Das Oldenburger Wunderhorn

Reflexionen 3

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Zerstörte Kasernenkunst in Kreyenbrück    900 Jahre Oldenburg?


Zerstörte Kasernenkunst in Kreyenbrück

Im Mai 2006 konnte man als Passant im Oldenburger Stadtteil Kreyenbrück erleben, wie der nördliche Block der ehemaligen Leweck-Kaserne – später AEG/FHP Motors (jetzt ACC) –  abgerissen wurde. Der Verfasser hat sich daraufhin das Gebäude näher angeschaut, bevor es ganz verschwand.

Vielleicht waren auch die Leser verwundert, als sie zufällig bemerkten, daß seit Anfang Mai eines der alten Kasernengebäude am Klingenbergplatz abgerissen wurde. Hat man doch vorher nichts darüber in einer Zeitung lesen können. Offenbar wurde darauf verzichtet, vorab die Einwohner zu informieren, weil andernfalls noch jemand auf die Idee gekommen wäre, sich für den Erhalt des alten Hauses auszusprechen. Immerhin ist der Abriß in städtebaulicher Hinsicht bedauerlich, da das nun zerrissene Gebäudeensemble der „AEG-Kasernen“ –  im Verbund mit den (z.T. noch erhaltenen) Blöcken der Hindenburgkaserne und dem alten Offizierskasino/Kinderkrankenhaus – seit mittlerweile 70 Jahren die Situation am Klingenbergplatz prägt.

Der nun abgebrochene zweigeschossige Rotziegelbau mit Walmdach stand in etwa parallel zur Klingenbergstraße und bildete optisch den südlichen Abschluß der Straße An den Voßbergen. Er stand seit Jahren leer, bzw. man ließ ihn seit Jahren leerstehen – die Lesart macht den feinen Unterschied. Denn wenn ein Gebäude nicht genutzt wird, verkommt es ganz schnell, so daß man ebenso rasch feststellen kann, es sei baufällig und könne nicht mehr saniert werden. Ebenso läßt sich leicht behaupten, wenn ein traditionelles Gebäude dem Schaffensdrang eines Architekten oder eines Bauunternehmens im Weg steht, es sei moderner Nutzung nicht mehr dienlich. Daher ist das Bauschild mehr als erstaunlich, das abgesehen von einer vieldeutigen Überschrift mehr vom Bauvorhaben verschweigt als verrät: Warum enthält es das Gebäude (links), das doch abgerissen wurde? Nach dieser graphischen „Absichtserklärung“ zu urteilen war es sehr wohl weiterhin nutzbar und sollte auch genutzt werden. Wurden die Pläne tatsächlich mitten in der Neugestaltung der Anlage geändert, oder wollte man die Bevölkerung noch eine Weile mit der Wahrheit eines von vornherein geplanten Abbruchs verschonen? 

Bauschild neben dem Haupttor des Kasernen-/Industriegeländes am Alten Postweg Höhe Klingenbergplatz, Schild und eingezeichnete Gebäude vom Klingenbergplatz aus gesehen. Das nördliche Haus links vom Tor wurde abgebrochen. Alle Fotos dieses Artikels von Martin Teller.

Doch es soll in diesem Beitrag gar nicht um wiederum verpaßte Chancen im Gebäudedenkmalschutz gehen; wir werden sicherlich noch häufig Gelegenheit bekommen, uns jenem Thema zu widmen, das in Oldenburg ein leidvoll diskutierter Dauerbrenner ist. Am Klingenbergplatz bleiben die anderen vier Kasernenblöcke jedenfalls vorerst erhalten, wie die derzeit laufende Sanierung (sie ist also möglich) und die ringsum neuangelegte Pflasterung um die westlichen beiden Häuser zeigen. Vielmehr geht es hier um gesellschaftshistorische Merkmale und künstlerische Details der Kasernengebäude.

Zunächst aber lohnt es sich, das ehemalige Kasernement ein wenig vorzustellen, über das im Gegensatz zur benachbarten Hindenburg-Kaserne (westlich links der Cloppenburger Straße) allgemein nur sehr wenig bekannt ist. Zur Orientierung kann die folgende Kartenzeichnung dienen.

Gebäude der ehemaligen Leweck-Kaserne in Oldenburg-Kreyenbrück, die nach 1945 von Industriebetrieben genutzt wurde. Eingezeichnet in die Karte der Stadt Oldenburg 1993, 1:10.000 (Ausschnitt mit Ergänzungen), von Martin Teller, Mai 2006.

Die Anlage der umfangreichen Militärbauten in Kreyenbrück fiel in die Zeit der massiv betriebenen Wiederaufrüstung des Deutschen Reiches unter nationalsozialistischer Regierung, was nicht nur ein „Wiederaufholen“ nach den diktierten Truppenbeschränkungen durch die Siegermächte des I. Weltkriegs war, sondern heimlich betriebene Vorbereitung des nächsten Weltkriegs. Die Ortsgeschichte fügt sich in diesem Punkt nahtlos in die Reichs- und Weltgeschichte: Zum 16.3.1935 wurde die allgemeine Wehrpflicht wiedereingeführt, 1935-36 – bei Tag und Nacht! – die Hindenburg-Kaserne an der Cloppenburger Straße errichtet, 1936 das demilitarisierte Rheinland von deutschen Truppen (wieder)besetzt, ab 1937/38 – wohl wiederum auch nachtsüber – die Leweck-Kaserne angelegt, 1938 Österreich und das Sudentenland ans Deutsche Reich angeschlossen, seit 1936 bis 1939 wurden Wohnblöcke für verheiratete Unteroffiziere an der nahen Dr.-Schüßler- und Münnichstraße gebaut, bis 1940 auch das Standortlazarett und Kern des heutigen Klinikums An den Voßbergen, sowie das Offizierskasino und spätere Kinderkrankenhaus am Klingenbergplatz, 1939 begann mit dem Überfall auf Polen der II. Weltkrieg, in dessen späterem Verlauf am 18.4.1945 die Kasernenanlagen bombardiert und von vorstoßenden alliierten Truppen von der Bahnhofsallee aus mit Artillerie beschossen wurden, wie der Verfasser aus ortsgeschichtlichen Interviews mit Zeitzeugen erfahren hat.
Das ist zweifellos eine unheilvolle „Geburtszeit“ des Gebäudeensembles um den Klingenbergplatz. Doch sie schamvoll auszublenden hieße, das gegenwärtig (noch) Vorhandene nicht erklären und die Entwicklung bis dahin nicht verstehen zu können. Auch würde so etwas den Blick auf die nunmehr tausendjährige Geschichte des Oldenburger Landes verstellen, die bei weitem nicht nur die 12 Jahre des selbsternannten „Tausendjährigen Reiches“ umfaßt. Nach dem II. Weltkrieg wurden die Kasernenanlagen überwiegend zivil genutzt: die Leweck-Kaserne für Industrieansiedlung („Industriehof“), die Hindenburgkaserne für Gewerbebetriebe („Gewerbehof“) und als Flüchtlingswohnheim, bevor sie 1958 erneut vom wieder aufgestellten Militär genutzt wurde. Das Lazarett wurde städtisches Krankenhaus, das Offiziersheim zum erwähnten Kinderkrankenhaus, das erst kürzlich in ein neues Gebäude beim Klinikum gezogen ist, und der Klingenbergplatz wurde als Stadtteilzentrum ausgebaut und mit einer Zeile Geschäftshäuser versehen, darunter eine Post. Seit Ende der 1990er Jahre wird auch das Gelände der Hindenburgkaserne erneut zivil genutzt: zur Buschhagenniederung hin Wohnbebauung, zur Cloppenburger Straße Dienstleistungsbetriebe, in Süden ein Gefängnisneubau.

Es war bis dato in Kreyenbrück also weitgehend gelungen, das steinerne Erbe einer blutigen Zeit friedlicheren Zwecken dienstbar zu machen. Manche Abbrüche auf dem Areal der Hindenburgkaserne rissen indes erste Lücken in den historischen Baubestand, obwohl der Kern der Anlage dank erhaltener Kompanieblöcke an der Cloppenburger Straße noch immer gut erkennbar ist. Nun also nagt der Zahn einer ausschließlich wirtschaftlich orientierten Zeit auch an der Leweck-Kaserne. Ein Anlaß, ihre Baulichkeiten zu beschreiben, soweit sie als Nebenergebnis anderer Recherche in Erfahrung gebracht werden konnten.
Die obige Kartenzeichnung zeigt bereits die Lage und Verteilung der Kasernenbauten, wie sie bestanden, und wie sie als Erweiterung geplant waren. Nach einem dem Verfasser auszugsweise vorliegenden Entwurfsplan waren die Gebäude bautechnisch-militärisch durchnumeriert, so wie sie entsprechend in die Karte eingetragen sind. Das „Bataillon-Stabshaus“ – also das Hauptgebäude für die Truppenführung – ist interessanterweise nicht das nun abgebrochene Haus Nr. 7 am Kopf der Anlage, sondern das mit der Nr. 1, welches sich „ins Glied“ der gewöhnlichen Kompanieblöcke einfügt. Daran läßt sich erkennen (wenn wir es nicht schon wüßten), daß die Kaserne nicht in der wilhelminischen Kaiserzeit erbaut sein wird, die das Haus der militärischen – und das hieß in der Regel: adeligen – Leitung entsprechend dem gesellschaftlich vorherrschenden Ständedenken stärker betont hätte; nicht zuletzt, indem sie es „an die Spitze“ gesetzt hätte, wo Haus 7 stand. Zwar war auch der nationalsozialistische Staat zentralistisch auf eine Führerperson ausgerichtet, stärker sogar als das Kaiserreich, doch war es Hitler und seiner neuen Führungsmannschaft wichtig, den alten Eliten gegenüber die Zügel der Macht nicht mehr aus der Hand zu geben, um ihre braune Revolution dauerhaft zu besiegeln. Dies läßt sich durchaus an der Gestaltung der vergleichsweise kleinen Kasernenanlage ablesen: als baulich ausgedrückte Disziplinierung der Wehrmachtsführung, in der zunächst noch immer die Vertreter der alten Schicht den Ton angaben.

Das gleiche Bild zeigt(e) sich bei der größeren Hindenburg-Kaserne mit ihren zwei Stabsgebäuden, die ebenfalls zusammen mit den Mannschaftsgebäuden in Reih und Glied standen. Im Unterschied zur Leweck-Kaserne, wo am Haupthaus kein herausragender architektonischer Schmuck festzustellen ist, sind jene aber durch einen punktuellen Fassadenschmuck immer noch baulich hervorgehoben gewesen: Das erste stadteinwärts gelegene Gebäude trug eine Sandsteinfigur von Hindenburg in Ritterrüstung (Rolandfigur als Reichsverteidiger) – ein Bild, das zum etablierten Propagandabestand der Nazis in der Weimarer Zeit gehörte, die sich mit dieser Anbiederung bei den Anhängern des Feldmarschalls und Reichspräsidenten Hindenburg, also bei Deutschen, die mit der alten Gesellschaftsordnung sympathisierten, Wählerstimmen erhofften.
Das zweite Stabshaus mit Fassade zum Klingenbergplatz trug „nur noch“ einen einfachen fahnenschwingenden Soldaten, der schon eher in das wahre (und hier durchaus moderne) Bild der Nationalsozialisten von einer klassenlosen Gesellschaft paßte. Beide Reliefs sind heute nicht mehr vorhanden, weil der Soldat wie an anderer Stelle erwähnt abgeschlagen wurde (vgl. im Beitrag zum Vertriebenendenkmal), während man das Haus mit der Hindenburgfigur abgebrochen hat, obwohl es der neuen Erschließungsstraße An der Großen Wisch nicht im Wege war. Gerüchten zufolge sei diese Figur nicht zerstört worden, da man sie anders als den Soldaten leicht aus der Fassade nehmen konnte. Ihren Verbleib müßte man wohl bei den am Abbruch beteiligten Unternehmen nachforschen.

Foto: Martin Teller, 10.6.2001.  

Die Planung der seit 1935 im Bau befindlichen Hindenburg-Kaserne fällt demnach in eine Übergangsperiode innerhalb der Naziherrschaft, wo die neuen Machthaber noch Avancen in Richtung der alten machten. 1934 war Hindenburg gestorben, dessen Reichspräsidentenamt anschließend mit Hitlers Reichskanzlerschaft vereint wurde, womit dieser die ganze Staatsmacht in den Händen hielt. Bei der spätestens 1937 geplanten und 1938 begonnenen Leweck-Kaserne verzichtete man dann auf architektonische Verbeugungen vor den vorherigen Machthabern Deutschlands. Sie darf man darum wohl als einen Kasernentyp nationalsozialistischer Ideologie in Reinform bezeichnen, was neben der erwähnten Bauanordnung auch künstlerische Details zeigten, die unten zur Sprache kommen. Der Wandel läßt sich nicht zuletzt an den Kasernennamen ablesen. Die Leweck-Kaserne ist nach einem recht unbekannten im I. Weltkrieg gefallenen Oberleutnant benannt. Zwar ragten Wehrmachts- und Parteioffiziere aus der im Dritten Reich propagierten „Volksgemeinschaft“ zumeist als vorbildlich dargestellte Führungsfiguren heraus, was dem Geist des Führerstaates entsprach. (In diesem Sinne war die Hervorhebung durch ein eigenes Kasinogebäude auch unter den Nazis „legitim“.) Doch Leweck war weit weniger gesellschaftselitär als ein prominenter adeliger Generalissimus der Kaiserzeit, den Paul von Hindenburg verkörperte, und symbolisierte daher eher den Typus des im Volk verwurzelten Führers im Nazireich, selbst wenn er dieses gar nicht mehr erlebt hat und sich nicht mehr gegen eine solche Vereinnahmung hätte wehren können.

Ein Briefumschlag, adressiert an einen während des II. Weltkrieges in der Leweck-Kaserne stationierten Soldaten. Vorne: Feldpost / Gefrt. [Gefreiter] Rudolf Johannsen / 2. E. 489 [militärische Einheit] / Oldenburg in Oldenburg / Leweck-Kaserne. Poststempel vom 5.6.1942. Eine Frankierung war bei Post an Soldaten zu Kriegszeiten offenbar nicht nötig. Hinten: Abs.[ender] Johannsen, Hamburg 39, Semperstr. 6 II. Der Brief selbst ist nicht erhalten. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Burkhard Koop, Oldenburg.

Wie auf der Karte zu erkennen ist, wird das ehemalige Kasernen- und spätere Industriegelände im Norden von Klingenbergstraße und Klingenbergplatz und im Westen vom Alten Postweg umgrenzt. Im Osten und Süden gibt es dagegen Unterschiede zwischen militärisch und industriell genutztem Gelände. Östlich der Kasernenblöcke befinden sich zumeist Wohnhäuser, deren Gärten seit jeher das Kasernengelände begrenzen. Das bis zum Giesenweg reichende Grundstück im Nordosten, worauf sich heute die katholische St. Michael-Kirche und Gebäude der Kirchengemeinde befinden, gehörte dagegen ursprünglich mit zum Kasernenareal. Hier war nicht nur die Errichtung eines weiteren Blocks geplant, der die Nummer 4 bekommen sollte, sondern auch Wohnhäuser für Unteroffiziere. Südlich reichte das Militärgelände nur bis zum Meerkamp, der noch bis in die 1950er Jahre hinein gerade zum Alten Postweg durchlief. Für anschließend erweiterte Industrieanlagen sowie für Parkplätze der Beschäftigten wurde das Gelände nach Süden ausgedehnt und als neue Wegeverbindung die ab 1960 Schellenberg genannte Straße angelegt (vorher hieß der Suhrkamp so).
Die Leweck-Kaserne bekam kriegsfolgenbedingt nie ihre ursprünglich vorgesehene vollständige Bebauung, was auch am geplanten Haus Nr. 3 südlich des zweiten Blocks deutlich wird, das ebenfalls nie zur Ausführung kam. Bis zum damaligen Meerkamp hin lagen noch allerlei militärische Nebengebäude, darunter ein dem jetzt abgerissenen Haus Nr. 7 gegenüberliegendes, das den dazwischen befindlichen 9000 Quadratmeter großen Exerzierplatz südlich abschloß. Der zweigeschossige Verbindungsbau zwischen den Häusern 1 und 2, der aus ihnen ein einziges werden läßt, entstammt der industriellen Umgestaltung der Nachkriegszeit. Überhaupt wurde fast das ganze Areal zwischen den Kasernenblöcken und südlich davon mit größtenteils niedrigeren ausgedehnten Werkhallen ausgefüllt. Das Gelände ist nie nur von einer einzigen Industriefirma genutzt worden, die AEG war lediglich die größte von ihnen. Entsprechend finden sich abgezäunte Unterteilungen: ältere, die schon früh aus dem Gesamtzusammenhang gelöst wurden, wie die der Gebäude 5 und 6 an der Straße Industriehof, die über das einstige Kasernennordtor an der Klingenbergstraße erreichbar sind und heute Dienstleistungsbetriebe beherbergen, sowie die jüngere Unterteilung durch einen blauen querlaufenden Stahlzaun, der das Hauptgelände in zwei Teile trennt. Im nördlichen entsteht das geplante „Dienstleistungszentrum“, der südliche, der über ein weiteres Werkstor zum Alten Postweg erreichbar ist, wird derzeit weiterhin vom bisherigen Industriebetrieb genutzt.

Historische Fotos von der Leweck-Kaserne siehe im Bildband bei Bernd Franken, Helga Kramp: Kreyenbrück und Bümmerstede, Oldenburger Ansichten, Oldenburg 2004, S. 5 (im Hintergrund), 28, 42-43, 47; Fotos von der Hindenburgkaserne S. 5 (vorne), 15, 20-23, 33, 46, die Fassadenfiguren auf S. 22; vom Klinikum S. 36-37; vom Kasino und dem Kinderkrankenhaus S. 52; vom Klingenbergplatz S. 9, 42-43, 47.

Abgesehen von einigem schlichten Backsteinziermauerwerk in den Fassaden besteht der einzige von außen sichtbare Bauschmuck mancher Kasernenblöcke in aufwendig gestalteten Wappensteinen in den Türbögen. Jedes der in Reihe stehenden Häuser Nr. 1, 2, 5 und 6  hat zur Hofinnenseite des ehemaligen Exerzierplatzes zwei Eingänge, deren jeweils nördlicher der erste und der südliche der zweite ist.
        Gebäude 1 trägt über Eingang 1 das Braker Stadtwappen und die Jahreszahl 1139, über Eingang 2 das Oldenburger Stadtwappen und 1108.
        Das östlich gegenüberliegende Gebäude 5 hat über Eingang 1 das Elsflether Wappen und 1220, über Eingang 2 das Cloppenburger und 1296.
        Den Eingang 1 von Gebäude 6 ziert das Wappen von Jever und 1039, der 2. Eingang ist ohne Wappen und Zahl, hier bilden lediglich im Mauerbogen etwas vorragende Backsteine den Abschluß.
        Genauso verhält es sich beim 2. Eingang im westlich gegenüberliegenden Gebäude 2, dessen 1. Eingang aber gar keinen Bogen sondern einen rot gestrichenen Betontürsturz hat. Ob diese offenkundige Flickstelle aufgrund eines Artillerietreffers oder durch spätere Umbaumaßnahmen erfolgte, ist unbekannt. Jedenfalls fehlt hier ein Wappen, während die südlichsten Eingänge der Gebäude 2 und 6 wohl nie eines besaßen.
Bei den Jahreszahlen handelt es sich um die urkundliche Ersterwähnung dieser Ortschaften des Oldenburger Landes bzw. um erste Erwähnung ihrer Entstehungsgegend (nicht etwa um die Gründungsdaten). Die Wappen sind allesamt farbig ausgemalt, wie die folgende Fotozusammenstellung zeigt.

Wappensteine in den Türbögen der Hauseingänge zur Kaserneninnenseite. Von links nach rechts: 1.) Gebäude 1 (Stabsgebäude), Eingang 1: Brake 1139, 2.) Eingang 2: Oldenburg 1108. Beide Eingänge in Gebäude 2 ohne Wappen, bei Eingang 1 zerstört. Gebäude 3 und 4 fehlen. 3.) Gebäude 5: Eingang 1: Elsfleth 1220, 4.) Eingang 2: Cloppenburg 1296. 5.) Gebäude 6, Eingang 1: Jever 1039, Eingang 2 ohne Wappen. Ehemaliges Gebäude 7 ebenfalls.

Das Stabshaus hat zum Tor hin eine Wachstube. Abgesehen davon stach nur Gebäude 7 in baulicher Hinsicht aus den fünf großen Blöcken heraus: Es besaß zwei Vollgeschosse anstatt sonst drei, sein Walmdach war mit schwarzen Dachpfannen gedeckt statt mit roten. An beiden Längsseiten saßen eingeschossige Vorbauten. Der Haupteingang auf der Südseite zum Kasernenhof war im Gegensatz zu den sonst recht schmalen Eingangstüren ein breites Portal mit dreifachen hohen ziegelgemauerten Bögen, hinter denen sich drei nebeneinanderliegende große Eingangstüren befanden. Was dort so auffällig im ideellen Mittelpunkt der Kasernenanlage stand, war nicht ein elitäres Kommandeursgebäude, sondern ein Gemeinschaftshaus – symbolhaft für die propagierte Soldaten- bzw. Volksgemeinschaft –, das Kantinen-, Aufenthalts- oder Versammlungsgebäude der Kaserne (später von der AEG als Kantine und für Weihnachtsfeiern der Belegschaft genutzt). Im Erdgeschoß enthielt es zwei Säle, einen großen langgestreckten im Nordteil, und einen kleinen im Süden rechts des Eingangs, die beide mit bogenverbundenen vertäfelten Pfeilerreihen versehen waren, welche den Räumen ein gehobenes Aussehen gaben und die Anbauten mit den Fensterreihen optisch abtrennten. Diese Vorbauten sollten hauptsächlich die Säle vergrößern. Im so gewonnenen Raum befanden sich im nördlichen Saal Tische und Bänke, auf der Südseite links des Eingangs diente er als zusätzlicher Teil der Küche.
Auch beim Kantinengebäude wäre ein Türschmuck wie bei den anderen Kasernenblöcken zu erwarten gewesen, doch ein Stadtwappen gab es hier nicht. Statt dessen war viel Erstaunlicheres zu entdecken: Zu beiden Seiten im Eingangsportal befanden sich ca. 2 mal 4 Meter große Mosaike in den Wänden, die bäuerliche Aussaat- und Ernteszenen enthielten. Siehe die folgenden Fotos.

Mosaik im Eingangsportal zu Gebäude 7, rechte Seite: ein Bauer beim Säen. Bildunterschrift: „FERTIGGESTELLT AN DER SAAR / IM KRIEGSWINTER 1939/40“. (Unten Planen von Baumaterial, das zu schwer war, um es aus dem Bild zu schieben.)
 

Mosaik im Eingangsportal zu Gebäude 7, linke Seite: ein Bauer bei der Ernte. Bildunterschrift: „FISCHER-TRACHAU / 1939“.

Den Daten nach kann bei der Leweck-Kaserne von einem Bauabschluß im Jahr 1939 ausgegangen werden, wobei 1940 noch einige Nacharbeiten erfolgten. Die bäuerlichen Mosaikszenen in einer Kaserne erklären sich mit der Weltanschauung ihrer Erbauer. Deren bevorzugte sogenannte „Blut und Boden-Kunst“, welcher diese Werke zuzuordnen sind, wollte die Blutsverbundenheit des einzelnen mit Sippe und Volk sowie Verbundenheit mit dem bäuerlichen Lebenskreis betonen und mythisch überhöhen. In einem militärischen Umfeld liest sich das (historisch unzulässig vereinfacht) als: „Die Deutschen sind Nachfahren der Germanen, sind wie diese bodenständige Bauernkrieger!“ – wobei der blonde blauäugige Mann mit der Sense als augenfälliges Symbol für die Kunst jener Zeit erscheint.
Dem genaueren Betrachter fällt auf, daß der säende Bauer Geheimratsecken hat, also schon älter ist, der Erntende dagegen ein in der Blüte seiner Lebensjahre stehender junger Mann. Die Landwirtschaftsgeschichte weiß mitzuteilen, daß die manuelle Aussaat besonderer Verantwortung unterlag, durfte doch nicht zuviel oder zuwenig von dem kostbaren Saatkorn auf einen Fleck gestreut werden, schließlich hing vom Wachstum und Gedeihen des Korns die Ernte, unter Umständen das ganze Leben einer (rein) bäuerlichen Gemeinschaft ab. Daher werden Bauern bei diesen Tätigkeiten, gerade aber bei der Saat, gewöhnlich mit sehr ernstem Gesichtsausdruck dargestellt. Brauchte es bei der Aussaat besondere Erfahrung, war dann bei der Ernte vor allem Kraft nützlich – insofern ist in den Mosaiken eine praktische Arbeitsteilung zwischen Alt und Jung dargestellt, die symbolhaft für ein gedeihliches Zusammenwirken der Generationen steht, mithin für die ideologisch betonte Volksgemeinschaft. Die Bilderfolge läßt sich in ihrer Aussage aber auch Generationenabfolge-betonend interpretieren als: „Was die Alten säten, das ernten die Jungen“, oder ideell als: „Wenn wir klug säen, werden wir reich ernten“! (Siehe die vielen Kornhocken im Hintergrund.) – Wie klug die Aussaat und wie reich die Ernte jener Zeit tatsächlich waren, wissen wir aus den Geschichtsbüchern.
Dennoch sollten wir zur Kenntnis nehmen, daß uns hier nicht nur ein hintergründiges Propagandawerk entgegentrat. Trotz des belasteten Kontextes besaßen die Mosaike zweifachen Wert. Zum einen waren sie in historischer Hinsicht beachtenswerte Zeugnisse jener Epoche, von denen in Oldenburg nicht mehr allzu viele erhalten sind. (Erst vor wenigen Jahren verschwand beim Abbruch der Bahnhallen für den neuen Omnibusbahnhof ein ähnlich gestaltetes Motiv eines pflügenden Bauern.) Zum anderen besaßen sie einen künstlerischen Wert, der sie auch über ihre Entstehungszeit hinaushob. Wie man an etlichen allein mit Mosaiksteinen so überaus realistisch gestalteten Details wie etwa dem glänzenden Stück der gerade geschliffenen Sense sehen kann, vereinte der Künstler eindrucksvolles Gestaltungsvermögen mit großem handwerklichen Können. Darüber hinaus ließen sich die Darstellungen unter bewußter Ausblendung der anderen Inhalte auch einfach als rein ländliche Szenen einer so längst nicht mehr existenten bäuerlichen Welt betrachten und bestaunen.

Der Verfasser geriet noch mehr ins Staunen, als er nach dem schmucklosen großen Saal in den kleinen Saal trat. An seiner Nordwand befand sich ein etwa 1,50 mal 4 m langes Gemälde, das eine bäuerlich-dörfliche Tanzszene zeigt, wie auf den Fotos zu erkennen ist. Das Wandgemälde stammt anders als die Mosaike nicht von irgendeinem wenig bekannten Künstlertalent, sondern vom Oldenburger „Landesmaler“ Bernhard Winter! Er hat es eigenhändig an die Kasernenhauswand gemalt, wie die Signatur unten rechts erkennen ließ ("Entw. u. gem. v. Bernhard Winter 1939-40").

Wandgemälde im „kleinen Saal“ in Gebäude 7, Nordseite: eine bäuerliche Volkstanz-Szene. Bildunterschrift: „Entw.[orfen] u.[nd] gem.[alt] v.[on] Bernhard Winter 1939-40".

                   

(Ausschnitte – links / Mitte / rechts – zum Vergrößern anklicken. Die weißen Flecken waren Beschädigungen im Unterputz.)

Trotz kleinerer Beschädigungen des Werkes, das auf Putz aufgetragen war, und trotz insgesamt eher schlechten Zustandes, der zuletzt wohl von vorbereitenden Abbrucharbeiten herrührte (siehe links unten die banausenhafte Kreidebeschriftung), waren die Bildinhalte klar zu erkennen. Der eindrucksvoll gestaltete Bildaufbau und die immer noch kräftigen leuchtenden Farben verfehlten ihre Wirkung auf den Betrachter nicht. In der Bildmitte im Vordergrund tanzen vier Pärchen im Kreis, acht erwachsene Männer und Frauen des Dorfes, das dahinter durch zwei hintereinanderliegende reitgedeckte Bauernhäuser sowie einen Wirtschaftsbau aus Ziegelfachwerk angedeutet wird. Die Stimmung ist ländlich-idyllisch, betont durch das samtige Sonnenlicht hinter hohen Eichen im rechten Bildhintergrund. In der rechten Bildhälfte sitzen und stehen einige Alte, die den Erwachsenen interessiert zusehen bzw. ihnen Musik machen. Am linken Bildrand stehen zwei Kinder, die dem Geschehen den Rücken zukehren und wohl mit Spielen beschäftigt sind.
Vordergründig wird lediglich ein idealisierter Dorftanz gezeigt, der zu den Tanz- und sonstigen Festveranstaltungen paßte, die in den Sälen stattfanden. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Allegorie auf das Verhältnis der Generationen, von denen die mittlere im Zentrum des Lebensgeschehens steht, um die sich „alles dreht“, während links die Kinder (am Beginn der Zeitschiene, die das Bild impliziert) noch ganz mit sich selbst beschäftigt sind und rechts die Alten auf die Jugend zurückschauen, ihr aber noch mit Tat und gewiß auch mit Rat „zuspielen“. Demnach liegt die Hauptaussage auch dieser Darstellung wiederum in der Hervorhebung der Volksgemeinschaft. Betont wird der Aspekt des Aufgehens des Einzelnen in der Gemeinschaft durch den optischen Schlußpunkt, den diskret aber eindringlich die Orden bilden, die an der Brust des rechtsaußen sitzenden Alten hängen, der durch Stock und Anzug besonders würdevoll dargestellt wird. Dieser alte Kämpfer für das Volk wird sich wahrlich um die jüngeren Generationen verdient gemacht haben, sein Einsatz hat zum Gedeihen der Volksgemeinschaft beigetragen. Sein Lohn besteht – außer gewiß in eigenem Stolz auf das Erreichte (die Ernte seiner Saat) – in der Anerkennung und Ehrung durch das Volk, wie die Orden zeigen. Dieses gesellschaftliche Vorbild wollten die nationalsozialistischen Kasernenbauer ihren Soldaten beispielhaft vorführen, um sie zu bedingungslosem Einsatz für die Ziele des Führers anzuspornen, der das Volk zu vertreten vorgab. Auf diese Weise sollten sie selbst zu goldenen Orden und Ehren kommen, von denen man sich noch erzählte, während über ihnen schon längst goldene Ähren zur Ernährung der nächsten Generation wuchsen. Blut und Boden eben.
Man kann nun darüber streiten, ob die punktuell gesetzten Orden ein Zugeständnis Bernhard Winters an die herrschende Ideologie seiner Auftraggeber war, oder ob die gemeinschaftsbetonenden Nationalsozialisten und das Individualtalent Winter hier nur zufällig übereinstimmten. Ansonsten paßt die Darstellung ganz in dessen persönliches Werkschema: „Überblickt man die große Zahl der Bilder, die Themen des bäuerlichen Lebens zeigen, so fällt auf, daß hier niemals die harte und mühsame Arbeit dargestellt wird, sondern über allem Geschehen liegt eine feiertäglich anmutende Ruhe, die jedes Tun idealisiert.“ (Elfriede Heinemeyer über Bernhard Winter, in: Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg, Oldenburg 1992, S. 805-807.) Der heimatlich-idyllische Dorftanz darf also nicht als ein pures Propagandawerk mißverstanden werden, obwohl er im Sinne der Nationalsozialisten durchaus dazu taugte. (Übrigens ebenfalls im Sinne der Ideologie kommunistisch beherrschter Staaten, die ihre Volksgemeinschaften in ähnlichen Bildern verherrlichen ließen, auch wenn hier als Motive Arbeiter statt Bauern wahrscheinlicher waren.)
Als letzter Untersuchungsbefund soll festgehalten werden, daß der Grundriß von Gebäude 7 seit seiner Fertigstellung architektonisch offensichtlich nicht mehr (wesentlich) verändert worden war, wie sich am Vorhandensein der alten Kunstwerke ablesen ließ. Um die ideologische Bedeutung des Kantinen- und Versammlungshauses hervorzuheben, dieses „Zentralbaus der Wehrgemeinschaft“, bekam er gegenüber den anderen Kasernengebäuden also nicht nur architektonisch abweichende Merkmale, sondern wurde darüber hinaus mit auffallenden Kunstwerken ausgeschmückt.

Von alledem hat sich der Verfasser noch selbst ein Bild machen können, als die Räume schon geleert und mit Abbruchschutt überzogen waren, kurz bevor das Haus ganz abgebrochen wurde, nur das gewiß spartanischer ausgestattete Obergeschoß wurde sicherheitshalber nicht mehr betreten. Zu den Aufgaben eines Historikers gehört die Dokumentation des (Bald-)Vergangenen, insofern war diese Initiative geradezu eine Verpflichtung, besonders wenn die breite Öffentlichkeit sonst nichts von den Kunstwerken erfahren hätte, die da unter ihren Augen vernichtet wurden. Ironischerweise spiegelte dieser Einsatz, den der Verfasser „bewaffnet“ mit Fotoapparat und Bauhelm für eine kulturinteressierte Bürgergemeinschaft unternahm, in gewisser Hinsicht manche Ideale der Propagandadarstellungen. Man will den Einsatz für die Gemeinschaft doch nicht den Nationalsozialisten überlassen, deren Werke entgegen ihren gemeinschaftsbetonenden Worten und Bildern viel mehr Zerstörendes als Verbindendes hatten.

Freilich ist unsere eigene Zeit auch recht routiniert im Zerstören. So bedeutsam Standort und Baugestalt von Gebäude Nr. 7 im Kasernenzusammenhang auch waren, das Wertvollste daran war zweifellos die Kunst am Bau. Wenn schon der Kasernenblock selbst anscheinend recht willkürlich preisgegeben wurde, dann hätten wenigstens die beiden Mosaike und das Wandgemälde aus künstlerischen, geschichtswissenschaftlichen, lokalhistorischen und bildungspolitischen Gründen vor dem Abriß gerettet werden können. Nach Auskunft des engagierten stvtr. Direktors des Stadtmuseums, Udo Elerd, wäre es technisch möglich gewesen, die Mosaike aus der Wand zu lösen, was natürlich nicht umsonst zu haben gewesen wäre. Man darf aber fragen, ob solch ein Posten angesichts der insgesamt viel höheren Umgestaltungskosten des nordwestlichen Kasernengeländes z.B. für die Investoren überhaupt ins Gewicht gefallen wäre.
Was im Original unwiederbringlich vernichtet ist, existiert nur noch auf Fotos, die auch vom städtischen Denkmalschutz und vom Stadtmuseum angefertigt worden sind, sowie auf Entwurfskizzen Bernhard Winters, die im Museum archiviert sind (demnach setzte sich das Wandgemälde im Originalentwurf wohl noch zu beiden Seiten fort). Der Nachwelt erhalten bleibt allerdings ein Zeugnis vom Umgang unserer Gegenwart mit der Vergangenheit. Muß man denn das kunstreiche Barbarentum der Nazis zwangsläufig mit barbarischer Kunstzerstörung kontern?
Diese Frage kam anscheinend niemandem in den Sinn, als das Haus zur Disposition gestellt wurde. Es war offensichtlich privaten Profitstreben im Wege, da zählen Aspekte von Geschichte, Kunst und kritischer Erinnerungskultur gar nichts. Wir haben allerdings keinen gezielten Bildersturm anzunehmen, sondern lediglich fahrlässige Ignoranz gegenüber künstlerischen Leistungen und geschichtlichen Zeugnissen.

Erst am Monatsende, als das Gebäude längst zerstört war, erschien ein Artikel dazu in der Presse, in dem das Bauvorhaben der Öffentlichkeit näher vorgestellt wird (Nordwest-Zeitung, Nr. 124, Dienstag 30.5.2006, Aus den Stadtteilen: „AEG-Kantine liegt in Trümmern, Unternehmen schafft Platz für das Projekt Klingenberg-Park“.). Darin geben die Bauverantwortlichen erwartungsgemäß zu Protokoll, daß sie das mittelgroße Gebäude abgerissen haben, „weil man [d.h. sie] mit der Gebäudesubstanz nichts mehr anfangen konnte.“ Mit den daran befindlichen Kunstwerken konnte man offensichtlich schon gar nichts anfangen. Hatte man sie überhaupt wahrgenommen? Was man nun genau Neues bauen wollte, konnte man indes nur ungefähr angeben, denn „das Projekt befindet sich noch in der Entwicklungsphase“. Das historische Kasernenhaupt hat man auf jeden Fall aber schon einmal beseitigt. Es bleibt für den südlichen Stadtteil zu hoffen, daß die geplanten umfangreichen „5000 Quadratmeter für Büros und Praxen“ auch ihre Mieter finden, schließlich ist die Ärztedichte im Stadtgebiet nicht gerade gering und Büroraum in den Vororten nicht eben selten.
Gerade weil es sich hier ausschließlich um ein privatwirtschaftliches Vorhaben handelt, hätte der neue Eigentümer doch wenigstens die enthaltenen Baukunstwerke der Öffentlichkeit zum Kauf anbieten können. Das wäre ganz im kapitalistischen Geiste gewesen, hätte dem Unternehmen kostenlos einen rücksichtsvolleren Ruf verschafft und den „Schwarzen Peter“ den Bürgern zugeschoben, die für den fachgerechten Abtransport hätten spenden müssen, wenn schon deren Stadtverwaltung nicht eingreift. Außer Kritik stehen dabei Denkmalschutz und Stadtmuseum, die immer sehr um Oldenburgs historische Bausubstanz bemüht sind und ihre Aufgaben verantwortungsvoll wahrnehmen, womit sie oft einen schweren Stand haben. So aber bleibt von der Angelegenheit nur die Schlagzeile: „Stadt läßt Zerstörung eines Bernhard Winter-Bildes zu“.

Dabei wird es wohl nicht bleiben. Nachdem bereits die stadtbekannte Alte Wache neben der Straße Am Pulverturm abgebrochen und bis dato nur durch eine unkrautbewachsene Sandfläche nebst einem optimistischen Bauschild ersetzt wurde und man das schon erwähnte Soldatenbild am Block der Hindenburgkaserne mitsamt einigen ihrer Gebäude zerstört hat, ist demnächst noch der Abbruch des ehemaligen Offizierskasinos/des Kinderkrankenhauses zu erwarten, der immerhin kürzlich in einem Presseartikel als wahrscheinlich angekündigt wurde. Auf diese Weise verliert der Stadtteil Kreyenbrück mehr und mehr sein lang vertrautes Gesicht.
An dieser Stelle soll aber deutlich gesagt sein: Natürlich kann im Laufe der Zeit nicht alles erhalten bleiben. Manches, was noch keinen Denkmalwert an sich besitzt, ist einer modernen Nutzung tatsächlich nicht mehr dienlich, und alles zu erhalten hieße, lebendiger Stadtentwicklung keinen Raum zu lassen. Lebendig zu sein heißt aber vor allem „weiterwachsen“, nicht nur, neu zu beginnen, denn Leben ist mehr als ein permanenter Neuanfang. Vielmehr baut es weitgehend auf Bestehendem, Vorhandenem auf, das beibehalten oder gegebenenfalls im Wandel modifiziert wird. So hätte nichts gegen ein Dienstleistungszentrum am Klingenbergplatz gesprochen, das ganz bewußt sämtliche älteren Kasernenbauten einbezieht und dadurch sein markantes stadtteilprägendes Bild behält, wie es das zugehörige Bauschild denn auch versprach. Falls Neubauten wirklich nötig wären, hätten die eingeschossigen Werkhallen Raum genug geboten, die keinen sonderlichen Erhaltungswert haben.
Man kann nur schützen, was man wertschätzt, und kann nur schätzen, was man kennt. Insofern bleibt geschichtliche Aufklärung eine gesellschaftlich notwendige Aufgabe – nicht nur aber gerade auch in Oldenburg.

Martin Teller, 3.6.2006

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900 Jahre Oldenburg?

Die Stadt Oldenburg bereitet sich auf ein großes Jubiläum im Jahre 2008 vor, wobei gelegentlich historische Daten und Begriffe durcheinandergeraten.

Älteste überlieferte Erwähnung des Namens Oldenburg: Ende 6. Zeile: ... ad Aldenb(ur)g. In einer Urkunde zum Jahre 1108 als Abschrift erhalten in einem Kopialbuch des Klosters Iburg aus dem 14. Jahrhundert. (Aus: Der Sassen Speyghel, Sachsenspiegel - Recht - Alltag, hrsg. von Ebgert Koolmann, Ewald Gäßler, Friedrich Scheele, Oldenburg 1995, Bd. 1, S. 487.)

Viele werden sich noch ans Jahr 1995 erinnern, als die Stadt Oldenburg mit großem Aufwand das 650te Stadtrechtsjubiläum feierte. Nun liest und hört man öfter, die Stadt bereite sich für 2008 auf ihre 900-Jahresfeier vor. (Siehe Nordwest-Zeitung Nr. 169 vom 22.7.2006: Stadt will neun Tage lang feiern, OTM stellt erste Ideen zum Fest „900 Jahre Oldenburg“ vor.) Zwar ist bekannt, daß unsere Bevölkerung im Durchschnitt immer schneller altert, aber die Zeitrechnung sollte doch von diesem Trend ausgenommen sein. 250 Jahre zusätzliche Stadtgeschichte in nur 13 Jahren – hier waltet ein Mißverständnis durch ungenaue Begrifflichkeiten, nicht ein zeitdehnendes Schwarzes Loch (etwa in der Stadtkasse).

Man muß nämlich drei historische Daten unterscheiden: 1. die Ortsgründung, 2. die erste urkundliche Erwähnung des Ortes, nach dem das ganze Land benannt wurde, 3. die offizielle Stadtrechtsverleihung. Die bislang frühesten archäologischen Zeugnisse im Innenstadtkern legen nahe, die erste Ansiedlung sei hier im 7. oder 8. nachchristlichen Jahrhundert entstanden. Damit ist der sich später nach dem Grafensitz nennende Ort, dessen Urname und genaues Gründungsdatum nicht bekannt sind, mindestens ca. 1300 Jahre alt. Das „alt“ in „Olden“burg soll sich auf eine bereits vor der Grafenburg vorhandene ältere Fluchtburg beziehen. Erstmals schriftlich erwähnt und der Nachwelt überliefert wurde der Ort beiläufig in einer Urkunde von 1108 (daher die 900 Jahre – ältestes verwendbares Jubiläumsdatum), als Graf Egilmar I. für die Aufnahme in die Gebetsbruderschaft des Klosters Iburg bei Osnabrück diesem eine jährliche Gabe von 90 Bund Aalen aus dem Zwischenahner Meer versprach, die sich der Bote des Abtes bei „Aldenburg“ abholen sollte; siehe obige Abschrift. Sein Enkel Christian I., der Gründer der Grafenburg des mittleren 12. Jahrhunderts, nannte sich in einer Urkunde von 1149 erstmals Graf von Oldenburg, womit auch dem Land der Name gegeben worden war, wie sich später zeigte. Dagegen ist dem vormaligen Flecken Oldenburg, der Siedlung bei der Burg, erst am 6. Januar 1345 von den Grafen das Stadtrecht verliehen worden (Bezugsdatum der 650-Jahrfeier). Bis dahin unterlag er dem Landrecht und hatte eine nur sehr eingeschränkte Selbstverwaltung, die sich danach freilich auch nicht sonderlich von den Grafen emanzipieren konnte.

Demnach wird 2008 eben nicht der „900. Geburtstag der Stadt“ gefeiert, sondern das 900jährige Jubiläum der Erstüberlieferung des Burg- und Ortsnamens in seiner Vor- bzw. Parallelform. Also feiert Oldenburg als Land oder Stadt im Jahr 2008 weder Geburtstag noch ein „Volljährigkeitsjubiläum“ (Stadtwerdung), sondern einen runden Namenstag: 900 Jahre Zeugnis von Oldenburg.

Martin Teller, 26.7.2006

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