|
|
Im Mai 2006 konnte man als Passant im Oldenburger Stadtteil Kreyenbrück erleben, wie der nördliche Block der ehemaligen Leweck-Kaserne – später AEG/FHP Motors (jetzt ACC) – abgerissen wurde. Der Verfasser hat sich daraufhin das Gebäude näher angeschaut, bevor es ganz verschwand. Vielleicht waren auch die Leser verwundert, als sie zufällig bemerkten, daß seit Anfang Mai eines der alten Kasernengebäude am Klingenbergplatz abgerissen wurde. Hat man doch vorher nichts darüber in einer Zeitung lesen können. Offenbar wurde darauf verzichtet, vorab die Einwohner zu informieren, weil andernfalls noch jemand auf die Idee gekommen wäre, sich für den Erhalt des alten Hauses auszusprechen. Immerhin ist der Abriß in städtebaulicher Hinsicht bedauerlich, da das nun zerrissene Gebäudeensemble der „AEG-Kasernen“ – im Verbund mit den (z.T. noch erhaltenen) Blöcken der Hindenburgkaserne und dem alten Offizierskasino/Kinderkrankenhaus – seit mittlerweile 70 Jahren die Situation am Klingenbergplatz prägt. Der nun abgebrochene zweigeschossige Rotziegelbau mit Walmdach stand in etwa parallel zur Klingenbergstraße und bildete optisch den südlichen Abschluß der Straße An den Voßbergen. Er stand seit Jahren leer, bzw. man ließ ihn seit Jahren leerstehen – die Lesart macht den feinen Unterschied. Denn wenn ein Gebäude nicht genutzt wird, verkommt es ganz schnell, so daß man ebenso rasch feststellen kann, es sei baufällig und könne nicht mehr saniert werden. Ebenso läßt sich leicht behaupten, wenn ein traditionelles Gebäude dem Schaffensdrang eines Architekten oder eines Bauunternehmens im Weg steht, es sei moderner Nutzung nicht mehr dienlich. Daher ist das Bauschild mehr als erstaunlich, das abgesehen von einer vieldeutigen Überschrift mehr vom Bauvorhaben verschweigt als verrät: Warum enthält es das Gebäude (links), das doch abgerissen wurde? Nach dieser graphischen „Absichtserklärung“ zu urteilen war es sehr wohl weiterhin nutzbar und sollte auch genutzt werden. Wurden die Pläne tatsächlich mitten in der Neugestaltung der Anlage geändert, oder wollte man die Bevölkerung noch eine Weile mit der Wahrheit eines von vornherein geplanten Abbruchs verschonen?
Bauschild neben dem Haupttor des Kasernen-/Industriegeländes am Alten Postweg Höhe Klingenbergplatz, Schild und eingezeichnete Gebäude vom Klingenbergplatz aus gesehen. Das nördliche Haus links vom Tor wurde abgebrochen. Alle Fotos dieses Artikels von Martin Teller. Doch es soll in diesem Beitrag gar nicht um wiederum verpaßte Chancen im Gebäudedenkmalschutz gehen; wir werden sicherlich noch häufig Gelegenheit bekommen, uns jenem Thema zu widmen, das in Oldenburg ein leidvoll diskutierter Dauerbrenner ist. Am Klingenbergplatz bleiben die anderen vier Kasernenblöcke jedenfalls vorerst erhalten, wie die derzeit laufende Sanierung (sie ist also möglich) und die ringsum neuangelegte Pflasterung um die westlichen beiden Häuser zeigen. Vielmehr geht es hier um gesellschaftshistorische Merkmale und künstlerische Details der Kasernengebäude. Zunächst aber lohnt es sich, das ehemalige Kasernement ein wenig vorzustellen, über das im Gegensatz zur benachbarten Hindenburg-Kaserne (westlich links der Cloppenburger Straße) allgemein nur sehr wenig bekannt ist. Zur Orientierung kann die folgende Kartenzeichnung dienen.
Gebäude der ehemaligen Leweck-Kaserne in Oldenburg-Kreyenbrück, die nach 1945 von Industriebetrieben genutzt wurde. Eingezeichnet in die Karte der Stadt Oldenburg 1993, 1:10.000 (Ausschnitt mit Ergänzungen), von Martin Teller, Mai 2006.
Die Anlage der umfangreichen Militärbauten
in Kreyenbrück fiel in die Zeit der massiv betriebenen Wiederaufrüstung
des Deutschen Reiches unter nationalsozialistischer Regierung, was nicht
nur ein „Wiederaufholen“ nach den diktierten Truppenbeschränkungen durch
die Siegermächte des I. Weltkriegs war, sondern heimlich betriebene
Vorbereitung des nächsten Weltkriegs. Die Ortsgeschichte fügt sich in
diesem Punkt nahtlos in die Reichs- und Weltgeschichte: Zum 16.3.1935
wurde die allgemeine Wehrpflicht wiedereingeführt, 1935-36 – bei Tag und
Nacht! – die Hindenburg-Kaserne an der Cloppenburger Straße errichtet,
1936 das demilitarisierte Rheinland von deutschen Truppen (wieder)besetzt,
ab 1937/38 – wohl wiederum auch nachtsüber – die Leweck-Kaserne
angelegt, 1938 Österreich und das Sudentenland ans Deutsche Reich
angeschlossen, seit 1936 bis 1939 wurden Wohnblöcke für verheiratete
Unteroffiziere an der nahen Dr.-Schüßler- und Münnichstraße gebaut, bis
1940 auch das Standortlazarett und Kern des heutigen Klinikums An den
Voßbergen, sowie das Offizierskasino und spätere Kinderkrankenhaus am
Klingenbergplatz, 1939 begann mit dem Überfall auf Polen der II.
Weltkrieg, in dessen späterem Verlauf am 18.4.1945 die Kasernenanlagen
bombardiert und von vorstoßenden alliierten Truppen von der
Bahnhofsallee aus mit Artillerie beschossen wurden, wie der Verfasser
aus ortsgeschichtlichen Interviews mit Zeitzeugen erfahren hat.
Es war bis dato in Kreyenbrück also
weitgehend gelungen, das steinerne Erbe einer blutigen Zeit
friedlicheren Zwecken dienstbar zu machen. Manche Abbrüche auf dem Areal
der Hindenburgkaserne rissen indes erste Lücken in den historischen
Baubestand, obwohl der Kern der Anlage dank erhaltener Kompanieblöcke an
der Cloppenburger Straße noch immer gut erkennbar ist. Nun also nagt der
Zahn einer ausschließlich wirtschaftlich orientierten Zeit auch an der
Leweck-Kaserne. Ein Anlaß, ihre Baulichkeiten zu beschreiben, soweit sie
als Nebenergebnis anderer Recherche in Erfahrung gebracht werden
konnten.
Die Planung der seit 1935 im Bau befindlichen Hindenburg-Kaserne fällt demnach in eine Übergangsperiode innerhalb der Naziherrschaft, wo die neuen Machthaber noch Avancen in Richtung der alten machten. 1934 war Hindenburg gestorben, dessen Reichspräsidentenamt anschließend mit Hitlers Reichskanzlerschaft vereint wurde, womit dieser die ganze Staatsmacht in den Händen hielt. Bei der spätestens 1937 geplanten und 1938 begonnenen Leweck-Kaserne verzichtete man dann auf architektonische Verbeugungen vor den vorherigen Machthabern Deutschlands. Sie darf man darum wohl als einen Kasernentyp nationalsozialistischer Ideologie in Reinform bezeichnen, was neben der erwähnten Bauanordnung auch künstlerische Details zeigten, die unten zur Sprache kommen. Der Wandel läßt sich nicht zuletzt an den Kasernennamen ablesen. Die Leweck-Kaserne ist nach einem recht unbekannten im I. Weltkrieg gefallenen Oberleutnant benannt. Zwar ragten Wehrmachts- und Parteioffiziere aus der im Dritten Reich propagierten „Volksgemeinschaft“ zumeist als vorbildlich dargestellte Führungsfiguren heraus, was dem Geist des Führerstaates entsprach. (In diesem Sinne war die Hervorhebung durch ein eigenes Kasinogebäude auch unter den Nazis „legitim“.) Doch Leweck war weit weniger gesellschaftselitär als ein prominenter adeliger Generalissimus der Kaiserzeit, den Paul von Hindenburg verkörperte, und symbolisierte daher eher den Typus des im Volk verwurzelten Führers im Nazireich, selbst wenn er dieses gar nicht mehr erlebt hat und sich nicht mehr gegen eine solche Vereinnahmung hätte wehren können. Ein Briefumschlag, adressiert an einen während des II. Weltkrieges in der Leweck-Kaserne stationierten Soldaten. Vorne: Feldpost / Gefrt. [Gefreiter] Rudolf Johannsen / 2. E. 489 [militärische Einheit] / Oldenburg in Oldenburg / Leweck-Kaserne. Poststempel vom 5.6.1942. Eine Frankierung war bei Post an Soldaten zu Kriegszeiten offenbar nicht nötig. Hinten: Abs.[ender] Johannsen, Hamburg 39, Semperstr. 6 II. Der Brief selbst ist nicht erhalten. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Burkhard Koop, Oldenburg.
Wie auf der Karte zu erkennen ist, wird das
ehemalige Kasernen- und spätere Industriegelände im Norden von
Klingenbergstraße und Klingenbergplatz und im Westen vom Alten Postweg
umgrenzt. Im Osten und Süden gibt es dagegen Unterschiede zwischen
militärisch und industriell genutztem Gelände. Östlich der
Kasernenblöcke befinden sich zumeist Wohnhäuser, deren Gärten seit jeher
das Kasernengelände begrenzen. Das bis zum Giesenweg reichende
Grundstück im Nordosten, worauf sich heute die katholische St.
Michael-Kirche und Gebäude der Kirchengemeinde befinden, gehörte dagegen
ursprünglich mit zum Kasernenareal. Hier war nicht nur die Errichtung
eines weiteren Blocks geplant, der die Nummer 4 bekommen sollte, sondern
auch Wohnhäuser für Unteroffiziere. Südlich reichte das Militärgelände
nur bis zum Meerkamp, der noch bis in die 1950er Jahre hinein gerade zum
Alten Postweg durchlief. Für anschließend erweiterte Industrieanlagen
sowie für Parkplätze der Beschäftigten wurde das Gelände nach Süden
ausgedehnt und als neue Wegeverbindung die ab 1960 Schellenberg genannte
Straße angelegt (vorher hieß der Suhrkamp so). Historische Fotos von der Leweck-Kaserne siehe im Bildband bei Bernd Franken, Helga Kramp: Kreyenbrück und Bümmerstede, Oldenburger Ansichten, Oldenburg 2004, S. 5 (im Hintergrund), 28, 42-43, 47; Fotos von der Hindenburgkaserne S. 5 (vorne), 15, 20-23, 33, 46, die Fassadenfiguren auf S. 22; vom Klinikum S. 36-37; vom Kasino und dem Kinderkrankenhaus S. 52; vom Klingenbergplatz S. 9, 42-43, 47.
Abgesehen von einigem schlichten
Backsteinziermauerwerk in den Fassaden besteht der einzige von außen
sichtbare Bauschmuck mancher Kasernenblöcke in aufwendig gestalteten
Wappensteinen in den Türbögen. Jedes der in Reihe stehenden Häuser Nr.
1, 2, 5 und 6 hat zur Hofinnenseite des ehemaligen Exerzierplatzes zwei
Eingänge, deren jeweils nördlicher der erste und der südliche der zweite
ist.
Wappensteine in den Türbögen der Hauseingänge zur Kaserneninnenseite. Von links nach rechts: 1.) Gebäude 1 (Stabsgebäude), Eingang 1: Brake 1139, 2.) Eingang 2: Oldenburg 1108. Beide Eingänge in Gebäude 2 ohne Wappen, bei Eingang 1 zerstört. Gebäude 3 und 4 fehlen. 3.) Gebäude 5: Eingang 1: Elsfleth 1220, 4.) Eingang 2: Cloppenburg 1296. 5.) Gebäude 6, Eingang 1: Jever 1039, Eingang 2 ohne Wappen. Ehemaliges Gebäude 7 ebenfalls.
Das Stabshaus hat zum Tor hin eine
Wachstube. Abgesehen davon stach nur Gebäude 7 in baulicher Hinsicht aus
den fünf großen Blöcken heraus: Es besaß zwei Vollgeschosse anstatt
sonst drei, sein Walmdach war mit schwarzen Dachpfannen gedeckt statt
mit roten. An beiden Längsseiten saßen eingeschossige Vorbauten. Der
Haupteingang auf der Südseite zum Kasernenhof war im Gegensatz zu den
sonst recht schmalen Eingangstüren ein breites Portal mit dreifachen
hohen ziegelgemauerten Bögen, hinter denen sich drei
nebeneinanderliegende große Eingangstüren befanden. Was dort so
auffällig im ideellen Mittelpunkt der Kasernenanlage stand, war nicht
ein elitäres Kommandeursgebäude, sondern ein Gemeinschaftshaus –
symbolhaft für die propagierte Soldaten- bzw. Volksgemeinschaft –, das
Kantinen-, Aufenthalts- oder Versammlungsgebäude der Kaserne (später von
der AEG als Kantine und für Weihnachtsfeiern der Belegschaft genutzt).
Im Erdgeschoß enthielt es zwei Säle, einen großen langgestreckten im
Nordteil, und einen kleinen im Süden rechts des Eingangs, die beide mit
bogenverbundenen vertäfelten Pfeilerreihen versehen waren, welche den
Räumen ein gehobenes Aussehen gaben und die Anbauten mit den
Fensterreihen optisch abtrennten. Diese Vorbauten sollten hauptsächlich
die Säle vergrößern. Im so gewonnenen Raum befanden sich im nördlichen
Saal Tische und Bänke, auf der Südseite links des Eingangs diente er als
zusätzlicher Teil der Küche.
Mosaik im Eingangsportal
zu Gebäude 7, rechte Seite: ein Bauer beim Säen. Bildunterschrift:
„FERTIGGESTELLT AN DER SAAR / IM KRIEGSWINTER 1939/40“. (Unten Planen
von Baumaterial, das zu schwer war, um es aus dem Bild zu schieben.)
Mosaik im Eingangsportal zu Gebäude 7, linke Seite: ein Bauer bei der Ernte. Bildunterschrift: „FISCHER-TRACHAU / 1939“.
Den Daten nach kann bei der Leweck-Kaserne
von einem Bauabschluß im Jahr 1939 ausgegangen werden, wobei 1940 noch
einige Nacharbeiten erfolgten. Die bäuerlichen Mosaikszenen in einer
Kaserne erklären sich mit der Weltanschauung ihrer Erbauer. Deren
bevorzugte sogenannte „Blut und Boden-Kunst“, welcher diese Werke
zuzuordnen sind, wollte die Blutsverbundenheit des einzelnen mit Sippe
und Volk sowie Verbundenheit mit dem bäuerlichen Lebenskreis betonen und
mythisch überhöhen. In einem militärischen Umfeld liest sich das
(historisch unzulässig vereinfacht) als: „Die Deutschen sind Nachfahren
der Germanen, sind wie diese bodenständige Bauernkrieger!“ – wobei der
blonde blauäugige Mann mit der Sense als augenfälliges Symbol für die
Kunst jener Zeit erscheint. Der Verfasser geriet noch mehr ins Staunen, als er nach dem schmucklosen großen Saal in den kleinen Saal trat. An seiner Nordwand befand sich ein etwa 1,50 mal 4 m langes Gemälde, das eine bäuerlich-dörfliche Tanzszene zeigt, wie auf den Fotos zu erkennen ist. Das Wandgemälde stammt anders als die Mosaike nicht von irgendeinem wenig bekannten Künstlertalent, sondern vom Oldenburger „Landesmaler“ Bernhard Winter! Er hat es eigenhändig an die Kasernenhauswand gemalt, wie die Signatur unten rechts erkennen ließ ("Entw. u. gem. v. Bernhard Winter 1939-40").
Wandgemälde im „kleinen Saal“ in Gebäude 7, Nordseite: eine bäuerliche Volkstanz-Szene. Bildunterschrift: „Entw.[orfen] u.[nd] gem.[alt] v.[on] Bernhard Winter 1939-40". (Ausschnitte – links / Mitte / rechts – zum Vergrößern anklicken. Die weißen Flecken waren Beschädigungen im Unterputz.)
Trotz kleinerer Beschädigungen des Werkes,
das auf Putz aufgetragen war, und trotz insgesamt eher schlechten
Zustandes, der zuletzt wohl von vorbereitenden Abbrucharbeiten herrührte
(siehe links unten die banausenhafte Kreidebeschriftung), waren die
Bildinhalte klar zu erkennen. Der eindrucksvoll gestaltete Bildaufbau
und die immer noch kräftigen leuchtenden Farben verfehlten ihre Wirkung
auf den Betrachter nicht. In der Bildmitte im Vordergrund tanzen vier
Pärchen im Kreis, acht erwachsene Männer und Frauen des Dorfes, das
dahinter durch zwei hintereinanderliegende reitgedeckte Bauernhäuser
sowie einen Wirtschaftsbau aus Ziegelfachwerk angedeutet wird. Die
Stimmung ist ländlich-idyllisch, betont durch das samtige Sonnenlicht
hinter hohen Eichen im rechten Bildhintergrund. In der rechten
Bildhälfte sitzen und stehen einige Alte, die den Erwachsenen
interessiert zusehen bzw. ihnen Musik machen. Am linken Bildrand stehen
zwei Kinder, die dem Geschehen den Rücken zukehren und wohl mit Spielen
beschäftigt sind. Von alledem hat sich der Verfasser noch selbst ein Bild machen können, als die Räume schon geleert und mit Abbruchschutt überzogen waren, kurz bevor das Haus ganz abgebrochen wurde, nur das gewiß spartanischer ausgestattete Obergeschoß wurde sicherheitshalber nicht mehr betreten. Zu den Aufgaben eines Historikers gehört die Dokumentation des (Bald-)Vergangenen, insofern war diese Initiative geradezu eine Verpflichtung, besonders wenn die breite Öffentlichkeit sonst nichts von den Kunstwerken erfahren hätte, die da unter ihren Augen vernichtet wurden. Ironischerweise spiegelte dieser Einsatz, den der Verfasser „bewaffnet“ mit Fotoapparat und Bauhelm für eine kulturinteressierte Bürgergemeinschaft unternahm, in gewisser Hinsicht manche Ideale der Propagandadarstellungen. Man will den Einsatz für die Gemeinschaft doch nicht den Nationalsozialisten überlassen, deren Werke entgegen ihren gemeinschaftsbetonenden Worten und Bildern viel mehr Zerstörendes als Verbindendes hatten.
Freilich ist unsere eigene Zeit auch recht
routiniert im Zerstören. So bedeutsam Standort und Baugestalt von
Gebäude Nr. 7 im Kasernenzusammenhang auch waren, das Wertvollste daran
war zweifellos die Kunst am Bau. Wenn schon der Kasernenblock selbst
anscheinend recht willkürlich preisgegeben wurde, dann hätten wenigstens
die beiden Mosaike und das Wandgemälde aus künstlerischen,
geschichtswissenschaftlichen, lokalhistorischen und bildungspolitischen
Gründen vor dem Abriß gerettet werden können. Nach Auskunft des
engagierten stvtr. Direktors des Stadtmuseums, Udo Elerd, wäre es
technisch möglich gewesen, die Mosaike aus der Wand zu lösen, was
natürlich nicht umsonst zu haben gewesen wäre. Man darf aber fragen, ob
solch ein Posten angesichts der insgesamt viel höheren
Umgestaltungskosten des nordwestlichen Kasernengeländes z.B. für die
Investoren überhaupt ins Gewicht gefallen wäre.
Erst am Monatsende, als das Gebäude längst
zerstört war, erschien ein Artikel dazu in der Presse, in dem das
Bauvorhaben der Öffentlichkeit näher vorgestellt wird (Nordwest-Zeitung,
Nr. 124, Dienstag 30.5.2006, Aus den Stadtteilen: „AEG-Kantine liegt in
Trümmern, Unternehmen schafft Platz für das Projekt Klingenberg-Park“.).
Darin geben die Bauverantwortlichen
erwartungsgemäß zu Protokoll, daß sie das mittelgroße Gebäude abgerissen
haben, „weil man [d.h. sie] mit der Gebäudesubstanz nichts mehr anfangen
konnte.“ Mit den daran befindlichen Kunstwerken konnte man
offensichtlich schon gar nichts anfangen. Hatte man sie überhaupt
wahrgenommen? Was man nun genau Neues bauen wollte, konnte man indes nur
ungefähr angeben, denn „das Projekt befindet sich noch in der
Entwicklungsphase“. Das historische Kasernenhaupt hat man auf jeden Fall
aber schon einmal beseitigt. Es bleibt für den südlichen Stadtteil zu
hoffen, daß die geplanten umfangreichen „5000 Quadratmeter für Büros und
Praxen“ auch ihre Mieter finden, schließlich ist die Ärztedichte im
Stadtgebiet nicht gerade gering und Büroraum in den Vororten nicht eben
selten.
Dabei wird es wohl nicht bleiben. Nachdem
bereits die stadtbekannte Alte Wache neben der Straße Am Pulverturm
abgebrochen und bis dato nur durch eine unkrautbewachsene Sandfläche
nebst einem optimistischen Bauschild ersetzt wurde und man das schon
erwähnte Soldatenbild am Block der Hindenburgkaserne mitsamt einigen
ihrer Gebäude zerstört hat, ist demnächst noch der Abbruch des
ehemaligen Offizierskasinos/des Kinderkrankenhauses zu erwarten, der
immerhin kürzlich in einem Presseartikel als wahrscheinlich angekündigt
wurde. Auf diese Weise verliert der Stadtteil Kreyenbrück mehr und mehr
sein lang vertrautes Gesicht.
Die Stadt Oldenburg bereitet sich auf ein großes Jubiläum im Jahre 2008 vor, wobei gelegentlich historische Daten und Begriffe durcheinandergeraten.
Älteste überlieferte Erwähnung des Namens Oldenburg: Ende 6. Zeile: ... ad Aldenb(ur)g. In einer Urkunde zum Jahre 1108 als Abschrift erhalten in einem Kopialbuch des Klosters Iburg aus dem 14. Jahrhundert. (Aus: Der Sassen Speyghel, Sachsenspiegel - Recht - Alltag, hrsg. von Ebgert Koolmann, Ewald Gäßler, Friedrich Scheele, Oldenburg 1995, Bd. 1, S. 487.) Viele werden sich noch ans Jahr 1995 erinnern, als die Stadt Oldenburg mit großem Aufwand das 650te Stadtrechtsjubiläum feierte. Nun liest und hört man öfter, die Stadt bereite sich für 2008 auf ihre 900-Jahresfeier vor. (Siehe Nordwest-Zeitung Nr. 169 vom 22.7.2006: Stadt will neun Tage lang feiern, OTM stellt erste Ideen zum Fest „900 Jahre Oldenburg“ vor.) Zwar ist bekannt, daß unsere Bevölkerung im Durchschnitt immer schneller altert, aber die Zeitrechnung sollte doch von diesem Trend ausgenommen sein. 250 Jahre zusätzliche Stadtgeschichte in nur 13 Jahren – hier waltet ein Mißverständnis durch ungenaue Begrifflichkeiten, nicht ein zeitdehnendes Schwarzes Loch (etwa in der Stadtkasse). Man muß nämlich drei historische Daten unterscheiden: 1. die Ortsgründung, 2. die erste urkundliche Erwähnung des Ortes, nach dem das ganze Land benannt wurde, 3. die offizielle Stadtrechtsverleihung. Die bislang frühesten archäologischen Zeugnisse im Innenstadtkern legen nahe, die erste Ansiedlung sei hier im 7. oder 8. nachchristlichen Jahrhundert entstanden. Damit ist der sich später nach dem Grafensitz nennende Ort, dessen Urname und genaues Gründungsdatum nicht bekannt sind, mindestens ca. 1300 Jahre alt. Das „alt“ in „Olden“burg soll sich auf eine bereits vor der Grafenburg vorhandene ältere Fluchtburg beziehen. Erstmals schriftlich erwähnt und der Nachwelt überliefert wurde der Ort beiläufig in einer Urkunde von 1108 (daher die 900 Jahre – ältestes verwendbares Jubiläumsdatum), als Graf Egilmar I. für die Aufnahme in die Gebetsbruderschaft des Klosters Iburg bei Osnabrück diesem eine jährliche Gabe von 90 Bund Aalen aus dem Zwischenahner Meer versprach, die sich der Bote des Abtes bei „Aldenburg“ abholen sollte; siehe obige Abschrift. Sein Enkel Christian I., der Gründer der Grafenburg des mittleren 12. Jahrhunderts, nannte sich in einer Urkunde von 1149 erstmals Graf von Oldenburg, womit auch dem Land der Name gegeben worden war, wie sich später zeigte. Dagegen ist dem vormaligen Flecken Oldenburg, der Siedlung bei der Burg, erst am 6. Januar 1345 von den Grafen das Stadtrecht verliehen worden (Bezugsdatum der 650-Jahrfeier). Bis dahin unterlag er dem Landrecht und hatte eine nur sehr eingeschränkte Selbstverwaltung, die sich danach freilich auch nicht sonderlich von den Grafen emanzipieren konnte. Demnach wird 2008 eben nicht der „900. Geburtstag der Stadt“ gefeiert, sondern das 900jährige Jubiläum der Erstüberlieferung des Burg- und Ortsnamens in seiner Vor- bzw. Parallelform. Also feiert Oldenburg als Land oder Stadt im Jahr 2008 weder Geburtstag noch ein „Volljährigkeitsjubiläum“ (Stadtwerdung), sondern einen runden Namenstag: 900 Jahre Zeugnis von Oldenburg.
|
http://www.Stadt-Land-Oldenburg.de / www.Stadt-Land-Oldenburg.info |