Das Oldenburger Wunderhorn

Reflexionen 8

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Berlins „Koffer“ am Oldenburger Bahnhof

Der Berliner Platz in Oldenburg „zog um“, aber das zugehörige Bären-Denkmal soll verbannt werden. Gedanken zu sinnstiftenden Plastiken im öffentlichen Stadtraum.

„Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin“ lautet eine oftgenannte Zeile aus einem deutschen Schlager des 20. Jahrhunderts. Seit dem Jahr 2008 gilt diese Aussage für Oldenburg auch umgekehrt: Berlin hat sozusagen einen „Koffer“ – ein Stück Erinnerung – am hiesigen Bahnhof. Denn als die Landessparkasse zu Oldenburg (LzO) im Zuge der ECE-Ansiedlung ihre Zentrale an den nördlichen Bahnhofsvorplatz verlegte, durfte sie den Straßennamen „Berliner Platz“ mitnehmen, der bislang die Fläche zwischen innerstädtischem LzO-Haus, ehemaligem Hallenbad und Oldenburger Schloss benannte.
Dabei passten die Interessen der Privatwirtschaft und der historischen Namenspflege (wie sie der Verfasser durch Beratung der Stadt bei Straßennamen betreibt) problemlos zusammen: Sicher war der Sparkasse daran gelegen, Adressänderungs-Kosten zu sparen, das ECE-Unternehmen bekam mit dem umbenannten Platznamen einen zusätzlichen Bezug für die Namensgebung ihres Einkaufszentrums „Schlosshöfe“, und Historiker und Freunde der Stadtgeschichte können zufrieden sein, weil durch den namentlichen „Umzug“ des Berliner Platzes buchstäblich der Platz frei wurde für die Wiederherstellung des historischen Namens Schlossplatz, der erst 1960 zugunsten Berlins aufgegeben worden war. Dementsprechend äußerte sich der Verfasser am 3.5.2008 in einem Schriftwechsel mit der Oldenburger Grünen-Ratsfrau Alexandra Reith, die ihn um eine Stellungnahme gebeten hatte (nachträgliche Erläuterungen in eckigen Klammern):

Es ist also richtig, was ich beiläufig gehört habe: Der Berliner Platz soll verlegt werden. Ich bin dafür! Eine gute Idee, und zwar vor allem aus historischen Gründen.
In meinem Beitrag zur Schlossplatzbebauung unter Historienspiegel / Reflexionen 4 finden Sie auf meiner Homepage eine Karte mit der klassizistischen Ringbebauung um das Oldenburger Schloss. Darin enthalten sind die historischen Bezeichnungen der dortigen Platzteile. Auch wenn die Straße Schlossplatz am Westrand liegt [gehörte bis 1912 noch zur Straße „Damm“], ist der Ostteil der eigentliche Schlossplatz, der heutige [bis 2008] Berliner Platz, der aus Solidarität mit der [eingeschlossenen alten Reichs-]Hauptstadt so bezeichnet wurde. Berlin steht nicht mehr so unter Druck wie noch zur Zeit seiner „Insellage“ vor 1990, dass unsere Unterstützung noch ein (auch stadträumlich) zentrales Anliegen sein müsste. Eine bloße Verlegung statt Streichung des Platznamens würde dennoch die Verbundenheit mit Berlin [seit 3.10.1990 Bundeshauptstadt] aufrechterhalten. Man muss dann aber konsequent sein und die drei Berliner Bären mitverlegen!
An deren oder ähnlicher Stelle könnte man als Pendant zum Peter Friedrich Ludwig-Denkmal endlich ein Graf Anton Günther-Denkmal errichten (am besten als Reiterdenkmal, er auf „Kranich“), das in Oldenburg auch aus touristischen Gründen schon lange vermisst wird. Dann müsste man den Platz auch nicht nach dem Grafen selbst benennen [wurde ebenfalls erwogen], was zwar eine gar nicht unpassende geschichtliche aber keine [original] historische Bezeichnung wäre.
Der westliche Platzteil heißt traditionell Baumhof, und so könnte er auch offiziell wieder benannt werden, trotz der nur noch wenigen Bäume dort. Die Grafen hatten sich hier einen Ziergarten mit Bäumen und Laubengang anlegen lassen (ähnlich dem Prinzengarten unserer Partnerstadt Groningen), einen Vorläufer des heutigen Schlossgartens, den Graf Anton Günther umgestalten ließ. Insofern könnte man diesen westlichen Platzteil durchaus nach dem Lieblingsgrafen der Oldenburger benennen, historisch treffender wäre aber Baumhof.
 

Auf eine Benennung des westlichen Platzteils mit einem eigenem Namen hat man 2008 verzichtet, der ganze Raum zwischen der Straße Schlossplatz entlang dem Schloss bis zur Poststraße heißt nun aber passenderweise Schlossplatz. Der Vorschlag eines Grafendenkmals ist auch dem Umstand geschuldet, dass es in der Pferdestadt Oldenburg zwar Pferdeplastiken aber kein wirkliches Reiterdenkmal gibt. Im Übrigen ließe sich Anton Günther alternativ auch „zu Fuß“ in einem Denkmal darstellen, das der geschichtlichen Bedeutung des Grafen für Stadt und Land Oldenburg angemessen wäre, ohne deshalb altertümlich-unreflektierte Fürstenverehrung ausstrahlen zu müssen.

Kinderfreundlich, aber kein Kinderspielzeug:
Das Berliner Bären-Denkmal neben dem Oldenburger Schloss.
(Unten der spätere Verfasser. Foto: Gunter Teller, Ende Juni 1967.)

Wie erwähnt ging der Verfasser davon aus, dass mit dem Berliner Platz selbstverständlich auch das „Berliner Bären“-Denkmal mitverlegt wird. In Anspielung auf das Symboltier Berlins wurde die Bronzeplastik Drei stehende Bären vom Bildhauer Paul Halbhuber eigens für den Berliner Platz geschaffen und dort am 7. November 1965 der Öffentlichkeit übergeben, indem es in einem Festakt enthüllt wurde. Anfangs eher ungeliebt („Schweinenasen“, „Antennenohren wie Außerirdische“) stand die Bärengruppe doch seit über 40 Jahren auf dem Berliner Platz und bildete mit ihm eine Sinneinheit, die allmählich ein geschätzter Teil des Oldenburger Stadtbildes wurde (siehe Fotos vom alten Standort beim Schloss: ganz, randlich).
Daher waren informierte Oldenburger sehr erstaunt, als sie erfuhren, die Stadt wisse noch nicht, wo man die beim Platzumbau entfernten Bären künftig lassen solle, die derzeit in einer Halle auf dem ungenutzten Fliegerhorst gelagert werden. Erwogen wird sogar, das Denkmal vor dem Kinderkrankenhaus neben farbigen Fantasiefiguren aufzustellen, zu denen es gar keinen thematischen Bezug hat. (Nordwest-Zeitung, 23.7.2008, Artikel „Finden Bären neue Heimat in Kreyenbrück?“)
Daraufhin wandte sich der Verfasser am selben Tag in einer kurzen Einlassung per E-Mail an einzelne Ratsmitglieder verschiedener Fraktionen, die sich in kulturellen Themen als interessierte Gesprächspartner gezeigt haben:

Die derzeit „heimatlosen“ Berliner Bären sollten m.E. passenderweise am neuen Berliner Platz aufgestellt werden, da das Denkmal seinerzeit direkt für den alten Berliner Platz geschaffen wurde und seither stadtbildlich dazugehört. Mit der symbolhaften Darstellung der Bundeshauptstadt sind die Bären mehr als bloße Tierfiguren, sie verkörpern die jüngere deutsche Geschichte, den föderalen Zusammenhalt der Republik und die Solidarität ihrer Bürger untereinander.
Das Denkmal könnte am neuen noch etwas zugigen Ort beim ZOB für ein stärkeres Gefühl von Urbanität sorgen und Reisenden ein freundliches Oldenburg präsentieren, sich für diese vielleicht sogar zu einem beliebten Treffpunkt entwickeln.
 

So harmlos-putzig sein Anblick indes auch anmutet: Das Bären-Denkmal ist ein bedeutungsvolles zeitgeschichtliches Monument, es zeigt die Verbundenheit der Stadt Oldenburg mit der Stadt Berlin, die seit dem 13.8.1961 durch den Mauerbau geteilt war. Es steht außer für rein kommunale auch für privatbürgerliche Solidarität mit dieser durch Kriegsfolgen schwer getroffenen Stadt. Es steht auch für den festen Willen der bundesrepublikanischen Gesellschaft wie der Westalliierten, diese so begriffene „Insel der Freiheit“ nicht preiszugeben, sie als (ideelles, nicht rechtliches) Teil-Bundesland Westdeutschlands zu begreifen und unter großen Anstrengungen zu halten gegen die Vereinnahmungs- bzw. Abschnürungsversuche einer Diktatur.
Deshalb erscheint es höchst unpassend – und gleichzeitig sehr beruhigend –, wenn ernsthaft der Gedanke aufkommen kann, die Bärengruppe sei ein „Kinderspielzeug“. Denn die „Drei (aufrecht) stehenden Bären“ sind in ihrer Symbolhaftigkeit, wenn man es in letzter Konsequenz betrachtet – ein Staatsdenkmal. Nicht ein offizielles Selbstdenkmal des Staates freilich, sondern ein Mahnmahl der Bürger für bedrohte Teile ihres Gemeinwesens. Diese Sichtweise mag ungewohnt sein, zeigt sich im Objekt doch nicht der bekannte wilhelminische Pomp, keine kalte Pracht des Nationalsozialismus, nicht einmal ein pflichtschuldiges demokratisches Mahnmal für Tod, Sühne und Trauer wie bei zahlreichen Nazi- und Kriegsopfergedenkstätten. Nein, das Oldenburger Berlin-Denkmal flößt einem keine Furcht ein, es zwingt einem nicht einmal die eigentlich angebrachte Ehrfurcht auf. Wie beruhigend, solange es nicht zu völliger Geschichtsvergessenheit führt, wenn sich eine Gesellschaft für ihren Staat eine derart zurückhaltende Symbolik erlauben mag. Das war bekanntlich in Deutschland nicht immer so.

Den Sinnzusammenhang zwischen Berliner Bären und Berliner Platz haben auch mehrere Leserbriefschreiber in der örtlichen Presse herausgestellt, die sich ebenfalls für eine Rückkehr der Bären auf den namensgleichen Platz am neuen Ort aussprachen (NWZ, 28.7.2009). Der Gedanke fand denn auch Anklang im Rat, wie die entsprechende Stellungnahme der FDP-Fraktion zeigt (NWZ, 13.8.2009, Artikel: FDP will Bären bei der LzO sehen“).

Berliner Platz und Bären beziehen sich unmittelbar aufeinander. Der Stadtrat möge dafür sorgen, dass wieder „zusammenwächst, was zusammengehört“. Das gilt gleich in mehrfacher Hinsicht, denn der Schöpfer dieses Zitats, der Alt-Bundeskanzler und frühere Regierende Bürgermeister Berlins zur Zeit des Mauerbaus, hat seinen Erinnerungsort gleich nebenan im Willy-Brandt-Platz.

* * *

P.S.: Erinnert sei in dem Zusammenhang auch an eine viel weniger bedeutungsgeladene Bronzeplastik im August-Hinrichs-Hof, den im Zuge der Schlossplatz-Bauarbeiten ebenfalls abmontierten Hahnenbrunnen, der lediglich für ein populäres plattdeutsches Theaterstück steht (August Hinrichs: „Wenn de Hahn kreiht“) und m.W. Eigentum der Bremer Landesbank ist. Den Hahnenbrunnen würde man dort gerne wiedersehen, und anders als in den letzten Jahren gerne in funktionierendem Zustand.
 

Martin Teller, 14.8.2009

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Eine interdisziplinäre "Sternstunde"

Augenzeugenbericht des Verfassers, der das seltene Glück hatte, einen über Nordwestdeutschland zerbrechenden Meteor beobachten zu können.

Geographie ist eine vielfältige Disziplin mit Überschneidungsbereichen zu sehr unterschiedlichen Fächern wie u.a. Geologie, Botanik, Raumplanung – und sogar Astronomie. Schließlich ist die Erde selbst ein Himmelskörper, den zu beschreiben Aufgabe der Geographie ist. Man kann dabei die Erde „von außen“ vom All aus betrachten oder spezielle irdische Merkmale durch Außeneinwirkung erklären. Große Himmelskörper können riesige Krater bilden wie das Nördlinger Ries in Bayern. Kleinformen finden sich als erhaltene Meteoriten-Teile immer wieder zufällig überall auf der Erde. Manchmal erreichen sie (als wenige Milligramm leichte) Kleinstmeteore nur die Erdatmosphäre, wo sie als „Sternschnuppen“ verglühen.

Was in den frühen Abendstunden des 13. Oktobers 2009 über dem Himmel Nordwestdeutschlands oder dem der Niederlande bzw. der Nordsee niederging, war allerdings von anderem Kaliber: ein größerer Meteor, der so selten zu beobachten ist, dass Astronomen in solch einem Fall von einem „kosmischen Lotto-Sechser“ sprechen, den man nur einmal im Leben sieht.

Dem Verfasser war ein solches Glück vergönnt, als er an jenem Dienstag von einem Ausflug mit seiner Schwester und seinem Neffen aus Mittelniedersachsen nach Oldenburg zurückkehrte. Bei einem Tankstopp an der Raststätte Langwedel-Daverden an der Autobahn 27 zwischen Verden und Bremen ging seine Schwester in den Restaurantbereich, um etwas Warmes zu trinken, während der Neffe im Wagen blieb und spielte.
Der Verfasser war ausgestiegen und schaute zufällig an den Himmel über der in nordwestlicher Richtung nach Bremen führenden Autobahn. Seiner (zeitlich ein wenig unsicheren) Erinnerung nach war es kurz nach 18 Uhr, als von links hoch oben ein sehr helles weiß leuchtendes und etwas länglich erscheinendes Objekt ziemlich rasch angeflogen kam, welches der Verfasser zuerst für irgendein von Menschen konstruiertes Flugobjekt hielt, das von der Abendsonne angestrahlt wurde.
Nach kurzem Wegschauen – Technik ist in unserer Zeit ja nichts Außergewöhnliches mehr – war es etwas weiter geflogen, als der Verfasser rein zufällig wieder hochblickte. Da befand sich das Objekt etwa in Höhe über der Autobahnmitte – und zerbrach dann plötzlich in mindestens drei hellgelb erglühende und sogleich erlöschende und verschwindende Teile, die von Osten aus gesehen nach „rechts“ fielen, also in Flugrichtung. Einer kurzen Verwunderung folgte die Vermutung, dass es sich wohl um einen natürlichen Himmelskörper gehandelt haben müsse, an ein Flugzeugunglück dachte der Verfasser zu keiner Sekunde.
 Bemerkenswert war auch die lange helle Rauchspur am Abendhimmel, die der Meteor nach sich zog und die sich etliche Zeit hielt, nachdem sich seine Einzelteile längst in kleinen dunkelgrauen Rauchwolken aufgelöst hatten, die kurz danach zu einer einzigen größeren Wolke zusammenwuchsen. Als die Schwester nach ca. 10 Minuten wieder zurückkehrte, waren die leicht krakelige (windverwehte) Rauchspur und Reste der großen Rauchwolke noch immer am Himmel zu sehen, auf die der Verfasser aufmerksam machte.

Der von links = Südwest sehr rasch anfliegende Meteor zerbrach in mehrere Teile und löste sich in einer Rauchwolke auf. Die nachgezogene schmale Rauchspur hielt sich noch über 10 Minuten am Abendhimmel. Die Skizzen zeigen jeweils nur wenige Sekunden Unterschied. Zeichnungen: Martin Teller, Oktober 2009.

Aus Presseberichten in den nächsten Tagen war zu erfahren, dass er nicht der einzige Augenzeuge gewesen ist. Manche haben den Meteor oder seine Rauchspur sogar fotografieren können, wobei sie die Farben teilweise anders wahrgenommen oder aufgenommen haben (Meteor leicht grün, Rauchwolke rot), was mit dem jeweiligen Standort und der unterschiedlichen Entfernung zu erklären sein wird.
Die Bestandteile des Meteors sind entweder gänzlich verglüht oder in die Nordseerandzone gefallen. Vielleicht werden sie im zweiten Fall eines Tages noch gefunden; wie Deutschlands bislang größter Steinmeteorit, der ca. 30 cm Durchmesser aufweist und im Oldenburger Naturkundemuseum aufbewahrt wird.

Begriffserklärung: Der Himmelskörper Meteor ist von der Erde aus gesehen eine Leuchterscheinung in der Atmosphäre. Ist er heller als die Venus, wie der hier beschriebene, wird er als Bolide bezeichnet, bei geringerer Leuchtkraft und Masse einfach Sternschnuppe. Wenn Teile von ihm auf die Erde gelangen, werden sie Meteoriten genannt.

Über diese aus irdischer Sicht nur kurzlebigen Himmelskörper weiß der Volksmund noch mehr als die zuständigen Wissenschaften: „Wenn man eine Sternschnuppe sieht, darf man sich etwas wünschen – das aber nur in Erfüllung geht, wenn man es nicht verrät.“ Das sollte in ganz besonderem Maße für außergewöhnlich große Meteore gelten, weshalb der Verfasser seinen fachlichen Blick in den Himmel mit Stillschweigen beschließt.
 

(Zeitungsartikel zum Thema: Nordwest-Zeitung Oldenburg, 14.10.2009, Nr. 240, ein kleiner Artikel in der Rubrik „Region Oldenburger Land“; 25.10.2009, Nr. 241, zwei Beiträge a.a.O. und auf der Titelseite mit Fotos vom fliegenden und vom gerade zerplatzten Meteor).

Martin Teller, 28.10.2009

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