt sich uns das gegenwärtige Bauernhaus als reitgedeckter Ziegelbau von 1849, wie die Inschrift über dem Torbogen verrät.
Der Ausdruck „Tafelgut“ ist im deutschen Sprachraum schon im Mittelalter geläufig, und auch später bezeichnete er Bauernhöfe, deren Erträge direkt für den Verzehr an einer herrschaftlichen Tafel produziert wurden. Es gab im Oldenburgischen noch zwei weitere Tafelgüter: Groß Feldhus westlich von Wahnbek und Mansholt bei Neuenkruge. Bei seinen anderen vielen Höfen aß der Graf nicht direkt mit, sondern ließ die landwirtschaftlichen und monetären Abgaben daraus für die herrschaftliche Viehzucht oder die Landeskasse einziehen.

Ganz aus der menschlichen Erinnerung verschwunden war das Donnerschweer Schloß nie, wie mündliche Überlieferung zeigte. Im allgemeinen Bewußtsein war es aber auch nicht gerade, und so ging allmählich das Gefühl für die Besonderheit der alten Flur Bollwerk/Borgwall verloren. Man schützte sie daher auch nicht vor Bebauung, was moderne archäologische Untersuchungen ermöglichen würde, die angesichts des von Zerstörung bedrohten Bodens längst hätten stattfinden müssen. Hart an der südlichen Flurgrenze steht der Hochsilo der Raiffeisen-Centralgenossenschaft (RCG), Ende der 1970er/Anfang der 80er Jahre wurde die ehemalige Burgwiese als Autolagerplatz genutzt, seit einigen Jahren befindet sich eine Kette eingeschossiger Hallen darauf, die stadtseitig gewiß nur in Unkenntnis der Situation genehmigt wurden. Da das Gelände für den Lagerplatz um 1,50 m aufgeschüttet worden sein soll, besteht noch die Hoffnung, daß der archäologisch relevante Boden darunter bei wohl nur leichten Punkt- oder Streifenfundamenten der niedrigen Hallen nicht zu sehr gestört wurde. Die Oldenburger und besonders die Donnerschweer sollten darauf achten, in Zukunft wenigstens das Tafelgut zu erhalten – als bedeutendsten Donnerschweer Bauernhof und als letzten sichtbaren Rest der Burganlage gleichermaßen.
Zudem könnte man das Tafelgut seiner lokalhistorischen Bedeutung wegen in einem Straßennamen ehren, wenn etwa eine neue Straße in seiner Nähe gebaut wird. Dies hat der Verfasser im Bemühen um die Erinnerung an historische Orts- und Flurnamen der Stadt Oldenburg offiziell bereits im Jahre 2002 vorgeschlagen.
Die noch recht junge Straße Am Borgwall bezieht sich also nicht etwa unmittelbar auf die heute gar nicht mehr sichtbaren Überreste der Burganlage, sondern nur noch indirekt auf einen Flurnamen, der erst nach der Zerstörung des Schlosses entstanden sein kann (denn ein Flurname zu Bestandszeiten der Burg hätte diese insgesamt thematisiert, nicht nur ihre leeren Wälle). Wer die Lage der Straßen in Donnerschwee kennt, dem ist aus dem Dargestellten deutlich geworden, daß die Straße Am Borgwall keineswegs direkt „am Burgwall“ beim südwärts weisenden Geestvorsprung liegt, sondern etwa einen halben Kilometer Luftlinie entfernt an dessen Westflanke und damit in gleicher Entfernung zu dem Platz der Beverbäkenburg, auf den sich der Straßenname genaugenommen ebensogut beziehen könnte.

„Zwischen den Wällen“ also – ein trefflicher „Untertitel" für diese Straße und allemal ein guter Hinweis auf die im Stadtraum siedlungshistorisch so bedeutende Gegend des einstigen östlichen Hunteübergangs, die in städtebaulicher Hinsicht mehr Beachtung verdient hätte, als sie seit Jahrzehnten erfährt, wie an der Dominanz von doch eher profanen Gewerbebetrieben und zentralen Entsorgungseinrichtungen abzulesen ist. Zur Aufwertung könnte die Wiederentdeckung der lokalen Geschichte beitragen: eine Furt, eine wichtige Heer- und Handelsstraße, drei Burgen, ein Dorf mit germanischen Wurzeln und noch vorhandenen jüngeren Bauernhäusern, eine Zoll- und Hafenstelle, Schauplatz großer geschichtlicher Ereignisse und zahlreicher persönlicher Lebensschicksale – reichlich Material für durchdachte Stadtentwicklungskonzepte, die gewissermaßen von den historischen Wurzeln bis in die Blattspitzen der Gegenwart reichen. Dadurch könnte allenthalben ein lebendiges Geschichtsbewußtsein entstehen, das über immer jüngere Zeitstufen bis in die stadtbürgerliche Identität der Gegenwart reicht und einen weiteren Orientierungsrahmen bietet, einen tieferen Erfahrungshorizont, als eine bloße Existenz in den Tagesnotwendigkeiten der Gegenwart.
Individueller Idealismus als historisch-didaktisches Mittel ersetzt freilich keinen breiten Konsens bei der Bewahrung historischer Stätten und deren Erinnerungen. Hier endet die Aufgabe des einzelnen Historikers, und das direkte oder indirekte Mitwirken aller Stadtbürger ist gefragt. Was immer Ihnen persönlich die Geschichte ihrer Heimat bedeutet: Gehen Sie pfleglich mit den noch vorhandenen Zeugnissen um, damit sie im Sinne einer ideellen Stadtbildpflege eingesetzt werden können, von der letztlich alle Einwohner profitieren.
Die Gegend des alten Hunteüberganges bei Donnerschwee gehört neben dem historischen Stadtkern zu den siedlungsgeschichtlich herausragendsten Plätzen im heutigen Stadtgebiet. An diesem günstigen Ort hätte sich durchaus eine Stadtwerdung vollziehen können, wenn die Oldenburger Grafen ihre Burg nicht beim Hunteknie in die Haarenaue gesetzt hätten. Hätten sich schutzsuchende Wehranlage und raumgreifende Wohngebiete in Oldenburg anders verteilt, wenn die Grafen Donnerschwee schon früher beherrscht hätten? Eine offenbleibende Frage. Wir aber haben noch die Möglichkeit, für uns ein historisches „Alternativzentrum“ neben dem Innenstadtbereich zu gewinnen. Das aktuelle stadtplanerische Konzept vom „Wohnen am Wasser“ bietet grundsätzliche Ansätze dazu, es sollten lediglich eine sinnstiftende geschichtliche Fundierung nicht vergessen und die Hunteufer bei Donnerschwee und Drielake einbezogen werden. Die Möglichkeit, aus Vergangenheit Zukunft zu machen, ist real. Nutzen wir diese Chance!

Martin Teller, 5.5.2006

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