Das Oldenburger Wunderhorn

I. Weltkrieg

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Quellenbearbeitung Ostendorf-Zeittafel



Erinnerungen eines Teilnehmers am I. Weltkrieg aus dem Oldenburger Land
 

Abschrift handschriftlicher Aufzeichnungen der

Kriegserlebnisse aus dem 1. Weltkrieg
von Gustav Ostendorf
aus Brake im Oldenburger Land
 

durch den Sohn Helmut Ostendorf,
bearbeitet (auf Originalwortlaut korrekturgelesen, tabellarisch erschlossen, inhaltlich erläutert, ergänzt mit
Bearbeitungs- und Biographiehinweisen sowie mit zeitgenössischen Kriegskarten) von Martin Teller,
illustriert mit von Martin Teller bearbeitetem
Bildmaterial originaler Unterlagen im Besitz von Helmut Ostendorf und Annemarie Harich-Golzwarden.

Vier Kriegskarten: Westfront   Ostfront   Polen – Masuren   Rumänien
 

 

Datierung

Wiedergabe der [erläuterten oder korrigierten] Originalaufzeichnungen

Gliederung

 

 Abb. 1. Die Mappe mit den handschriftlichen Kriegserinnerungen von Gustav Ostendorf. Hier der Anfang seiner Aufzeichnungen.

 

 

[Alle Aufzeichnungen zusammen in einem dunkelblauen Pappumschlag: ein einfacher offener Doppelbogen, beschriftet in schwarzer Tinte mit:]

 Verschiedenes
für
Heinrich Ostendorf
[sein ca. 5 Jahre jüngerer Bruder]
Brake i.O. [in Oldenburg]

 

Kriegs-Vorgeschichte

 

[Manuskriptseite] – 1 –

 Meine Erlebnisse im Weltkriege 1914-1918.

  

     Zu allen Zeiten und in allen Erdteilen gab es Kriege und wird es in Zukunft geben. Jedoch einen Krieg, wie der [den] Weltkrieg 1914-1918, sah die Welt noch nicht. Was unser deutsches Vaterland dabei gegen eine Welt von Feinden leistete, hat selbst bei unseren Gegnern Bewunderung erweckt. Ich habe mir nun vorgenommen und will versuchen, in großen Zügen meine Erlebnisse während der Kriegszeit nieder zu schreiben.

 

 


 

Abb. 2. Gustav Ostendorf in Husarenuniform (wohl 1912-14, um 20 Jahre alt).

 

2.10.1912

Ich trat am 2. Okt. 1912 beim Husaren-Regiment Königin-Wilhelmina der Niederlande (hannoversches) No 15 in Wandsbeck als dreijährig-Freiwilliger ein. [Wandsbek, preußischer Stadtkreis, seit 1937 östlicher Stadtteil von Hamburg.] Meine Garnisondienstzeit verlief[,] den gegebenen Verhältnissen entsprechend, gut. [Sie dauerte 22 Monate bis zum Kriegsausbruch.]

seine Kavallerie-Einheit

 

 

 


Briefmarke: Germania 5 Pfennig, gestempelt in Wandsbek (Hamburg), 12.8.19[13?]

An
Herrn Weichenwärter
Johann Ostendorf
[Gustavs Vater]
Rosenburg b. Brake
Großhzt. Oldenburg

Liebe Eltern und Bruder

Heute ergreife ich mal wieder die Feder, habe gerade Zeit dazu, bin wieder auf Kasernenwache. War diese letzte Woche auf Remontekommando, erst nach Harburg, wo Remontemarkt war, von da ging es über Stendal, Ratenow nach dem Remontedepot Hunsrück ist nahe bei Berlin. Die Reise dauerte 7 Tage machte Spaß und habe die schöne Gegend mal gesehen. Sonst ist noch alles beim Alten.

Mit bestem Gruß Euer Gustav.

[Remontierung: Ergänzung des militärischen Pferdebestandes durch Jungpferde.] 

Abb. 3a und b. Fotopostkarte Ostendorfs aus Wandsbek an die Eltern.
Auf der Bildvorderseite rechts einige seiner Schwadrons-Kameraden?
 

 

1.8.1914

 

Vom 1.-2. August 1914 hatte ich Kasernenwache. Diese Wache war im Verhältnis früher gestandener Wachen auffallend unruhig. Ein Wunder war es natürlich nicht, denn seit dem Königsmorde in Serajewo [28.6.1914], war die europäische Lage sehr gespannt, das[s] die Möglichkeit eines Krieges gegeben war.
[6.7. Berlin sicherte Wien die volle Unterstützung zu (Blankoscheck).
23.7. Österreichisches Ultimatum an Serbien.
25.7. Serbien machte Vorbehalte und ordnete Teilmobilmachung an.
26.7. Deutschland drohte mit Mobilmachung, falls russische Reserven eingezogen werden.
28.7. Österreich-Ungarn erklärte Serbien den Krieg. Teilmobilmachung Russlands.
30.7. Russische und österreich-ungarische Gesamtmobilmachung.]

 

 

Tatsächlich erfolgte bereits am Nachmittage des 1. August die allgemeine Mobilmachung gegen Frankreich und Rußland.
[16:55 Uhr (MEZ) französische Mobilmachung,
17:00 Uhr deutsche Mobilmachung,
19:00 Uhr deutsche Kriegserklärung an Russland,
Mobilmachung der britischen Flotte.]
Also ein sogenannter Zweifrontenkrieg. Sofort nach Bekanntmachung des Mobilmachung-Befehls wurde unsere Wache mit scharfer Munition versehen, um etwaigen Widerwärtigkeiten begegnen zu können. Das Drängen des Publikums ging denn auch bald los, teils wollten sie [die Leute] Angehörige besuchen, teils war es Neugierde.
 

– 2 –

Wir hatten aber Befehl[,] niemand in die Kaserne hineinzulassen.

Kriegsbeginn/
Mobilmachung

 


Abb. 4. Die Kavalleriekaserne in Wandsbek (wohl vor Kriegsausbruch).

 

2.8.

Am Mittag des 2. August wurden wir von der 1. Schwadron, die als Ersatzkadron zurück blieb, abgelöst. Nachdem ich zum letzten Male mein Essen verzehrt hatte, das heißt in der Kaserne, ging ich zur Kammer rauf, um meine Kriegsausrüstung in Empfang zu nehmen. Meine Kameraden waren fast alle schon fertig.

 

17 Uhr

Da um 5 Uhr nachmittags die Schwadron feldmarschmäßig antreten sollte, so mußte ich mich beeilen, um fertig zu werden. Es klappte auch tadellos.

 

18 Uhr

Um 6 Uhr war Feldgottesdienst auf dem Reitplatz angesetzt, dort angekommen, fanden wir denselben bereits voll von der Einwohnerschaft besetzt. Manche Träne der Frauen rollte in den Sand, ja es war die Lage auch ernst genug. Hierauf übergab ich meine Privatsachen einem in der Nähe der Kaserne wohnenden Schuhmacher, der sie mir bereitwilligst in die Heimat sandte.
Dann wurde unser Stammlokal aufgesucht um noch einmal kräftig für das leibliche Wohl zu sorgen. Man konnte ja nicht wissen, wann und wo es in dieser aufgeregten Zeit wieder etwas zum beißen gab.

 

19 Uhr

Jetzt ertönte das Signal zum Satteln, in knapp einer halben Stunde war auch dies geschehen[,] und um 7 Uhr rückte die [seine 5.] Schwadron als die letzte zum Tor hinaus. Die Musik spielte während des Marsches zum Bahnhof „Muß ich denn zum Städtelein hinaus“, und „In der Heimat da gibs ein Wiedersehn“ [sic].

Auszug aus der Kaserne

20 Uhr

Eine nicht endenwollende, jubelnde Einwohnerschaft begleitete uns zum Bahnhof und beschenkte uns reich an Rauchwaren, Süßigkeiten und Blumen, bis der Zug um 10 Uhr abends mit Musik den Bahnhof verließ. Zwar gab es auch viele tränende Augen derjenigen Angehörigen, die ein Glied der Familie hinaus ziehen sahen, und nicht wissen, ob sie [die soldatischen Verwandten] dereinst
 

– 3 –

wiederkehren.

 

Datierung

Wiedergabe der [erläuterten oder korrigierten] Originalaufzeichnungen

Gliederung

 



Abb. 5. Die Westfront mit ungefährem Bewegungsprofil von Gustav Ostendorf, eingetragen in einen zeitgenössischen Geschichtsatlas (zum Vergrößern anklicken).

I. Westfront
1. Feldzug

3.8.
21 Uhr

[Deutsche Kriegserklärung an Frankreich.]

Die Fahrt ging über Hamburg, Bremen, Osnabrück nach Aachen [an der deutschen Westgrenze], hier am nachmittag des 3. August angekommen, sahen wir den ersten feindlichen Flieger, der von unserer Artillerie aus Aachen schwer beschossen wurde. Um 9 Uhr abends wurden wir ausgeladen, ritten dann hart an die belgisch, holländische Grenze, um hier in ein paar großen Bauernhäuser[n] einquartiert zu werden.

a) Deutschland,
    Rheinland
per Zug zur Westfront/Aachen

 

An Schlaf war aber keineswegs zu denken, da es in der Gegend voller Spione wimmelte, so mußte alles auf Posten stehn. Lange sollte es aber auch nicht dauern, da pfiffen schon die ersten blauen Bohnen durch die nächtliche Stille. Es sauste plötzlich ein grell beleuchtetes Auto auf der Landstraße dahin, in Richtung belgischer Grenze. Da dieses auf Anruf [und Zeichen?] nicht hielt, wurde geschossen, aber leider entkam es. Durch diese Schießerei war aber die ganze Postenkette in Aufruhr geraten, jeder, der in der Dunkelheit nach vorne ein Geräusch vernahm, schoß darauf los.

nervöse Nachtruhe

 

Die Folge war, daß man bei Tageseinbruch eine ganze Herde Rinder und Schafe angeschossen vorfand. Ein Wunder war es nur, daß von uns niemand angeschossen wurde, was später öfter vorkam.

 

4.8.

7 Uhr

Am Morgen des 4. August um 7 Uhr wurde dann unser Regiment abseits der großen Straße Aachen – Lüttich aufgestellt. Bald darauf gesellte sich das Husaren[-]Regiment 16 zu uns, das mit uns die 17. Kav.[-]Brigade bildete. Immer mehr Truppen kamen von allen Seiten heran geritten. Es waren die beiden Dragoner[-]Regimenter 17 und 18, das Ulanen[-]Regiment 9, das Kürassier[-]Regiment 2, die reitende Artillerie[-]Abteilung 3, die Garde-Maschinengewehrabteilung 2, die Pionierabteilung 2, das
 

– 4 –

Jägerbataillon 7 mit Radfahrer[-]Kompagnie und eine schwere und leichte Funkerstation. Diese erwähnten Truppenteile bildeten zusammen die 4. Kavallerie[-]Division, sie stand unter dem Befehl des Generalleutnants von Garnier.

Truppenkonzentration bei Aachen

10 Uhr

Gegen 10 Uhr vormittags stand die Division marschbereit, nachdem der Kommandeur eine kurze Ansprache gehalten hatte, setzten sich die Truppen in Marsch. Etwa eine Stunde wurde auf der großen Straße marschiert, dann ging es hart an der holländischen Grenze entlang durch schmale Waldwege über einen ziemlich hohen Bergrücken hinweg. An der gesamten Grenze entlang waren starke holländische Grenzposten aufgezogen, trotzdem konnte man in bald darauffolgenden Kämpfen [noch zwischen den Postenketten hindurch? (etwa auf neutraler holländischer Seite?)] hin- und herlaufen.

Vormarsch an der niederländischen Grenze

 

Nachdem wir das auf der Höhe gelegene Dorf passiert hatten, kamen wir wieder auf der großen Straße Aachen – Lüttich an. Diese führte hier in Schlangenform in ein Tal hinunter, dort merkten wir plötzlich, daß wir bereits in Belgien waren. Wir kamen dann durch mehrere Dörfer, die alle einen sonderbaren Eindruck machten, kein menschliches noch tierisches Wesen ließ sich blicken, alle Türen und Fensterläden waren verschlossen. Da wir uns zu dieser Zeit mit Belgien noch nicht im Kriegszustande befanden, so war es zweifelhaft, ob die Bewohner sich aus Angst oder Rache [geplantem Hinterhalt] versteckt hielten. Gar zu bald sollte uns aber klar werden, daß alles aus letzterem Grunde geschah, denn vor dem nächsten Dorf waren in einer Länge von 300 m, sämtliche Schausseebäume abgesägt und quer über die Straße gefällt. Für uns sollte daß aber kein großes Hindernis sein, es wurde seitwärts über die Felder geritten.

b) Belgien
Einmarsch in Belgien

15 Uhr

Am nachmittag gegen 3 Uhr erreichten wir das Dorf Visee an der Maas, dort bot sich uns ein weit größeres Hindernis, die große Maasbrücke war gesprengt.
 

– 5 –

Also nun doch der Krieg mit Belgien.
[Britische Kriegserklärung an Deutschland aufgrund des deutschen Einmarsches in Belgien.]

 

 

Nachdem unsere sämtlichen Brückenwagen herangeholt waren, begannen die Pioniere mit unserer Hilfe beim Brückenbau.

Brückenbau an der Maas

 

Aber lange sollte das nicht gut gehen, denn der Feind beschoß uns mit schweren Festungsgeschützen aus Lüttich. Schon wurden die ersten Toten und Verwundeten zurückgebracht, die vom holländischen Roten Kreuz nach Holland transpiertiert [transportiert] wurden. Inzwischen waren auf dem feindlichen Ufer auf einer Anhöhe auch Truppen in Stellung gegangen, die ebenfalls sofort ein schweres Feuer unterhielten. Mittlerweile begann aber auch unsere Artillerie heftig zu schießen, und bald gingen [drüben] Häuser und viele Strohhaufen in Flammen auf. Die folgende Nacht war taghell erleuchtet.

belgischer Beschuss, erste Tote und Verletzte

21 Uhr

Etwa gegen 9 Uhr abends erhielten wir plötzlich von hinten ein mörderisches Gewehrfeuer, ganz erstaunt, was daß noch sein mochte, kam der Befehl, in Schützenlinie dahin Front zu machen. Bald konnten wir feststellen, daß es die Zivilbevölkerung war, durch deren Dörfer wir am Tage hindurch gekommen waren. Alle waren sie mit belgischen Militärgewehren ausgerüstet, es gab aber auch [unsererseits] kein Pardon, denn jeder mit der Waffe in der Hand Betroffene wurde erschossen. Leider mußte auch mancher Kamerad dabei sein Leben einbüßen.

belgische Bevölkerung greift von hinten an

5.-7.8.

Da wegen dem Festungsfeuer die zu bauende Brücke nicht fertig wurde, denn zweimal wurde sie [getroffen und] wieder vernichtet, deshalb blieben wir am 5., 6. u. 7. August dort liegen. Da uns die Bevölkerung in den folgenden Nächten immer noch nicht zur Ruhe kommen ließ, so wurden die ganzen Dörfer niedergebrannt.
[6.8. Österreich-ungarische Kriegserklärung an Russland.]
Am Nachmittag des 7. August setzte strömender Gewitterregen ein, der bis in die Frühe des 8. August anhielt.

Brückenbau verzögert

8.8.

Da in dieser Nacht das Schicksal der starken Festung
 

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Lüttich besiegelt war, so setzten wir frühmorgens völlig durchnäßt über die Maas. Schnell hatten uns diese wenigen Tage fühlen lassen, was Krieg bedeutet, die Stimmung war zwar nicht ängstlicher, aber desto ernster und fester geworden, fehlte doch auch schon mancher braver Kamerad aus unserer Mitte. Drüben wurde eine zweistündige Biwakpause dazu benutzt, unsere durchnäßte Uniform zu trocknen, die Sonne brannte schon wieder wie vordem[,] und so blieb es den ganzen Monat August hindurch.

Festung Lüttich fällt, Maasdurchquerung

10 Uhr

Nachdem Pferd und Reiter nun gestärkt waren, wurde um 10 Uhr aufgesessen und in flottem Tempo ging es vorwärts in allgemeiner Richtung auf Paris. Hierbei wurden die Festungen Namur [belg.], Maubeuge [frz. Grenzfestung], Reims usw. abseits liegen gelassen, diese zu bezwingen, war Aufgabe der nachrückenden Infanterie [gemäß dem Schlieffen-Plan, der Grundlage des Einmarsches in Frankreich].

Vormarsch Richtung Frankreich

24.8.

Am Abend des 24. August gelangten wir an die belgisch, französische Grenze, nachdem wir bis hier den feindlichen Widerstand leicht brechen konnten, hatte sich der Feind nun stark verschanzt. Bereits um Mitternacht mußte er eiligst seine Stellung räumen, 8 Geschütze und viel Munition war die Beute. Trotz Müdigkeit ging es mit Anspannung aller Kräfte weiter, dem Feind immer auf dem Fuße folgend, machten wir täglich Gefangene. Alles mögliche ließ der Gegner auf der Flucht zurück, an Fahrzeugen, Verwundeten usw. Auch sahen wir hier die ersten schwarzen Truppen [farbige Soldaten], die uns später sehr zu schaffen machten.

c) Frankreich
Einmarsch in Frankreich

 

Unser Eilmarsch setzt sich Tag und Nacht bei größter Hitze fort, die Stadt St. Quentin [70 km südwestlich von Maubeuge] mit seiner [ihrer] wundervollen Kathedrale blieb rechts liegen, sie war von der 2. Kav.[-]Division schon besetzt worden.

eiliger Vormarsch

 

Allnächtlich wurde zwei Stunden Biwak bezogen, diese Zeit wurde benutzt, um in erster Reihe
 

– 7 –

die Pferde zu versorgen, tränken, füttern, um[zu]satteln usw. Letzteres war wegen der unheimlichen Hitze und dickem Staub sehr notwendig, um die Sattellagen [Pferderücken] nicht wund zu scheuern. Das Füttern ging insofern schnell, als auf den Feldern eine Menge Hafer stand, teils schon gemäht. Das Tränken so viel schlechter, da die Brunnen meist schnell leer waren. Dann kam man selber [dran mit der Versorgung. Reiterspruch: „Erst das Pferd, dann der Reiter!“]. Lagen wir in der Nähe eines Dorfes, so hatten wir es für gewöhnlich leicht, etwas Weißbrot, Marmelade, [eine] Flasche Rotwein oder gar Geflügel zu ergattern, andernfalls lebten wir von den Zuckerrüben auf den Feldern. An unsere Bagage [= Tross] war überhaupt nicht zu denken, die bekamen wir erst [wieder] nach Wochen zu sehen. Da das Wasser knapp war, konnten wir uns selten waschen, infolgedessen war vor lauter Staub und Schweiß alles ein Dreck.

schwierige Versorgung

28.8.,
18 Uhr

Am 28. August nachmittags 6 Uhr erreichten wir die großen Wälder von Epernay [an der Marne, 25 km südlich von Reims, 115 km östlich von Paris], dort lag auf hohem Berge eine alte Schloßruine, wo ehemals Napoleon I. seinen Sommersitz hatte. Auf einer anliegenden Wiese, die gerade unsere Division aufnehmen konnte, wurde Rast von vier Stunden gemacht. Jeder badete sich in dem See, um endlich einmal gründliche Reinigungen zu halten. Leider war nichts [keine frische Verpflegung] zum beißen da, sodaß nur derjenige einen Bissen nehmen konnte, der noch etwas besaß. Auch ich mußte mit knurrendem Magen warten, bis sich mal etwas erwischen ließ. Angesichts der schweren Tage, die nun kommen sollten, war mir doch etwas schlecht zu Mute. [Deutscher Soldatenspruch: „Ohne Mampf kein Kampf!“]

 

28.8.,22 Uhr
– 1.9., 4 Uhr

Etwa um 10 Uhr abends ging der Marsch wieder los[,] und zwar ununterbrochen, das heißt, es wurde nur so viel Halt gemacht, wie
 

– 8 –

zum tränken [der Pferde] nötig war, bis zum 1. September morgens 4 Uhr. Das waren also drei Tage und Nächte [immer nur voran], glücklicherweise bekam ich inzwischen noch ein halbes Weißbrot von meinem Vizewachtmeister [etwa Feldwebel-Rang] Hass.

 

1.9.

Durch diesen ermüdenden Ritt waren wir dem Feinde ganz nahe gekommen, derselbe hatte in dem 2 klm. vor uns liegenden Dorfe Quartier bezogen. Offenbar waren auch die [feindlichen Soldaten] stark abgespannt, denn es blieb vorerst alles ruhig in Nery, so hieß das Dorf. Wir griffen sofort an, indem unsere drei Kavallerie[-]Brigaden halbkreisförmig attackierten, während wir so von allen Seiten in das Dorf kommen, werden wir aber aus den Häusern mit schwerem Maschinengewehrfeuer empfangen, daß uns arge Verluste kostete. Da so nichts gegen die englische Infanterie auszurichten war, mußten wir uns zurück ziehen und gingen nun in Schützenlinie [wieder zum Angriff] vor.

Kämpfe bei Dorf Nery

 

Unsere Artillerie hatte den Kampf mit der englischen Artillerie aufgenommen, die in Stärke von drei Batterien eng aufgebaut vor der Kalksandsteinfabrik links vom Dorfe stand. Wir lagen teilweise im Haferfelde in Höhe unserer Artillerie, diese hatte bereits sieben Geschütze vom Feinde erledigt, das achte kam [von Pferden gefahren] im Galopp aus dem Dorfe heraus, kaum war es bei der Fabrik angelangt, so wurde auch dieses durch zwei Schüsse [Granatentreffer] zusammen geschossen.

Artilleriekampf

 

Somit hatten wir durch feindliche Granaten nicht allzu viel Kummer mehr, aber auch unsere Geschütze waren bis auf vier zusammengeschrumpft [hatten nur noch vier klare Geschütze], teilweise durch Rohrplatzen.
Plötzlich hörten wir links von uns die Engländer rufen, schnell wurde [mit dem Beschuss] dorthin gehalten, aber sie hatten schon 10–15 Mann vom linken Flügel geschnappt [gefangengenommen].

eigene Verluste

2.9.

Am folgenden Tag dem 2. Sept. setzten wir uns vom Feinde
 

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ab, da er eine erhebliche Übermacht besaß. Den ganzen Tag über versuchten wir zu entkommen, aber ringsherum fanden wir keinen Ausweg. Der [feindliche] Ring zog sich immer enger zusammen, bis wir dann in der Dunkelheit lautlos mit Mann, Roß, Wagen und Geschütz, hoch oben in einem Wald und dichtem Unterholz bestandenen Berge verschwanden. So gut es nur eben möglich war, nahm alles volle Deckung. Geschütze, M.G.[,] Fahnen und Standarten wurden vergraben.

drohende Einkesselung

[bis 4.9.]

In dieser ernsten Situation verbrachten wir volle 2 Tage und Nächte, bis es durch [Aussendung einer] Fernpatrouille gelang, mit rückwärtigen Truppen die Verbindung herzustellen. Mit einem Schlage waren wir wieder gefechtsfähig, aber vorerst aber bedurften wir einer Erholung, denn seit 3 Tagen gab es nichts mehr für den knurrenden Magen.

von eigenen Truppen entsetzt

[bis 6.9.]

Um so erfreulicher war es, daß wir zwei Tage Ruhe erhielten, die auch voll und ganz ausgenutzt wurden, um Roß und Reiter waren wieder frisch zu stärken für kommende Tage.

 

 



 
Abb. 6. Gustav Ostendorf zu Felde (Ort und Datum unbekannt), hier mit einfacher Mütze, umgehängtem Gewehr und als Dolch getragenem Bajonett (Seitengewehr).

 

9.9.

Bis zum 9. Sept. wurde der Vormarsch fortgesetzt, nun aber stießen wir auf starke feindliche Truppenmassen, die uns zum schnellem Rückzug zwangen. Dies war der erste schwere Schlag den wir erhielten, es bildete sich hieraus die Marneschlacht von 1914. Hiermit war uns der weitere Weg nach Paris abgeschnitten, es war uns nur vergönnt, den Eiffelturm aus der Ferne zu beobachten. [Weitestes Vordringen dieser Armee bis zum Fluss Grand Morin südlich von Montmirail ca. 60 km östlich von Paris, vgl. Karte vom westlichen Kriegsschauplatz.]

Marneschlacht

[nach  12.9.]

Nach der Marneschlacht [5.-12.9.1914] brach der Feind mit starken Truppen vorwärts, so hatten wir schwere Tage in den darauf folgenden Kämpfen an der Aisne, dann in der Schlacht bei Nojon und hierauf an der Somme zu bestehen.

Folgekämpfe (deutscher Teilrückzug)

 

Da auf beiden Seiten mit äußerster Zähig-
 

– 10 –

keit gefochten wurde, kamen die Kämpfe [die Fronten] zum Stillstand. Es bildete sich nach und nach eine einheitliche Front von den Vogesen bis zur Nordsee. [Örtlichkeiten auf der Frontlinie des Stellungskrieges an der Westfront: von den Vogesen im Elsaß und knapp nördlich von Verdun und Reims im S, fast bis Compiègne im SW (75 km von Paris), und Noyon / Somme / Arras / Lille / Ypern / Nieuport im W (dortige Front wich bis 1917 noch bis zu 30 km nach O).]
Über weitere Einzelheiten in dieser Kampfperiode will ich näher zu schreiben lieber unterlassen [!],






stillstehende Front (beginnender Grabenkampf)

25.-.26.9.

aber eines muß ich hier festhalten[,] und zwar den 28. Sept. 1914. An diesem Tage verlor ich nämlich meinen treuen Schul- und Schwadronskollegen Berthold Kimme [aus Brake, Ostendorfs Heimatstadt an der Weser im Großherzogtum Oldenburg]. Wir hatten am 25. und 26. in der Kürassier[-]Kaserne zu Cambrai [50 km südwestlich von Maubeuge] in Alarmbereitschaft gelegen, da mein Freund den Schlachterberuf [und Zugriff auf die Fleischvorräte] hatte, so war es uns noch vergönnt, gemeinsam ein gutes Beefsteak zu verzehren.

Episode um den Tod des Kameraden:

27.9.

Am folgenden Morgen, dem 27. rückten wir frühzeitig ab, um dann auch bald in Verfolgungsgeplänkel mit dem Feinde zu gelangen. Während der Nacht vom 27. zum 28. bekam unsere Schwadron den Befehl, als rechte Seitendeckung unserer Division zu fungieren.

 

28.9.,
4 Uhr

Im Verlauf dieses Auftrags kamen wir am Morgen um 4 Uhr beim Dorfe Ervillers an, an der großen Straße Cambrai – Arras gelegen. Da der Feind hier starke Gegenwehr leistete, so nahmen wir hinter einem kleinen Gehölz rechts vom Dorf, Deckung. Inzwischen war unsererseits die Division von der Lage verständigt worden,

 

ca. 6 Uhr

die [Division] dann nach etwa 2 Stunden an Ort und Stelle eintraf. In einer kleinen Mulde vor dem Dorf nahm sie Bereitschaftsstellung ein, die Funkstation wurde aufgebaut und die Artillerie ging 600 m davor in Stellung.

 

 

Etwa 100 m hinter dieser befand sich ein tiefer Hohlweg, in diesen hinein wurde unsere Schwadron befohlen, zur Deckung der Artillerie. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und sandte ihre sengenden Strahlen hinab, die ihre Wirkung auf die ohnehin schon trockenen Kehlen nicht verfehlten. Gegen Mittag wurde die prickelnde Hitze in diesem, von jeden Luftzug freien Hohlweg schier unerträglich,
 

– 11 –

dazu hatten sich hüben und drüben das Artillerie[-]Feuer immer mehr verstärkt. Um am Nachmittag solchen Umfang anzunehmen, als befinde man sich in einer Hexenkessel.

Schwadron deckt Artillerie

 

Noch waren waren die feindlichen Granateneinschläge nicht allzu wirkungsvoll gewesen, mit einem Schlage aber änderte sich das. Ich sehe noch, wie eine gerade weg reitende Patrouille in nächster Nähe zwei Volltreffer erhielt, wobei alles den Tod fand. Gleich darauf mußte sich die Division zurück ziehen und die Reihe war an uns, denn die nächsten Volltreffer lagen eben hinter uns, sodaß wir den Dreck in die Augen erhielten. Was nun kommen mußte, sah ein jeder voraus, aber wir mußten aushalten, wenn die Artillerie nicht verloren sein sollte. Schon saß eine Salve zwischen uns, die uns mit drei Mann veranlaßte, etwas weiter nach rechts unter eine mächtigen Felsblock zu kriechen, der oben an der Kante lag. Bei diesem Kriechen aber ereilte uns das traurige Schicksal, es sauste eine Granate hart oben an der Böschung in die Erde, um dann mit lautem Knall zu krepieren. Mir fehlte die Besinnung, vielleicht während eines Zeitraumes von 5-10 Minuten,

Granatentreffer

 

wie ich wieder zu mir kam, lag ich unten auf dem Wege, neben mir mein treuer Freund und ein anderer Kamerad. Beide waren zu meinem größten Schrecken tot, desgleichen ihre Pferde. Da ich stark mit Blut befleckt war, glaubte ich an eine Verwundung, aber ich konnte bald feststellen, daß ich unversehrt geblieben war. Mein Pferd fand ich später bei meiner Truppe wieder, denn die Schwadron war doch inzwischen ausgerückt, manchen Kameraden und Pferde tot zurück lassend. Auch die Artillerie hatte inzwischen schwere Verluste erhalten, sodaß sie ebenfalls schleunigst die Stellung räumen mußte. Sie jagte bald darauf mit allen Geschützen durch den Hohlweg, ohne Rücksicht der
 

– 12 –

Kameraden, die hier gefallen waren. Nach diesen Erlebnissen des Tages war ich dermaßen abgespannt, daß ich mich nun [jetzt] erst zurück begeben konnte. Ich lief dann so schnell es nur ging, dem Dorfe zu, dort hatte[n] am Dorfrande unsere Maschinengewehr[-]Abteilung und andere Schützen eine Verteidigungsstellung hergerichtet.

2 Gefallene

 

Auf dem Weiterweg durch das Dorf sehe ich etwas schwarzes aus dem Kirchturmfenster fliegen, unten auf dem Pflaster schlägt es hart auf, es ist der Dorfgeistliche der dort in den letzten Zügen liegt.

geistlicher Spion

 

Ein Beobachterposten unserer Artillerie hatte ihn dort oben am Telefon gefunden, nun erst klärte sich die Sache auf, wie es möglich war, das der Feind ein so zielgenaues Feuer unterhalten konnte. Er [der Geistliche] mußte seine Freveltat nun mit dem Tode bezahlen.

 

 

Beim Regiment finde ich mein treues Pferd unverletzt wieder, es war der Schwadron beim Rückzug gefolgt. Ich selbst meldete mich beim Wachtmeister [etwa Hauptfeldwebel-Rang] zurück, ebenfalls den Tod meiner beiden Kameraden. Ich ging daraufhin mit dem Feldarzt und mehreren Kameraden wieder zur Unfallstelle, das Bild hier war schauderhaft, ein wüstes Durcheinander von zerschossenen Pferden und Reitern. Nachdem der Arzt den Tod bei letzteren festgestellt hatte, gingen wir daran, die treuen Toten in Frankreichs Erde zu betten. Leider konnten wir nur die beiden Kameraden, die an meiner Seite ihr Leben einbüßten, dem blutgetränkten Boden übergeben [und nicht auch die Pferde?], denn der Feind schickte zum Angriff an. Da es mittlerweile dunkel wurde und wir [unsere Einheit] viel zu schwach waren, so war an ein Standhalten nicht zu denken.

Gefallene beerdigt

[30.9.]

Wir schlugen die Marschroute nun weiter in nördlicher Richtung ein, und gelangten nach zwei Tagemärschen in die Gegend zwischen Arras – Donai [20 km nordöstlich]. Dieser Ritt
 

– 13 –

mutete mich sehr einsam und verlassen an, denn ich vernahm nicht mehr die Stimme meines lieben Freundes, mit der ich so lange verbunden gewesen war.

Ritt nach Arras
(Ende der Episode)

[bis ca. Mitte Oktober]

Harte und schwere Tage[,] die wieder folgten, ließen auch hier bald andere Gedanken aufkommen. Es entwickelte sich nämlich die vierzehn tägige Schlacht bei Arras, in dessen [deren] Verlauf der Feind geschlagen wurde. In erster Linie hatten wir es hier mit farbigen [Feind]Truppen zu tun, die mit Vorliebe aus Bäumen [heraus] schossen.

Schlacht bei Arras

[vier Tage im Oktober]
9 Uhr

Hiervon ein Fall, an einem heißen Tage in aller Frühe begann wieder der Vormarsch, mein Regiment übernahm Vorhut und Spitze. Etwa um neun Uhr morgens erreichten wir vor uns liegende große Wälder, ahnungslos war die Spitze bereits hinein geritten, plötzlich prasselte von allen Seiten ein Hagel von M.G. und Gewehrfeuer auf uns nieder. Zuerst konnten wir garnicht feststellen, woher die Schüsse kamen, bis wir dann schließlich oben in den Bäumen hunderte dieser schwarzen Gesellen erblickten. In aller Eile hatten wir uns inzwischen hinter einer Häuserreihe vor dem Walde zurück gezogen, abgesessen, um nun im Fußgefecht wieder vorzugehen. Bald schloß sich unserem Vorgehen noch ein Landwehr[-]Inf.[anterie-]Regiment an. Während wir nun im Walde ankommen, beginnt dort oben ein gellendes Geschrei, daß unsererseits mit wohlgezielten Salven beantwortet wird. Einer nach dem anderen purzelt von den Bäumen, aber vier Tage lang dauerte es, bis die Wälder gesäubert [feindfrei] waren. Leider hatten auch wir erhebliche Verluste, einen Kameraden, der neben mir einen Kopfschuß erlitten hatte, brachte ich mit zum Verbandsplatz, wo er zwar bald darauf tot zusammenbrach.

Gefecht mit farbigen Feindtruppen

 

Vom hier gingen wir wieder in den Wald zurück [wo immer noch gekämpft wurde], plötzlich schrie
 

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kurz vor uns jemand auf, einen schnellem Sprung durch das Gebüsch vor und sahen gerade noch, wie ein Schwarzer dabei war, einem schwerverwundeten [deutschen] Hauptmann den Garaus zu machen. Ein wohlgezielter Schuß eines Kameraden streckte den Neger jedoch rechtzeitig nieder. Niemand war glücklicher als der alte Hauptmann, trotz seines schweren Oberschenkelschusses, wir brachten auch ihn zurück.

deutscher Offizier gerettet

[ca. Ende Oktober]

Nach diesen [ironisch sogenannten] schwarzen Tagen folgte die vierzehn tägige Schlacht bei Lille, es ist dies eine kleine Festung, die wir nach der Eroberung durchritten, um dann in südlicher Richtung wieder abzubiegen.

Schlacht bei Lille

bis 4.11.

Zum erstenmale kam wir nun am Yserkanal zwischen Ponta Rous und Deulemont [13 km nordwestlich von Lille, an der belgischen Grenze, halbe Strecke nach belg. Ypern] in einen regelrechten Schützengraben bis zum vierten November.

Schützengraben-Krieg bei Lille

5.-12.11.

Am folgenden, dem Tage meines [21.] Geburtstages [damals gesetzlich volljährig], rückten wir dort ab und bezogen nach mehreren Marschtagen zwei Tage Quartier in Waterloo [15 km südlich von Brüssel] und hierauf bis zum zwölften in Mön [Mons 25 km südwestlich von Brüssel?] in Belgien.

Abzug über Belgien Richtung Waterloo und Mön

Datierung

Wiedergabe der [erläuterten oder korrigierten] Originalaufzeichnungen

Gliederung

 



Abb. 7. Die Ostfront mit ungefährem Bewegungsprofil von Gustav Ostendorf, eingetragen in einen zeitgenössischen Geschichtsatlas (zum Vergrößern anklicken).

II. Ostfront
2. Feldzug

12.-16.11.

Mit diesem Tage hörte die Tätigkeit [unser Kriegseinsatz] im Westen auf, um am folgenden [auf die Bahn] verladen zu werden mit dem Ziel nach dem Osten [Ostfront]. Diese Fahrt ging über Lüttich, Herbesthal [Heresthal, von Belgien östlich quer durch Deutschland], Aachen, Magdeburg, Berlin-Lichterfelde, Frankfurt a/d Oder, Posen nach Allenstein inWestpreuhsen [sic, im Ermland].

a) Deutschland,  West-/Ostpreußen
Verlegung an die Ostfront

16.11.

Hier wurden wir am Morgen des 16. Novembers bei winterlichem Wetter ausgeladen. In der Stadt selbst befand sich noch ahnungslose, russische Kavallerie [für Deutschland siegreiche Schlacht bei Tannenberg bereits 26.-30.8.1914], die gegen Mittag teils geflüchtet, teils gefangen genommen war. Auf einem zwei Kilometer außerhalb der Stadt liegenden Gut kamen wir in Quartier, das wir drei Tage lang beibehielten, um die Ankunft der [restlichen] Division abzuwarten. Das Gut war von den Russen bereits arg verwüstet worden, sonst sämtliches lebendes Inventar hatten sie mit gehen lassen. Inzwischen wurden einzelne Patrouillen der Grenze zu geritten, wo aber nur kleinere feindliche Kräfte an-
 

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getroffen wurden.

Vertreibung restlicher russischer Truppen, Lager auf einem Gut in Allenstein

20.11.

Am 20. Nov. wurde die Grenze geschlossen passiert, am nächsten Tage schon hatten wir mit stärkeren feindlichen Truppen zu fechten, woraus sich der dreitägige Kampf zwischen Cichanow u. Lipa [südlich Ostpreußens] entspann, der den Feind warf. Leider ging die Verfolgung nur sehr langsam vorwärts, da wir für den Winterfeldzug fast garnicht ausgerüstet waren. In aller Eile wurden die Pferde mit Stolleneisen versehen, bald bekamen auch wir die nötigen Wollsachen, um vor der grimmigen Kälte geschützter zu sein, um nun in schnelleren Tempo vorzurücken.

b) Russland /Westpolen
Kämpfe hinter der russischen Grenze

 

Dies Vorrücken dauerte vielleicht 14 Tage lang, während dieser Zeit hatten wir stark unter der Kälte zu leiden, weil obendrein auch kein Quartier bezogen werden konnte, mußte [unter freiem Himmel] biwakiert werden. Was daß in diesen bitterkalten Nächten bedeutet, lernten wir hier gründlich kennen, todmüde stellte man sich mit seinem Pferden an einen Baum und schlief ein. Nicht lange, und man war in die Knie gesunken, aber der tiefe Schnee, der die Glieder erstarrte, ließ uns bald wieder munter werden. Nun wieder warm zu werden, kostete viel Mühe, war man dann so weit, so verfiel man in einen desto tieferen Schlaf.

Probleme mit großer Kälte

 

Hinter dieser einsamen Gegend, etwa 6-7 Kilometer nordöstlich der kleinen Judenstadt Mlawa [20 km unterhalb der Südspitze Ostpreußens] setzte sich der Feind im hügeligen Gelände wieder fest. Der Angriff war befohlen, die linke Flanke hatte unser Regiment, hinter einigen verlassenen Panjehäusern wurde Halt gemacht[,] um nach links heraus zu sichern. Beiderseits war rege Artillerietätigkeit, jede Granate ließ die schwarze Erde mit dem weißen Schnee hoch aufspritzen, ein schaurig, schönes Bild, wenn es nicht so bitter ernst wäre. Plötzlich ging der Feind in nächster Nähe aus schneeverdeckten Gräben zum Angriff über.

Kämpfe bei Mlawa

 

Das ganze Gelände wimmelte von Russen, die uns
 

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im ersten Augenblick schwere Verluste beibrachten, ein Sergeant [Stabsunteroffizier-Rang] neben mir bekam einen Mundschuß, trotzdem konnte er noch mehrere Schüsse abgeben, und [um] dann im blutgetränkten Schnee den Tod zu finden. Da wir uns nicht behaupten konnten, mußten wir die Schwerverwundeten meistens zurück lassen. Einige Fahrzeuge konnten noch beladen werden, aber leider konnten sie erst spät abends bei einer Sanitäts-Kompanie abgegeben werden. Die Kälte hatte wieder ihre Opfer gefordert, da das Blut faustdick über den Wunden gefroren war, so daß sie erst wiederum nach Stunden verbunden wurden.

schwere deutsche Verluste

21.11.

Am nächsten Tage wurde mit verstärkten Truppen der Kampf wieder aufgenommen, nach anfänglichem, heftigen Widerstand des Feindes setzte er bald zum Rückzug an, der zu einem vollständigen Zurückfluten ausartete. Am Nachmittage waren wir bereits dreißig Kilometer [Richtung Süd] vorangekommen,

neuer deutscher Vorstoß

 

nun erhielt ich mit meinem Kamerad von der zweiten Schwadron vom Divisionsstab den schriftlichen Befehl, diesen [die Depesche] zum Führer der Divisonsbagage[,] dem Prinzen von Hohenlohe, der sich rückwärts in einem 25 Kilometer entfernten Dorfe befand, zu bringen. Diesen Weg kürzten wir uns durch querfeldein reiten ab, nach etwa einer Stunde kamen wir auf ein großes, freies und hügeliges Gelände an. Hier hinderte uns starkes Schneetreiben an ein schnelles [einem schnellen] Fortkommen, eisige Kälte schnitt uns ins Gesicht, sodaß wir des öfteren gezwungen waren, unsere Pferde einzulenken[,] um einmal tief Luft zu schnappen, und einen kräftigen Zug aus der Rumflasche zu tun. In dieser Weise trabten wir immer nebeneinander her,

Einsatz als Botenreiter

 

plötzliches Jammern ließ uns Halt machen, und wir sahen in nächster Nähe sechs schwerverwundete Russen
 

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zerstreut umher liegen. Sie hatten sich alle ein Loch in den Schnee, und so weit es ihnen möglich gewesen war, auch in der hartgefrorenen Erde gekratzt, um nach Möglichkeit vor der eisigen Kälte geschützt zu sein. Die Finger waren somit total blutig gescheuert, aus den schweren Wunden rieselte noch das Blut, um draußen sofort hart zu frieren, sodaß sie bis zur Unkenntlichkeit entstellt waren. Der eine mit einem schweren Bauchschuß lag auf dem Rücken in sein[em] Loch und hielt sein Kochgeschirr halb mit Wasser gefüllt, aber zu Eis gefroren uns entgegen, und jammerte immer „Germanski Wadi“. Aber sein letzter Wunsch mußte unerfüllt bleiben, denn in dieser öden Gegend, wo kein Haus stand, konnte nichts Trinkbares herbei geschafft werden. Mein Kamerad wollte durch Erschießen ihren Qualen ein Ende setzen, durch Zureden hielt ich ihn davon ab, helfend einzugreifen war leider unmöglich, so mußten wir sie dem traurigen Schicksal überlassen. Derartige Erlebnisse waren keine Seltenheit, zeigt uns aber den Krieg bei Eis und Schnee in seiner ganzen Schwere.

Verwundete russische Soldaten

(13.-.18.12.)

Wir hatten dann mit dem Feinde fortlaufende Verfolgungskämpfe in südöstlicher Richtung, woraus sich am 13.-18. Dez. 1914 die Schlacht bei Lowitz und Saniki [60 km westlich von Warschau] bildete. Hier erlitt der Russe wiederum eine schwere Niederlage und zog sich in allgemeiner Linie von Warschau zurück.

südöstlicher Vorstoß, Schlacht bei Lowitz und Saniki

 

Bei dem nun folgenden Vorrücken kamen wir auch durch ein Dorf mit dem Namen Ilo, eben außerhalb des Dorfes bot sich unseren Augen abermals ein trauriges Bild. Hier hatten versprengte Kosaken etwa 100 leichtverwundete deutsche Infanteristen, die waffenlos in das Lazarett zurück gingen, überfallen und in grausamster Art und Weise ermordet und verstümmelt. Solch ein hinterlistiges Treiben erlebten wir später noch manches mal,
 

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aber nicht jedesmal glückte es, so wie in diesem Falle.

Gräuel der russischen Armee

22.12.1914 – 17.1.1915

Am Abend des 22. Dez. 1914 kamen wir dann in Stellung an der Rawka und Bzura vor Sochaschew [50 km westlich von Warschau], hier lagen wir bis zum 17. Jan. 1915, während dieser Periode konnten wir trotz der zahlreichen Angriffe, den Feind erfolgreich abwehren.

Stellung vor Sochaschew

 

In dieser Stellung sah ich die ersten österreichischen Motorbatterien mit 30,5 cm[-] Mörsern und die deutschen 28 cm[-]Langrohrgeschütze.

neue Waffen der Mittelmächte

19.1.

Nachdem uns Infanterie abgelöst hatte, bezogen wir nach zwei Marschtagen in dem kleinen Judenstädtchen Gostinin Quartier [50 km nordwestlich von Sochaschew]. Hier feierten wir nachträglich unser Weihnachtsfest. Jeder Mann bekam in Hülle und Fülle, damals zum ersten Feste im Kriege konnte Deutschland sich es noch erlauben, solche Mengen an Liebesgaben hinaus zu schicken. Wir hatten noch etwa acht Tage Ruhe und konnten uns somit an all’ dem vielen Eß- und Trinkbaren recht gütlich tun.

nachträgliche üppige Weihnachtsfeier in Gostinin

[27.1.]

Hierauf hatten wir einige Tage Weichselschutz vor Plock [20 km nordöstlich von Gostinin], inzwischen war der Feind nördlich der Weichsel mit starken Kräften wieder in Ostpreußen eingedrungen.

Weichselschutz/Russen wieder in Ostpreußen

 

 

Abb. 8. Der west- und nordpolnische Kriegsschauplatz mit ungefährem Bewegungsprofil von Gustav Ostendorf, eingetragen in einen zeitgenössischen Geschichtsatlas (zum Vergrößern anklicken).

 

Datierung

Wiedergabe der [erläuterten oder korrigierten] Originalaufzeichnungen

Gliederung

[28.1.] 

Infolgedessen setzten wir uns in Marsch nach Thorn [in Deutschland-Westpreußen], wurden für mittags [auf die Bahn] verladen 

3. Feldzug
a) Dtld./Ostpreußen

[29.1.]
4 Uhr

und am folgenden Morgen vier Uhr in Willenberg [sicher nicht die über 100 km entfernte Stadt an der Omulef, sondern ein gleichnamiger Ort nahe Prostken – oder sie waren zuvor über Willenberg gefahren], hart an der Grenze gelegen, wieder ausgeladen.

Verlegung nach Prostken

 

Ritten hart an der Grenze in nördlicher Richtung nach der Grenzstation Prostken [im südöstlichen Ostpreußen], wo sich der Gegner bereits mit leichten deutschen Grenztruppen im Gefecht befand.

Gefecht bei Prostken

 

Die kleine Stadt brannte an allen Ecken, der Russe hatte zum großen Teil die Häuser ausgeraubt und dann angesteckt. Ein vollständiger Zug mit Möbeln stand noch im Bahnhof, auch wurden [sic] in den Dörfern jenseits der Grenze noch viel geraubtes Gut vorgefunden.

Russen plündern

 

Nach
 

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hartnäckigen Kämpfen warfen wir den Russen auf Grajewo, bald darauf auf russisch Bialla und Augustowo [russ. Grenzstädte in Nordost-Polen] zurück. Leider hatte unser Regiment beim Sturm mit Infanterie auf Grajewo erhebliche Verluste zu beklagen.

b) Russland/Ostpolen
Zurückdrängen der Russen

[7.-16.2.]

Trotz dieser stark verminderten Kampfkraft mußten wir neun volle Tage und Nächte bei unheimlicher Kälte in den großen Wäldern von Augustowo Alarmstellung einnehmen. Allnächtlich kam die heißersehnte Gulaschkanone mit Essen und heißem Tee mit Rum, aber nur für eine Stunde brachte dies etwas  Wärme, die übrige Zeit war es ein nicht mehr schönes Gefühl[,] bis an den Knien im Schnee zu stampfen und so den Schlaf zu suchen.

(Winterschlacht in Masuren)
Alarmstellung bei Augustowo

[14.-15.2.]

Am 7. und 8. Tage wurde es allmählich brenzlich, an beiden Seiten rückten die Russen heran, zwar [bald] links auf der Flucht begriffen, war er [„der“ Russe] rechts desto hartnäckiger,

 

[16.2.]

aber am 9. Tage war diese Schlacht entschieden. Wir konnten die ganze russische Njemen-Armee etwa in Stärke von etwa 120 000 Mann gefangen nehmen, tausende Geschütze und viele Fahrzeuge, ja sogar drei Eisenbahnzüge erobern.

russische Njemen-Armee gefangen

[Ende Februar]

Einige Tage darauf kam es mit den zum Entsatz herangerückten [russischen] Truppen zu einer Schlacht am Bobr [wenig südlich von Augustowo],

Schlacht am Bobr

 

hierbei hatten wir vor unserer eigenen Artilleriestellung im Dorfe Krasnibor Unterkunft gefunden, das wurde für uns zum schweren Verhängnis, denn vom frühen Morgen bis zum Dunkelwerden bombardierte der Russe das Dorf [Flugzeugbomben, oder Artilleriebeschuss?]. Manches Haus ging in Trümmer, mancher Kamerad und [manches] Pferd erlitten mehr oder weniger schwere Verletzungen, aber ein Zurück gab es nicht.

Russen bombardieren deutsche Dorfstellung

bis 20.3.

Am nächsten Tage mußte aber doch etwas vor stark überlegenen, feindlichen Truppen gewichen werden. Die Kämpfe wurden nun mit wechselndem Glück bis zum 20. März 1915 in der Gegend um Praschnitz und Krasna-Bora geführt [nordöstlicher Vormarsch].
 

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wechselndes Kampfglück

bis 5.5.

Nach mehreren Marschtagen erreichten wir die Gegend zwischen Kalwarja und Mariampol [in Litauen, 40 km östlich der Grenze Ostpreußens, Höhe Königsberg], woselbst wir wieder bis zum 5. Mai 1915 den Schützengrabenkrieg mitmachten. Hier beschränkte sich die Front auf beiderseitige rege Feuertätigkeit [Schusswechsel], da nämlich in dieser Zeit die Schneeschmelze einsetzte, so war ein Vorgehen ausgeschlossen.

c) Russland/Baltikum
Schützengraben-Krieg bei Kalwarja und Mariampol

 

Die Wege waren dermaßen grundlos, daß die Geschütze mit 12 – 14 Pferden gezogen werden müssten, um sie fortzubewegen, selbst wir, mußten unsere Stiefel mit einem Bindfaden die durch Stiefelstrippen [sicher die angenähten Stiefelschlaufen] gezogen wurden, um die Beine festbinden, wollte man sie [die Stiefel] nicht im Schlamm stecken lassen.

Schlamm verhindert Bewegungskrieg

 

Nach der Schneeschmelze folgte schönes Wetter[,] und bald ging es wieder zur Offensive über. Wir wurden von Infanterie abgelöst und setzten uns in Richtung Schaulen [nördlich, halbe Strecke zw. Ostpreußen und Riga] in Marsch, wo wieder Kämpfe stattfanden, die später nach unserm Abmarsch nach Süden zur Dubissa, einen hartnäckigen Verlauf annahmen. Aber auch wir sollten an dem erwähnten Fluß nichts zu lachen haben. Wir besetzten einen Abschnitt längs des Flusses in etwa 4 klm. Ausdehnung zwischen und vor den Dörfern Lawgole und Sawdinki.

Wacht an der Dubissa

eine Woche

Diesseits lag flacher Ackerboden, worauf wir alle fünf Meter ein Postenloch gruben, also ganz dünn lagen [in schwacher Mannzahl], jenseits befand sich die russische Stellung treppenförmig am Abhang einer Waldhöhe, somit bedeutend überlegen [geländemäßig begünstigt]. Meine Schwadron hielt ein kurzes Grabenstück hinter einem Gartenzaun, verstärkt durch zwei M.G., besetzt. Da vor uns eine Furt vom Dorf durch den Fluß nach drüben führte, mußte hier doppelt aufgepaßt werden. Wir schossen reichlich, um dem Feind stärkere Truppen vorzutäuschen,

dünne Besetzung an einer Furt

 

das ging es eine Woche lang gut, dann aber fühlte der Russe langsam vor, bis eines Morgens durch starkes Artillerie-
 

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feuer wir merkten, was kommen sollte. Tatsächlich stellte er sein Schießen ein und ging in dichten Massen durch die Fuhrt zum Angriff vor. Kaum aber war er halbwegs oben [an der Uferböschung] angelangt, setzte unsererseits ein mörderisches M.G.[-] und Gewehrfeuer ein, immer in die dichtesten Massen hinein. Aber hinterdrein drangen mehr, immer mehr heran, fast schien es, als würden sie uns samt und sonders überrennen. Ein ganzer Haufen  kam bis auf 50 m heran, wo sie [die Angreifer in unserem Feuer] dann zusammenbrachen.

russischer Angriff

 

Wäre in diesem Augenblicke unsererseits keine Verstärkung eingetroffen, so wäre es um uns geschehen, denn die Munition ging zur Neige. Nachdem die schnell heran gezogene Artillerie in Tätigkeit trat, war der Feind bald geworfen[,] und nun erst konnte man in Ruhe die Unmengen der gefallenen Russen betrachten. Viele Verwundete waren zurück gekrochen und hatten ihren Tod im Fluß gefunden, was wir beim Vorrücken am folgenden Morgen sahen. So war dieser ungleiche Kampf für uns siegreich verlaufen, aber auch wir mußten einige Kameraden zurücklassen.

rechtzeitige Verstärkung, starke russische Verluste

 

Bei den Verfolgungskämpfen erreichten wir in die Gegend um Wyssoka Ruda und Koslowa Ruda [sicher im Schaulener Umkreis,] wo er [der Feind] noch Widerstand zu leisten versuchte, aber auch hier weichen mußte.

Verfolgung bis Wyssoka Ruda und Koslowa Ruda

 

Nun wurde die Infanterie am Feinde gelassen[,] und wir [als Kavallerie] streiften die rückwärtige Gegend nach versprengten feindlichen Truppen ab. Bei dieser Beschäftigung gelangten wir in nördlicher Richtung bis in die Gegend von Kurschany – Trischki [25 km nordwestlich Schaulen], hier traf ich auf einem Melderitt mit meinem früheren Regiments Kommandeur, jetzigen Div.[isions] Kommand[eu]r. Generalmajor v. Selchow [, zusammen].

rückwärtige Sicherung besetzten Gebietes

 

Da hier die [deutsche] Front nur sehr dünn besetzt war, so war es zwei Kosaken[-]Regimentern gelungen, durchzubrechen und das hintere
 

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Gebiet unsicher zu machen. Leider war es ihnen auch gelungen, eine [deutsche] Fuhrpark-Magazin-Kolonne abzuschnappen, die vollständig vernichtet wurde. Wir trafen am Tage darauf auf die [der] Stelle ein, wo sie gehaust hatten, die Mannschaften waren ermordet und verstümmelt, Pferde erschossen und Wagen verbrannt. Diese Bande aufzustöbern und unschädlich zu machen war unsere Aufgabe geworden.

Jagd auf durchgebrochene Kosakenregimenter

 

Zu diesem Zweck bildeten wir ein kleines Detachement, Jäger z. Pferde 6, Husarenregiment 15 und eine Artilleribatterie 3. Jedes Regiment sandte eine Aufklärungseskadron zur Deckung aus, das übrige [alle anderen Mannschaften] gingen als Schützen zu Fuß vor, gefolgt von der Artillerie und den Handpferden, bei letzteren befand auch ich mich. Dieses Vorgehen hatte schon zwei Tage gedauert, ohne eine Spur zu finden. Das Gelände war teils sumpfig, teils bewaldet mit Ges[t]rüpp bewachsenen Lichtungen.

Aufklärungs-Eskadronen

25.6.,
4 Uhr,
12 Uhr

Am dritten Tage, den 25. Juni 1915 morgens um 4 Uhr[,] brachen wir wiederum auf, der Tag war ein sehr heißer Sommertag, bis zum Mittag konnte wieder nichts festgestellt werden, wir ließen die Schützen weiter vorziehen und machten mit den Pferden und der Artillerie auf einer größeren Lichtung Pause. Ich zog mit meinen vier Pferden in den Schatten eines Busches, aß noch erst ein Stück Brot und las im [„]Weserboten[“] aus der Heimat, den ich am Morgen erhalten hatte. Während ich mich [sic] es ganz gemütlich machte, sprengte plötzlich der Batterieführer heran und rief:„fertig machen, aufsitzen.“

 

 

Im selben Moment hörte ich auch schon links bei den Jägern das russische „Hurrä“ rufen, also nun hieß es schnell zu sein. Pelzmütze auf den Kopf, Gurte anziehen und aufsitzen war nur ein Augenblick, eben war ich im Begriff, loszureiten, da traf mich ein wuchtiger Schlag auf die Pelzmütze, die mir dabei über die Ohren rutschte,
 

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gleich danach einen weniger derben auf die Schulter. Jetzt ließ ich die Handpferde laufen, gab meinem Pferde die Sporen und sauste ab, setzte meine Haube wieder vernünftig auf und sah nun erst, das[s] drei Kosaken mir [mich] verfolgten. Jetzt kommt ein kleiner Graben, ich hinüber, meine Verfolger aber nicht, sondern jagen wieder um [zurück].

Attacke dreier Kosaken

 

Die beiden Degenhiebe, wie ich nun sah, hatten mir keine Verletzung beigebracht, der Stahldraht in der Pelzmütze war allerdings beinahe durchgeschlagen, der zweite Schlag hatte meinen Trageriemen halb durchgeschnitten, so hatte ich hatte also wieder Glück gehabt.

unverletzt

 

Infolge dieser überraschenden Überrumpelung war natürlicherweise alles in Unordnung geraten, fast alle unsere Handpferde liefen herrenlos umher, teilweise hingen die Sättel ihnen unter dem Bauch, da wir vordem die Gurte gelockert hatten. Vorerst ließ sich dies nicht ändern, man konnte wegen dem aufwirbelnden Staub die Lage nicht übersehen.. Ich hatte mir inzwischen eiligst eine Lanze wieder genommen, und schloß mich einigen Kameraden an, plötzlich kommt hinter einer vorspringenden Waldecke ein Jäger daher gesaust, verfolgt von einem Kosaken-Offizier mit seinem attakierenden Zuge [ca. 30-50 Kosaken]. Kaum hatten die Russen uns bemerkt, schrieen sie „Germanski Husarri“ und machten schleunigst kehrt, offenbar hatten sie keine Ahnung davon, das auch [deutsche] Husaren da waren, der [Kosaken-]Offizier aber wurde durch Lanzenstich eines [Husaren-]Kameraden erstochen, er sank tot vom Pferde.

neue Attacke

 




Abb. 9. Bildpostkarten mit Husaren in Paradeuniform aus dem Regiment Königin Wilhelmina der Niederlande (Hannover) Nr. 15, Standort Wandsbek – Ostendorfs Regiment, vor dem I. Weltkrieg. Zu sehen ist die (bewimpelte) Lanze, von deren Einsatz im Kampf Ostendorf berichtet.

 

 

Allmählich sammelte sich immer mehr [unseres Verbandes] um uns, in diesem Augenblick kam auch die Aufklärungseskadron heran[,] und nun wurde unsererseits zur Gegenattacke angeritten, der [die] einen vollen Erfolg brachte. Der Feind wurde unseren Schützen in die Arme getrieben, diese teilten sich [in zwei Schützenlinien], sodaß von drei Seiten her der Gegner beschossen wurde.
 

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Da tauchte zum argen Pech des Feindes auch noch ein kleiner Fluß auf, dort wurde alles vernichtet, was sich nicht ergab. Somit hatten wir trotzdem doch siegreich den Kampf abschließen können.

deutsche Gegenattacke erfolgreich

 

Leider aber hatten auch wir wieder Verluste zu beklagen, meist waren es schwere Kopfhiebe[,] die den Tod herbei führten, auch mein Rittmeister und Eskadronchef [v. Weltzien] erhielt einen schweren Schlag, wodurch das halbe Ohr mit rechter Backe abgeschlagen wurde.

eigene Verluste

[ca. 10.7.]

Nach diesen Tagen lagen wir etwa 14 Tage im Schützengraben an der Wirwita [Gegend von Kurschany,] wo zwar die Gefechtstätigkeit nur gering war.

Schützengräben an der Wirwita

[ca. 24.7.]

Von hier setzten wir uns wieder in Marsch nach Hasenpot [westliches Kurland, heute Lettland,] und darauf folgte der allgemeine Vormarsch auf Mitau [nach Osten, 40 km südöstlich Riga].

Vormarsch nach Mitau

 

Nach anstrengendem Ritt[,] der Tag und Nacht fortgesetzt wurde, erreichten wir bald nordwestlich von Mitau die Bahn Mitau – Windau [heute Ventspils] und besetzten diese. Der Russe hatten hier starke Stellungen und Feldwachen gebaut, mit letzteren lagen wir an einer Eisenbahnbrücke in fortwährendem Geplänkel. Bald war festgestellt, das von hieraus die feindliche Stellung nur mit großen Opfern genommen werden konnte, somit sollten wir durch Feuerüberfälle den Gegner fesseln, währendem von Süden her unsere Infanterie im Sturm vorging[,] 

bei Bahnlinie Mitau – Windau

Nacht vom 5.-6.8.

und in der Nacht vom 5. – 6. Aug. 1915 wurde die Stadt eingenommen. Nachdem der Feind die festen Stellungen fluchtartig geräumt hatte, zogen auch wir in die Stadt ein, wo wir von der Einwohnerschaft, hauptsächlich Deutschen, mit Freuden empfangen wurden. Ja sogar manche alte Bekannte trafen sich hier [wieder].

Mitau erobert

 

Ohne uns aufzuhalten, wurde in südöstlicher Richtung weitergeritten, um unterhalb Bausk an der Aa auf drei Wochen den Schützengrabenkrieg wieder aufzunehmen.

Schützengräben bei Bausk an der Aa

 


 

Abb. 10. Ein Doppelbogen (Seiten 24 und 25) mit Ostendorfs Kriegserinnerungen.

 

drei Wochen

Die Front war hier wiederum ziemlich ruhig, infolge dessen mußten wir in der Zwischenzeit Erntearbeiten verrichten.
 

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In diesen drei Wochen haben wir auf dem Gute Billenhof doch etwa 120 Fuder Roggen zusammen gefahren, daß heißt gemäht, gebunden und in Diemen gesetzt [in Hocken aufgestellt]. Aber schneller wie man ahnte, mußten wir unsere friedliche Arbeit wieder mit dem rauhen Kriegshandwerk vertauschen.

als Erntehelfer

[ca. 27.8.]

Den ganzen Tag hatten wir noch auf dem Felde gearbeitet, ich hatte dann noch einen Melderitt zum Brigadestab zu machen, von da brachte ich dann den Befehl mit, noch in der Nacht abzurücken, also wieder Vormarsch, Schlaf Nebensache! Wir setzten über die Aa, vielmehr ritten durch, wobei in der Dunkelheit mancher Kamerad noch ein unfreiwilliges Bad nehmen mußte, weil er eine tiefe Stelle nicht ahnen konnte [die Furt verfehlte hatte].

Vorstoß über die Aa

[ca. 28.8.]

Bei Tagesanbruch war alles drüben, die aufsteigende Sonne erinnert uns, daß es wieder heiß werden sollte, eine kurze Rast und dann ging es in scharfem Tempo längs der Bahn Mitau – Danzewas –Jabobstadt.

 

 

Bald aber stießen wir in den Wäldern auf Kosaken-Patrou[i]llen, und am Abend wußten wir, das der Feind sich am großen Waldrand bei den Dörfern Strigge, Rose und Abermann fest verschanzt hatte. Hier mußte also wieder Halt gemacht werden, wir bauten ebenfalls Schützengräben, zogen so gut es ging auch einen ganz primitiven Drahtverhau. Ich besetzte mit zwei Zügen und zwei M. Gewehre[n] einer Radfahrer-Kompanie den Kirchhofsrand von Rose, zu beiden Seiten befanden sich größere Hügel[,] wo je ein M.G. eingebaut wurde. Hinter uns ebenfalls hügeliges Gelände, sodaß sich unsere Artillerie unsichtbar halten konnte, vor uns bis zur feindlichen Stellung flaches Gelände, teils sumpfig, sodaß der Angreifer es nicht leicht hatte, nur waren wir zu schwach, einen ernstlichen Angriff abzuwehren, es kam aber anders.

Stellung bei Dorf Rose

21.9., morgens

Nach kleineren Angriffen, raffte sich der Gegner am frühen Morgen des 21. Septembers zum Hauptangriff auf, in dichten Massen
 

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brach er aus seinen Stellungen heraus, von schwerem  Artilleriefeuer begleitet, das von unserer Artillerie lebhaft erwiderte wurde. Deutlich konnten wir sehen, wie dem Angreifer arge Verluste beigebracht wurden, aber immer neue Massen wälzten heran, sodaß man denken mußte, es geht uns an den Kragen. Aber was half es, wir mußten ausharrten, wir schossen, was aus dem Lauf heraus wollte, schon waren die ersten Russen an unserem ach so schwachen Drahtverhau,

russischer Angriff

 

hier schien es,  als sollte ein Stillstand eintreten, aber nein, weiter ging es, sollte es nun ins Handgemenge gehen?, jetzt geschah etwas ganz Unerwartetes, die ersten Russen warfen die Waffen weg und sprangen über unseren Graben immer weiter nach rückwärts laufend. Das war für die folgenden das Signal zum Zurückfluten [in ihre Stellungen], ängstlich schaute ich mich nach den Russen in unserem Rücken um, aber die waren kriegsmüde [Überläufer].

massenhaft Überläufer

 

Leider mußten mehrere Kameraden durch das Überlaufen ihr Leben lassen, da nämlich unsere Artillerie glaubte, der Feind hätte unsere Stellung genommen, so legte er sein Feuer dort hin [verkürzten ihr Feuer und beschossen die eigenen Stellungen (englisch = „friendly fire“)]. Schnell wurde ihr Mitteilung gemacht[,] und nun konnte der fliehende Feind auf’s Visier genommen werden, der nun abermals sehr schwere Verluste hatte.

Beschuss durch eigene Artillerie („freundliches Feuer“)

 

Nachdem die Gefangenen[,] etwa 200 Mann[,] gesammelt waren, und von Kameraden  abtransportiert wurden, gingen wir am folgenden Morgen wieder vor.

 

[22.-23.9.]

Bereits nach zwei Tagen gelangten wir zwischen Friedrichstadt und Jakobstadt an die Düna. Dort besetzten wir das diesseitige Ufer und durchsuchten die rückliegenden Wälder nach versprengten Russen ab,

Vorstoß an die Düna

 

bei dieser Gelegenheit kam ich in ein kleines
 

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Waldhaus, wo mir die Matka (Frau) unter Tränen erklärte, die [abziehenden] Kosaken hätten sie mit ihrer fünfjährigen Tochter zurück treiben wollen, da es aber nicht schnell genug ging, und die Deutschen in der Nähe seien, so habe [ein]er aus Wut ihr den Unterarm mit dem Degen schwer verletzt und das Kind bei den Haaren gepackt und an einen Baum geworfen. Die Richtigkeit dieser Behauptung konnten wir feststellen, nachdem unserer Sanitäts-Unteroffizier die Wunden [bei Mutter und Kind] verbunden hatte.






russische Brutalität gegen die eigene Bevölkerung

[ca. Mitte Oktober]

Nach etwa 14 Tagen löste uns Infanterie ab, wir setzten uns wieder in Marsch und erreichten nach sechs Tagen etwa die Gegend von Dünaburg.

Vorstoß bis Dünaburg

ab 13.11.1915

[Gustav Ostendorf ist jetzt 22 Jahre alt.]
Hier kamen wir links von Illusk [20 km nordwestlich vom russisch gehaltenen Dünaburg] abermals an der Düna in Stellung. Die Pferde kamen 20 klm. rückwärts in Quartier, jeder Mann hatte 8 Pferde zu versorgen, alles andere [die anderen Soldaten] lagen vorne im [Schützen]Graben. Alle acht Wochen wurde abgelöst und [wir] kamen für eine Woche nach hinten. In dieser [Front]Stellung lagen wir ein volles Jahr lang, vom 13.11.15 – 23.11.16 [.]

bei Dünaburg im Schützengraben

[Ende 1915/ Anf. 1916, über Weih-nachten?]

Von hier aus erhielt ich meinen ersten Heimaturlaub [Termine anderer Kriegsheimfahrten unbekannt], die Reise aus Rußland heraus war gerade nicht angenehm bei der großen Kälte, auch die Eisenbahn verkehrte damals noch schlecht.
[Dazu Sohn Helmut Ostendorf: „Über den Urlaub in der Heimat keine Meldung“.]

Heimaturlaub

 

Von der Heimat [an die Front] zurück gekehrt, mußte ich am selben Abend noch in Stellung, denn der Feind machte oft größte Überfälle über das Eis der Düna Allnächtlich arbeiteten wir am Drahtverhau, immer stärker wurde die Stellung ausgebaut, so war es uns möglich, den Russen stets abzuwehren.

häufige russische Angriffe

Frühjahr 1916

Da kam das Frühjahr heran, mit plötzlichen [sic] Tauwetter. Dies machte sich der Gegner zunutze, indem er unterhalb unserer Stellung das Eis sprengte. Die Folge war, das[s] unser niedriges Ufer [mit den darauf gelegenen Grabenstellungen] total überschwemmte wurde. Während das feindliche hohe Ufer verschont blieb, wurde bei uns von den 40-50 cm dicken Eisschollen, getrieben von einer starken Strömung[,] die ganze Stellung vernichtet.
 

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Der Drahtverhau war wie wegrasiert, die bombensicheren Unterstände voll Wasser gelaufen und teilweise abgedeckt. Was wir bei diesem feindlichen Unternehmen erlebten [und erlitten], war sicherlich kein Vergnügen. Ich stand mit einem Ersatz[-]Rekruten hart am Flusse auf Horchposten. Plötzlich vernahmen wir heftige Explosionen und das Brechen des Eises. Ich ließ nun meinen Kameraden zur Feldwache gehen, um dem Leutnant diesen Vorfall zu melden. Schneller, wie [als] ich ahnte, mußte ich folgen, denn das [einflutende] Wasser im [Schützen]Graben nahm bereits eine bedenkliche Höhe an. Ehe wir es merkten, waren wir mit unserer Feldwache von dem nassen Element vollständig eingeschlossen.

Russen sprengen Flusseis und überschwemmen deutsche Stellungen

 

Es blieb also nichts weiter übrig, als in den wenigen größeren Tannen den Morgen abzuwarten. Karabiner, Patronengürtel und Brotbeutel wurden umgehängt, alles andere blieb der reißenden Flut überlassen. Da die Fernsprechleitung nach rückwärts [zur Truppe] gleich zu Anfang zerstört wurde, in der Dunkelheit ebenfalls nichts über unsere Lage festzustellen war, konnte unser Los kein Gutes genannt werden.

Flucht auf die Bäume

 

Erst beim Morgengrauen sahen wir, das[s] die Hauptstellung ebenfalls unter Wasser stand und auch dort alles in den Bäumen saß. Nur die Aufnahmestellung am großen Waldrand in 800 m Entfernung lag hoch und trocken da. Diese traurige Lage nahm sich der Russe zunutze, indem er die Bäume den ganzen Tag unter Feuer nahm. Das waren schwere Augenblicke, mit anzusehen, wie dieser oder jener Kamerad mit seinem Baum zerschossen in das Wasser fiel oder ertrank und zerquetscht wurde von den mächtigen Eisschollen. Am Abend stellte der Feind das Schießen ein, wir konnten freier wieder aufatmen. Aber nochmals die Nacht hier [zu]zubringen, konnte uns wahrlich nicht zugemutet werden. Wir entschlossen uns nun, bis aufs Hemd und Unterhose auszuziehen und zur Hauptstellung durch zu schwimmen, leider mußte
 

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ein Kamerad dabei seinen Tod finden durch Quetschung zwischen zwei mächtige Eisschollen. Wir glücklich Angelangten, mußten nun allerdings mit nassem Unterzeug wieder bei den anderen Kameraden in die Bäume klettern [und frieren. Ganz zum Ufer konnten sie wohl nicht.]. Nicht lange dauerte es[,] bis wir uns mit den total erstarrten Gliedern kaum mehr halten konnten, plötzlich fiel auch schon ein Mann ins Wasser und ertrank. Da endlich hörte man Stimmen, in der Dunkelheit aber nicht zu erkennen, was das war, bis dann jemand rief, der Brückentrain mit seinen Pontons sei da. So konnten wir bis zum Hellwerden alle [d.h. die Überlebenden – in rückwärtige Stellungen] zurückgebracht werden, dort war für warme Unterstände, Essen und Kleidung bestens gesorgt. Aber dennoch hatte sich mancher Kamerad eine schwere Erkältung sich zugezogen und das Lazarett aufsuchen mußte [müssen].

Verluste durch Beschuss und Ertrinken

nach 14 Tagen

Nach etwa 14 Tagen, inzwischen war auch starkes Tauwetter eingetreten [von G.O. ersetzt durch:] geblieben, hatte das Wasser der Düna seinen normalen Stand wieder erreicht. Jetzt hatte unser wieder harte Arbeit, Tag und Nacht wurde geschanzt, um die Stellungen nur einigermaßen fest [wehrtüchtig] wieder zu haben.

neues Schanzen nach Hochwasser

Sommer 1916

Den Sommer über wurde nur nachts gearbeitet, die Zeit verstrich dann meistens mit mehr oder weniger ernsten Überfällen des Gegners, die aber jedes Mal ihre Opfer kosteten.

 

 

Auf einem schön angelegten Soldatenfriedhof liegt so mancher brave Kamerad[,] der hier sein Leben einbüßte.

deutscher Soldatenfriedhof

 


Abb. 11. Bildpostkarte vom deutschen Soldatenfriedhof an der Düna.

Beschriftung vorne: Friedhof des Husaren Regt. Königin Wilhelmina der Niederlande Hannov. No. 15 im Osten [Ostfront, Russland, Baltikum].

Handschriftlicher Text hinten: Friedhof des Hus. Regmts No 15 in Grohsworiski bei Kaltenbrunnen im Oktober 1916. Stellung an [der] Düna. Hier ruhen 22 Mann. Noose [der Fotograph?] 1916 im Felde

 

23.11.1916 [s.o. im Text]

[Gustav Ostendorf ist jetzt 23 Jahre alt.]
Bald zog der Winter wieder ins Land, wir arbeiteten in der Zwischenzeit für unseren Bedarf an Feuerholz[,] bis ganz unverhofft der Befehl zum Abrücken kam.

 

[Ende November]

Nach einigen Tagen wurden wir in Subbat [25 km nordwestlich von Illusk] auf die Bahn verladen und nach zwei Tagen in Ugalen in Nord-Kurland [30 km südwestlich von Windau] wieder ausgeladen. Für die Nacht wurde auf dem Gute Pussenuken in der Nähe des Bahnhofs Quartier bezogen, am folgenden Tage erreichten wir nach einem 45 klm. langen Ritt das größte Rittergut Kurlands[,] „Dondangen [ca. 30 km südlich vom Kurland-Kap zwischen Ostsee und Riga-Bucht].
 

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Dies wurde uns als Standquartier zugewiesen,

d) Verlegung nach Nord-Kurland
auf ein Rittergut

 

das Regiment übernahm den Küstenschutz am Rigaischen Meerbusen zwischen Domesnes – Klein – Irben in einer Ausdehnung von 50 klm. Hier war von Gefechtstätigkeit so gut wie nichts zu spüren, ab und zu beschoß ein russisches Kriegsschiff die Küste ohne Erfolg. Desto schlimmer hatten wir unter der enormen Kälte zu leiden, wir hatten zeitweilig eine Temperatur von 40 °/C unter Null, sodaß der [aufgestellte Wacht]Posten alle Stunde abgelöst werden mußte.

Küstenschutz am Rigaischen Meerbusen

[über Weihnachten 1916 bis Pfingsten 1917]

Am Strande brauchte ich weniger Dienst tun, meistens stand ich vor dem Gute auf Wache. Hier war ich bald mit dem Gutsgärtner und dessen Familie, wo ich zu Anfang einige Tage einquartiert gewesen war, auf’s Beste befreundet, zumal sie [die Familienmitglieder] fließend deutsch sprachen und verstanden. Fast täglich war ich dort im Hause, stets gut bewirtet von der Tochter des Hauses, auch das Weihnachts=, Oster= und Pfingstfest durfte ich dort erleben, wie es schöner nicht hätte in der Heimat sein können.

[6.4.1917 Kriegserklärung der USA an Deutschland.]

Familienanbindung im Gut

9.6.1917, morgens

Um so peinlicher [= schmerzhafter, von „Pein“] war es, als es plötzlich wieder hieß, abrücken. Am Morgen des 9. Juni 1917 waren wir auf dem Hofe aufmarschiert, alle Mädel standen am Gartenzaun und betrauerten den Abschied, wie der Kommandeur die Front [der Angetretenen] abgeritten hatte, sprach er auch die Einwohner an[,] und nun gab’s noch Geschenke an Kuchen u. Blumen. Ich hatte meinen großen Topfkuchen schon am Abend vorher erhalten und erhielt nun noch einen großen Blumenstrauß aus Vergißmeinnicht und Rosen von meiner ach so traurigen Marie. Sie lief [während wir abritten] noch eine Strecke mit, um dann auf Nimmerwiedersehen zurück zu bleiben. Auch mir fiel es schwer[,] die friedliche Stelle zu verlassen, hatte Sie [die junge Frau?] doch auch sehr viel Gutes für mich getan, als dankbares Mädel bleibt sie mir
 

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in Erinnerung. Noch eine ganze Weile brachte sie es fertig, durch andere Truppenteile Briefe zu schicken, ja, sogar ein volles Jahr später bekam ich noch einen letzten Brief, worin sie mir mitteilte, das[s] sie Photographie und Filzpantoffel abgeschickt hätte. Beides erhielt ich tags darauf[,] seitdem war es alle [Kontakt unterbrochen].

Soldatenbraut

vier Wochen

Also unser Marsch ging über Talsen, Stenden nach Tuckum, dort wieder [auf die Bahn] verladen, ging die Fahrt nach Kowno [heute Kaunas, in Litauen] und Umgegend, woselbst das Bandenunwesen bekämpft wurde. Ich lag dort vier Wochen mit in der Kaserne III nahe der beiden Forts vier und fünf,  wo man [an Kriegsbeschädigungen] die unheimliche Wirkung der 42 cm[-]Mörser[granaten] beobachten konnte. Das eine Fort war vollständig durch Volltreffer zerstört worden, Felsblöcke von zwei Meter Durchmesser waren 100 m weit gepflogen [sic].

e) Verlegung nach Kowno,
Banden bekämpfen

Datierung

Wiedergabe der [erläuterten oder korrigierten] Originalaufzeichnungen

Gliederung

[Juli 1917]

Nun wurden wir abermals [auf die Bahn] verladen, diesmal zu einer sechstägigen Fahrt nach dem Süden[,] und zwar  ging der Weg über Landwarowo, Grodno [heute Hrodna in Weißrussland], Bialystock [Polen], Brest=Litowsk [heute Brest in Weißrussland], Kowel [heute West-Ukraine], Lemberg [österr. Galizien, heute West-Ukraine], Striyj [60 km südlich Lemberg] nach der kleinen Station Rosniato, im Vorgelände der Karpathen gelegen.

4. Feldzug
a) Österreich/ Galizien

Verlegung an die Karpaten

[16.8.1917, s.u.]

Kaum hatten wir den Zug verlassen, hieß es schon, das[s] der Feind die Österreicher geworfen hätte. Schnell gings nun zur Front, aber nach einer knappen, halben Stunde stießen wir auf die ersten, fliehenden Bundesgenossen. Auf Anfragen, konnte nichts Bestimmtes [genaue Lage] erfahren werden, wohl aber, daß seit gestern abend die Front im Weichen sich befand. Bald stießen wir auch auf stärkere [österreichische] Truppenmassen, meist ohne Gewehr und Rucksack. Das gab es aber nicht [das ließen wir nicht zu], vielmehr mußten sie wieder mit um [zur Front zurück,] und am Abend erreichten wir wieder die alte [Front]Stellung, der Feind war kaum über die[se] Stellung hinaus gekommen. Bald war die unsere Division voll zur Stelle[,] um zwischen den Österreichern eingesetzt zu werden.

Stabilisierung der österreichischen Front

23.8.1917

Wir lagen acht Tage an der Lomitza, bis am 23. Aug. 1917 der
 

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allgemeine Angriff unsererseits stattfand. Durch starke Artillerievorbereitung war es uns möglich[,] dem Gegner bereits am Mittag zum Weichen zu bringen. Sofort wurde unsere Bayrische Kav.[-]Div., zu der wir gehörten [zugeteilt waren], zur Verfolgung angesetzt, Tag und Nacht ging es in fortlaufenden Kämpfen vorwärts. Auf dem Rückzug brannte der Feind manches nieder, aber vieles wurde durch unserm [sic] harten Nachrücken gerettet.

Vorstoß an der Lomitza

 

Die Stadt Kolomea [110 km südöstlich von Stryj, 60 km nordöstlich von Zernowitz] war von den Russen stark befestigt worden, unsere Patrou[i]llen vom Regiment hatten sich ganz nahe an die Straße vor der Stadt heran geschlichen. Fanden aber den Eingang durch spanische Reiter versperrt, plötzlich kommt ein feindliches Panzerauto auf die Stadt zu gerollt. Vor dem Drahtverhau muß es halten, die Russen kommen, die spanischen Reiter zur Seite setzend, aus ihrer Deckung heraus. Da plötzlich knallen ein paar Salven unserer unbemerkt gebliebenen Patrou[i]lle, [deren Soldaten] stürmen vor und besetzen den Eingang [die Durchfahrt]. Durch dies energische Zupacken, kam Verwirrung in die feindlichen Reihen, die nun eiligst zurück gingen [flohen]. In der Stadt wurde sehr viel Kriegsmaterial vorgefunden, unter anderem auch ein vollständiger Zug mit Benzintankwagen.

Einnahme von Kolomea durch Deutsche

 

Weiter ging es in flottem Tempo über Sniatin [35 km südöstlich von Kolomea], Oroscheny, Satagora der galizischen Hauptstadt Zernowitz entgegen. Nach der Einnahme dieser Stadt ging es in südlicher Richtung in die Bukowina hinein bis Radautz [55 km südlich von Zernowitz nahe der rumänischen Grenze]. Dieser Ritt wurde für Pferd und Reiter sehr anstrengend, denn die Karpathen haben hier Berge [Erhebungen] von 3000 – 4000 Meter Höhe.
[27.8. Kriegserklärung Rumäniens an Österreich-Ungarn.]

weiterer Vormarsch nach Zernowitz und n die Bukowina

drei Wochen [im September]

Bei Ober= und Unter=Horodneck [wohl nahe Radautz] bezogen wir auf drei Wochen wieder eine Stellung, die ziemlich ruhig blieb, was uns sehr zustatten kam, denn wir waren bei der trostlosen Verpflegung bei den Österreichern ganz herunter gekommen.
 

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Auch wirkte die Hitze hier unten in’s Tal sehr ermüdent auf uns ein [sic]. Wir wurden dann von österreichischen Truppen abgelöst, die aber leider bald darauf die Stellung wieder preisgaben, jedenfalls waren es wieder die tapferen K. u. K. Truppen, die damals schon völlig versagten.

Verbündetenschelte

[ca. 1. Oktober-woche]

Unsere Kav.[-]Division war inzwischen wieder auf dem Marsch nach Zernowitz, nach mehreren Tagen trafen wir dort ein und wurden in der dort befindlichen Kav.[-]Kaserne untergebracht. Während dieser zweitägigen Ruhe traf ich einen Regimentskameraden aus der Heimat[,] „Hans Golzwarden“[,] der als Schlachter zur Heeresgruppe Litzmann abkommandiert war. Ich hatte also nun [durch ihn] die schönste Gelegenheit, mich mit den nötigen Fleischwaren einzudecken, auch für die nächsten Tage bekam ich ein gutes Quantum mit.

in Kaserne in Zernowitz, trifft alten Bekannten

6.10.1917, früher Morgen

Am frühen Morgen des 6. Oktobers 1917 wurden wir dann wieder in Satagora[,] einem Vorort von Zernowitz[,] verladen. Es kam nur unsere Husaren-Brigade fort, unser Bayrischer Div.[-]Kommandeur v. Egglofstein ließ uns ungern fahren, in seiner Abschiedsrede sagte er uns seinen besonderen Dank, indem er uns pro Kopf eine Flasche Wein schenkte.

 

 




Abb. 12. Der rumänische Kriegsschauplatz mit ungefährem Bewegungsprofil von Gustav Ostendorf, eingetragen in einen zeitgenössischen Geschichtsatlas
(zum Vergrößern anklicken).

 

 

Mit unbestimmten Reiseziel fuhren wir dann ab, erst ging es in nordwestlicher Richtung wieder zurück über Kolomea und Stanislaus,

b) Rumänien
Verlegung ins Ungewisse

 

hier war Verpflegung, Maissuppe mit einem Stückchen Brot und Wurst gab es. Dieselbe Kost gab es auf den folgenden Stationen, ein Zeichen, wie tief unser Bundesgenosse in wirtschaftlicher Hinsicht damals schon gesunken war.

Österreich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten

 

Von hieraus dampfte der Zug wieder in südlicher Richtung, unsere Vermutung, [wieder] nach der Westfront zu kommen, bestätigte sich also nicht. Die Reise ging durch die herrliche ungarische Ebene, über die Städte Debretzin, Arad, Temesvar, Luges durch den gebirgigen Engpaß, das sogenannte „Eiserne Tor“ nach dem Grenzstädtchen Orsova [an der Donau, heute Rumänien]. Letztere Stadt an der Dreiländerecke, Ungarn[,]
 

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Serbien und Rumänien gelegen, macht einen wundervollen Anblick, da sie eng umschlossen ist von hohen Bergen und ihre Lage an der schmalsten Stelle der Donau hat. Nach langer Zeit bekommen wir wieder mal ein kräftiges Essen, von deutschen Landsturm[-Angehörigen, volksdeutsche Ortsbewohner] gekocht, die hier als Besatzung lag[en].

Fahrt durch Ungarn zum Eisernen Tor

 

Bald ging die Fahrt weiter immer höher ins Gebirge hinein, dann wieder durch Tunnels, über unzählige Brücken und wieder in flottem Tempo in’s Tal hinunter. Eine ganze Strecke fuhren wir hart an der Donau entlang, da nämlich der Engpaß hier so schmal ist, das[s] der Fluß, Eisenbahn und Straße auf das eben noch mögliche Maß zusammengedrängt sind.

per Bahn in die Karpaten

 

Nach mehreren Stunden dieser Gebirgsfahrt erreichten wir das erste rumänische Städtchen Turnu-Severin [an der Donau, 20 km östlich hinter dem Eisernen Tor]. Fast die ganze Bevölkerung stand hier an der Bahn und verkaufte uns Weißbrot und die schönsten Weintrauben, die auch reichlich genommen wurden. Weiter ging es durch wunderbares Weinberggelände über die Städte Craiowa, Piatra-Olt, Pitesti bis zur Landeshauptstadt Bukarest.

nach Bukarest/Rumänien

 

Nach halbstündigem Aufenthalt fuhren wir durch flaches Ackergelände, der sogenannten Walachei, weiter. Große Korn, Mais= und Sonnrosenfelder wechselten hier miteinander ab. Nach Lage der Dinge ist Rumänien ein gesegnetes, fruchtbares Land.

durch die Walachei

15.10.1917, acht Monate

Am 15.10.1917 wurden wir in Tandarei [40 km nordwestlich der Donau] ausgeladen, nun erst wußten wir, das[s] wir als Besatzung Verwendung finden sollten.

Verwendung als Besatzung

[16.10.1917] 

Am folgenden Tag ging es nach dem Städtchen Slobozin [25 km südwestlich von Tandarei],

 

[ca. 20.10.]

nach weiteren Tagen nach dem Dorfe Fetesti an der Donau [40 km südöstlich von Slobozin]. Hier war Standquartier ein halbes Jahr bis zum 15.6.18.  Zugewiesen wurden uns ein Abschnitt von 100 klm als Donausicherung und 50 qklm Bezirk als Sicherung.

 

 

Unsere Pferde hatten einmal schöne, wohlverdiente Ruhetage wieder, in
 

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einigen Wochen waren sie völlig wieder heraus gefüttert, um dann aber auch zeitweilig längeren Dienst zu tun. Auch wir [Reiter] konnten uns einmal wieder Ruhe gönnen, das heißt, wir durften uns am Abend getrost in das Bett legen, welches wir hier tatsächlich hatten, ohne durch feindliche Granaten gestört zu werden. Da das Land unter den Folgen des Krieges in dieser Gegend nur wenig gelitten hatte, so konnten wir für wenig Geld allerhand einkaufen. Mancher schöne Braten und sonstige Leckerbissen, die unser Magen lange entbehren mußte, konnten ihm hier wieder geboten werden.

Ruhe und gute Verpflegung

 

Wir hatten also nichts zu klagen, unter anderem unternahmen wir eine Reise nach Konstanza am Schwarzen Meer. Da unser Dorf direkt an der großen Donaubrücke lag, so war also leicht das jenseitige Ufer erreichen, woselbst das [15 km östlich liegende] Städtchen Cernawoda liegt. Dieser Ort wird durch die Bahn in 70 klm. Länge [Entfernung] mit Konstanza verbunden. Hier am Schwarzen Meer findet man eben so wie am Nordseestrande alle Bequemlichkeiten eines Badeortes. Die großen Getreidespeicher zeigen uns an, das[s] hier der Haupthandelshafen für aus[zu]führendes Getreide ist.
[Im November 1917 wurde Gustav Ostendorf 24 Jahre alt.]

Sommerfrische am Schwarzen Meer

bis 15.6.1918 [s.o. im Text]

[7.5.1918 Friedensschluss mit Rumänien nach dessen weitgehender militärischer Niederlage und Besetzung sowie nach Besetzung der russischen Ukraine durch die Mittelmächte.]
So angenehm wir die [Zeit der] Besatzung einerseits fanden, so unangenehm war sie andererseits in Bezug auf hygienische Verhältnisse. Im Winter herrscht dort stark der Flecktyphus und im Sommer bei der Siedehitze das Malariafieber, beides höchst bedauerliche Krankheiten. Gegen erstere wurden wir geimpft [mehrfach insgesamt] mit 8 ccm Blut von einem Fleckfieberkranken, gegen die letztere mußten alle sieben Tage 10 Tabletten Chinin genommen werden, auch kein Vergnügen. [Laut Soldbuch zwischen 1914 und 1918 Impfungen gegen Cholera, Typhus, Pocken, Fleckfieber.]

Seuchengefahr

 


 

 

 

Abb. 13. a, b, und c. Soldbuch des Gefreiten Ostendorf,
Links oben: Papierhülle mit Vermerk der Beförderung zum Unteroffizier (nach September 1917),
unten: Hinweis auf die zusätzliche Funktion als Wehrpass.

 

Datierung

Wiedergabe der [erläuterten oder korrigierten] Originalaufzeichnungen

Gliederung

16.6.1918,
4 Uhr,
10 Tage bis 26.6.

Am 16. Juni 1918 morgens 4 Uhr wurden wir dann wieder verladen, und nach einer 10 tägigen Bahnfahrt in Rudensk (Weißrußland) [35 km südöstlich von Minsk] ausgeladen. Diese Reise führte über Bukarest [Rumänien], Ploesti, durch den Predealpaß nach [österr.-ungar.] Kronstadt, dann weiter über Hermannstadt, Arad [alle drei heute rumänisch], Szolnock [Ungarn, 85 km südöstlich von Budapest, vmtl. über Budapest], Oderberg [österr.-mähr. Grenzstadt zum Dt. Reich], Kattowitz [Deutschland, Oberschlesien, nach I. WK polnisch], Dombrowa [12 km nordöstlich von Kattowitz, vmtl. russ. Polen], wo Entlausung stattfand, von hier über Censtochau, Sternewice,
 

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Warschau, Brest-Litowsk, Baranowitschi [letzte beide bis II. WK zu Polen, heute Weißrussland], Minsk, für Umladung von der Normalspur= auf die russische Breitspurbahn, um dann im vorerwähnten Ort die Entstation [sic] erreicht zu haben.

5. Feldzug
a) Russland/
Weißrussland

Verlegung nach Rudensk in Weißrussland

2 Tage, drei Wochen

Nach 2 tätigem Ritt, bezog das Regiment auf Gut Dukora und umliegenden Dörfern auf drei Wochen Quartier.

auf Gut Dukora

 

Es nahm nun wiederum an der Besatzung des Landes teil, indem wir alle paar Wochen [in ein andres Quartier] umsiedelten und hierbei ganz Weißrußland durchquerten. [Friede von Brest-Litowsk zwischen Deutschland und Russland am bereits am 3.3.1918.]

wieder als Landesbesatzung

 

In dieser Eigenschaft lagen wir andauernd mit den Bolschewisten im Kampf, da diese mordend und sengend das Land durchzogen. In erster Linie waren es die Gutsbesitzer, die diesen Banden zum Opfer fielen, somit lagen wir auch meistens auf Güter[n in Quartier].

Kampf gegen bolschewistische Partisanen

fünf Wochen

Auch das Gut Rotnitza diente zu diesen Zwecken für etwa 5 Wochen als Standort. Der Gutsherr war hoch erfreut, Schutz gefunden zu haben, da in der näheren Umgebung viel Blut geflossen war. Als Gegenleistung stiftete er pro Kopf jede Woche 1 db [Zeichen für Pfund] Butter und täglich 1 Liter Milch[,] soll hier nicht unerwähnt bleiben.
Wir unternahmen eines Tages eine nächtliche Streife[,], die auf 35 klm ausgedehnt wurde, beim Morgengrauen erreichten wir das Gut Trianino, wir wie auf das stattliche Herrenhaus los reiten, um unseren Pferden eine kurze Futterpause zu gönnen, läuft uns schluchzend die Tochter des Hauses entgegen und erzählt uns in deutscher Sprache von dem grausigen Morde [Ermordung] ihrer Eltern in der letzten Nacht. Danach sind um Mitternacht maskierte Räuber plötzlich in das Schlafzimmer ihrer Eltern gebrochen, [haben] ihren Vater kurzerhand aus dem Bette in die Schreibstube gezerrt, wo er Geld und Wertsachen herausgeben mußte[,] und dann getötet durch Trennen des Kopfes vom Rumpf. Das Gleiche sei mit ihrer Mutter geschehen[,] und hierauf [haben die Raubmörder] beide Köpfe in’s Eßzimmer auf den mit weißer Tischdecke überzogenen Tisch gelegt. Sie selber sei aus ihrem Schlafzimmer schleunigst in den Park ge-
 

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flüchtet und auf diese Weise dem sicheren Tode entronnen. Von der Tatsache dieser Erzählung konnten wir uns sofort überzeugen, ein scheußlicher Anblick. Da die Tochter unter diesen Verhältnissen nicht dort bleiben wollte, fuhr sie mit einem vollgepackten Wagen hinter uns her und siedelte später nach Grodno über. Nach wenigen Tagen erfuhr auch dieses Verbrechen seine Sühne, durch Verrat waren die Täter schnell überführt worden.

Bolschewisten ermorden Gutsbesitzer

 

Auf die Dauer war dies Unternehmen [zur Befriedung des von uns besetzten Gebietes] an der gewaltigen Ausdehnung des russischen Reiches und des [nach ausgebrochener Revolution aufkommenden] Bolschewismus zum Scheitern verurteilt.

russische Revolution destabilisiert

 

Da aber mit der Sowjet-Republik auch ein Abkommen bestand, daß besetzte Gebiet abschnittsweise wieder zu räumen, so war auch hier Mord und Plünderung bald zu Hause. Wir räumten zuerst das gesamte Gebiet nördlich der Bahn[linie] Minsk – Orscha und bezogen nach einer Reihe von Marschtagen Standquartier auf Gut Bjelnitschi und in dem gleichnamigen Dorf.

deutsche Räumung nach Vertrag mit der Sowjetunion

8.11.1918

Von hier kam ich Mitte Oktober wegen Bartflechte in das Kriegslazarett 50 A nach Minsk und wurde am 8. November, [drei Tage nach seinem 25. Geburtstag und] am Tage vor der Revolution in Deutschland[,] auf mein Drängen als ziemlich geheilt entlassen.
[Vom 8.-11.11.1918 Waffenstillstandsverhandlungen in Compiègne an der Westfront. Am 9.11.1918 Rücktritt des Kaisers und Ausrufung der Republik in Berlin.]

im Kriegslazarett

 


Abb. 14. Ostendorfs Soldbuch mit eingetragenen Impfungen. An anderer Stelle ist auch der Lazarettaufenthalt vermerkt: Kriegslazarett 50a, Ortslazarett der Sanitätskompanie 638 Minsk, Aufenthalt (Behandlung) vom 12.10. bis 7.11.1918.

 

 

Ich war froh, aus dem schauderhaften Nest wieder verschwinden zu können, denn die Stimmung war auch dort keine gute mehr.

schlechte Stimmung nach Kriegsende

 

Mit mir machte sich noch ein Kamerad auf die Beine, um das Regiment wieder zu finden. Wir meldeten uns auf der Auskunftsstelle am Bahnhof Minsk an, erhielten die Weisung[,] mit der Bahn nach Borrisow [70 km nordöstlich von Minsk] zu fahren und dort bei der Postverteilungsstelle weitere Mitteilung zu erhalten. Dort angekommen, wurde uns gesagt, das Regiment ist auf dem Marsch in die Gegend von Bobrisk [130 km südöstlich von Minsk]. Wir fuhren noch am selben Tage zurück nach Minsk

Suche nach Regiment

[9.11.]

und am folgenden Morgen nach der kleinen Station Grodsjanka [80 km südöstlich von Minsk].

 

 

Inzwischen war bei unseren Truppen in Minsk auch die Meuterei ausgebrochen, fast alle[n] Offizieren wurden die Schulterstücke [die Rangabzeichen] genommen und Feldkost wie
 

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die Mannschaften verabreicht. Unter diesen Umständen mußten wir also alles daran setzen, möglichst schnell das Regiment zu erreichen. [Gustav Ostendorf wird damals schon Unteroffizier gewesen sein.]

Meuterei bei manchen deutschen Truppen

 

In Grodsjanka, welches inmitten großer Wälder liegt, meldeten wir uns beim Zahlmeister eines Nebenproviantamts. Dieser sagte uns, das[s] er das Regiment in den nächsten Tagen zu verproviantieren hätte, noch aber nicht wisse, wo es sei. Wir warteten einige Tage ab, dann kam vom 4. Landwehrkorps die Meldung, daß Regiment bezieht in Kaplanza und Umgebung Quartier [Gegend an der Beresina ca. 80 km östlich von Minsk]. Da der Fußmarsch dorthin 80 klm betrug und das Regiment nur kurze Zeit dablieb, so wußten wir nicht, was nun zu tun sei. Wir kamen dann aber doch überein, aufzubrechen, ließen uns für 3 Tage Verpflegung geben, zeichneten eine kleine [Wege]Skizze nach der Karte des Zahlmeisters ein und marschierten am folgenden Morgen um 5 Uhr los. Da nun auf der ganzen Linie keine [deutschen] Truppen lagen, wir beide keine Schußwaffen besaßen, nur ein Seitengewehr [Bajonett, als Dolch verwendbar], außerdem nie mit Sicherheit feststellen konnten, ob wir auch noch die richtige Marschroute inne hatten, so war die Reise höchst ungemütlich. Ferner kam das zweifelhafte [nach ihrem Empfinden merkwürdige] Verhalten der Bewohner dazu, die [vermutlich] bereits wußten, was in Deutschland vor sich ging.

zu Fuß dem Regiment nach durch unsichere Gegend

[10.11.]
15 Uhr

Am ersten Tage legten wir glücklich 35 klm zurück, meistens ging es durch große Wälder, bis wir am Nachmittage gegen 3 Uhr bei einem Dorfe an der Beresina ankommen. Wie nun aber weiter[? ], pötzlich ruft uns ein alter Landsturmmann [fragend zu], wo wir hinwollten, die Antwort lautete, [„] über den Fluß[“]. Wir waren aber erst mal froh, einen [deutschen] Soldaten wieder zu treffen, der uns hoffentlich weitere Auskunft geben konnte. Er nahm uns mit hinunter an das Ufer des Flusses, woselbst sich eine Fährbude mit noch mehreren Kameraden befand. Zuerst sollten wir eine kräftige Erbsensuppe essen, dann wurde über die [allgemeinen] Verhältnisse gesprochen, da sie [die anderen Soldaten] in ihrer Einsamkeit noch nichts
 

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von der Lage in Deutschland gehört hatten. Im weiteren Verlauf der Unterhaltung wurden wir gewahr, das[s] am Morgen jenseits des Flusses mehrere Schwadronen nach Westen geritten wären. [„]Also alles marschiert nach Deutschland[,] und uns haben sie vergessen[“,] meinte ein alter Kamerad. Ich war der Meinung, das[s] es so schlimm wohl noch nicht sei, ich wollte erst einmal das andere Ufer mit dem daranliegenden Dorf absuchen.

an der Beresina, Kontakt mit deutschem Landsturm

 

Ehe es dunkel wurde, ließen wir uns schnell mit der Fähre übersetzen, zwei alte Landstürmer gingen mit ins Dorf[,] und richtig fanden wir drin die dritte Schwadron unseres Regiments. Voller Freude gaben wir uns bald einem tiefen Schlafe hin[,]

Kontakt mit eigenem Regiment

[11.11.]

und am frühen Morgen des nächsten Tages fuhr uns ein Panjewagen weiter. Bald aber mußten wir zu unserem Leidwesen feststellen , daß der Russe völlig verkehrt gefahren war, anstatt in Richtung Kaplanza zu fahren, war er nach einer ganz anderen Richtung nach Kaplanki gefahren. Da sein Pferd total übermüdet war [und nicht mehr weiter konnte], zogen wir zu Fuß weiter und übernachteten in einem kleinen Dorfe. Wegen der Lebensgefahr durfte nur immer einer schlafen, während der andere Wache hielt.

Irrfahrt mit Pferdewagen, wieder zu Fuß unterwegs

[12.11.]

Am nächsten Morgen ging der Fußmarsch weiter, nachdem so gut die Verhältnisse es ermöglichten, die nötige Orientierung vorgenommen war. Unser Weg hatte durch die Verwechslung der Ortschaften eine wesentliche Verlängerung erfahren, somit durften wir [wegen des Zeitverlustes] möglichst wenig Pausen einlegen. Die Stimmung war nicht die beste, mein Kamerad schlug oft vor, wieder umzukehren, aber jedes Mal konnte ich ihn wieder mit vorwärts reißen [zum Weitermarschieren ermuntern].

 

 

Am späten Abend erreichten wir endlich ein größeres Dorf, das zur größten Freude mit einer [deutschen] Fuhrparkkolonne belegt war, die auch erst vor einer Stunde angekommen war. Ich ging zum Führer dieser Kolonne, und bat um Auskunft, dieser konnte aber auch nichts
 

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Bestimmtes sagen, er riet uns am folgenden Morgen[,] nicht weiter zu marschieren. Er müsse für die Nacht noch zwei Meldereiter zum Staffelstab beim 4. Landwehr-Korps schicken, die dann gleichzeitig für uns Auskunft bringen sollten.

Kontakt mit deutscher Fuhrparkkolonne

[13.11.]

Am frühen Morgen erhielten wir dann auch die Mitteilung, das[s] der Regimentsstab unseres Regiments noch in Kaplanza liegt und die nächsten Tage noch liegen bleibt, da die Kavallerie die gesamte Nachhut der 10. Armee übernimmt. Der Weg dorthin betrug 25 klm., für einen Kavalleristen [zu Pferde] schon genug, aber die letzten Tage hatten gezeigt, das[s] auch ein Reitersmann marschieren kann, wenn es sein muß.

 

 

Wohlbehalten trafen wir am Nachmittag an Ort und Stelle ein, freudig begrüßt von unseren Kameraden. Da gerade [ein] Schlachtfest gefeiert wurde, so konnten wir unseren hungrigen Magen gut zusprechen lassen. Dann ging es zum Adjudant[en] zwecks Rückmeldung,

zurück beim eigenen Regiment

 

dabei machte er mir die wenig erfreuliche Mitteilung, das[s] ich nach etwa einer Stunde noch nach dem 20 klm entfernt liegenden Städtchen Beressino [85 km östlich von Minsk] reiten müsste, um dort die noch ankommende letzte Post in Empfang zu nehmen. Nach stundenlangem Warten in erwähntem Orte traf endlich der Wagen mit der Post ein. Da seit einer Woche keine Post mehr angekommen war, so hatte ich das Pech, einen schweren Sack voll befördern zu müssen. Ein Landsturmsoldat legte mir denselben quer vor mir über mein Pferd [über den Pferderücken,] und Schritt für Schritt ritt ich im stockfinsteren Walde unserem Quartier wieder zu, wo ich um Mitternacht wieder eintraf. Nach Ablieferung der Post beim Adjudanten füttere ich mein braves Pferd und lege dann
 

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mich selbst zur wohlverdienten Ruhe.

als letzter Postreiter nach Beressino

Datierung

Wiedergabe der [erläuterten oder korrigierten] Originalaufzeichnungen

Gliederung

[14.11.]
5 Uhr

Aber auch die sollte von nur kurzer Dauer sein, denn plötzlich war in aller Frühe die Meldung eingetroffen, vom sofortigen Abrücken. Um 5 Uhr saß ich schon wieder hoch zu Roß. An diesem Tage betrug der Ritt 45 klm. Wir blieben nun, abgesehen von einigen Ruhetagen, bis Mitte Januar 1919 in Marschbewegung und legten während dieser Zeit rund 700 klm zurück. Leider hatten wir dabei, durch die trostlosen, russischen Verhältnisse veranlasst, fast unüberwindbare Schwierigkeiten zu bestehen.

b) Abzug nach Deutschland
Rückmarsch in Russland

 

Der [sich in Rußland schnell ausbreitende] Bolschewismus hatte das ganze Eisenbahnnetz bis zur alten Stellung [ca. bis Grodno (s.u.), zum alten Frontverlauf von September 1915], das heißt, wo die russische Spurweite bestand, lahm gelegt.
Infolgedessen mußten sämtliche Truppen den beschwerlichen Rückmarsch zu Fuß bei [Minus] 30°-40° Grad Kälte und teilweise meterhohem Schnee zurücklegen. [Die Kavallerie ist natürlich geritten.]

Bahnnetz durch Bolschewisten lahmgelegt

 

Alle Augenblicke gab es dann gab es wieder Kämpfe mit den Bolschewisten, die uns gar zu gerne entwaffnen möchten. Tatsächlich haben kleinere Truppenmassen [eher: -einheiten, die sich wohl haben freiwillig entwaffnen lassen,] das Unglück gehabt, [anschließend] um ihrer Wertsachen beraubt zu werden und [wurden] dann ohne Rock und Stiefel wieder [in den Schnee] entlassen. Was das in fremden Land bei russischer Kälte bedeutet[,] ist unschwer auszumalen. Man könnte sich hierbei fast an den Napoleonschen Rückzug erinnern, ja, wir sind sogar die Hälfte unseres Weges auf derselben Straße marschiert[,] die Napoleon 1813 benutzte.

Scharmützel mit Bolschewisten

zwei Tage vor Weihnachten

Kurz vor Weihnachten 1918 passierten wir das zerschossene [Kampf]Gebiet in der Gegend von Baranowitschi [130 km südwestlich von Minsk in russ. Polen, heute Weißrussland], hier kippte ein Fahrzeug nach dem anderen in die zahlreichen, durch Schnee verwehten Granatlöcher hinein, oder wir saßen mit unseren Pferden in einem Wirrwar von Drahtverhau fest. Volle zwei Tage und Nächte hatten wir [zur Überwindung dieses schneebedeckten alten Schlachtfeldes] gearbeitet, bevor wir diesseits der Stellung den [westlich führenden] Weg wieder fanden.

altes Schlachtfeld bei Baranowitschi

 



 

Abb. 15 a und b. Angaben zur Person und militäradministrative Einträge in Ostendorfs Soldbuch.

 

23.12.

Am Abend des
 

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23. Dezembers bezogen wir unweit dieses Geländes Quartier auf einem großen Gutshofe. Da das Weihnachtsfest hier verbracht werden sollte, Pferd und Reiter waren auch unbedingt ruhebedürftig,

Weihnachten auf einem Gutshof

24.12.

so machte ich mich am Morgen des heiligen Abends daran, aus einem nahen Wäldchen, bis an den Hüften im Schnee watend, einen Tannenbaum zu holen. Am Abend war er, so gut es die Verhältnisse gestatteten, bunt geschmückt, alles was nur irgendwie an Eß= und Trinkbarem aufzutreiben gewesen war, wurde aufgedeckt[,] und wir erlebten den letzten Kriegs[-]Weihnachten in bester Stimmung. Tagelang hatten heftige Schneegestöber gewaltige Dünen [auf]geweht, sodaß wir bald gänzlich einzuschneien drohten.

 

21 Uhr,
22 Uhr

Nachts schien der Mond taghell, so auch heute Abend, als ich um 9 Uhr abends vor dem Gutstor auf Posten zog. Um 10 Uhr sah ich von Ferne drei Reiter langsam auf dem [das] Gute zu reiten, sie hoben sich merklich von der weißen Schneedecke und dem Vollmond [in dessen Licht] ab. Ob Freund oder Feind war zwar noch nicht zu erkennen. Bei genügender Nähe rufe ich sie mit „Halt“ an, sie kümmerten sich nicht darum und ritten näher. Ich gab ich einen Schreck[Warn]schuß ab, jetzt höre ich rufen: „Bist du verrückt, wir sind Deutsche.“ Ich sah aber bald darauf, das[s] es Russen waren, jedenfalls trugen sie die [russischen] Pelzmützen. Trotzdem ließ ich sie noch herankommen und fragte nach ihrem Vorhaben, worauf der eine in hannoverschem Dialekt erwiderte, er wolle einmal nachsehen, ob das Gut hier frei wäre. Er sei früherer Deutscher Soldat und augenblicklich Bolschewistenführer, wobei er schweres Geld verdiene. Somit könne er uns nur raten, dasselbe zu tun. Da inzwischen etliche Kameraden und unser Adjudant hinzu gekommen waren, so wurde dies Ansinnen eines gemeinen Deutschen [gemeinschaftlich] schroff abgelehnt, indem ihm erklärt wurde, sofort zu verschwinden, oder es
 

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würde geschossen. Ohne ein Wort zu sagen, ritten die drei Mann wieder ab. Wir waren uns aber alle klar darüber, was dieser Akt zu bedeuten hatte. Sofort wurde der Gutshof [von den Deutschen] mit 20 Mann [zur Bewachung] umstellt.

deutscher Bolschewistenführer wirbt um Überläufer

 

Bereits um Mitternacht wurden wir in Stärke von etwa einer Schwadron angegriffen, nach erfolgtem Alarm setzt unsererseits ein lebhaftes M. G.[-] und Gewehrfeuer ein, worauf auch bald alles [der Angreifer] verschwand. Am anderen Morgen konnten wir feststellten, das[s] ein Drittel [der Gegner] gefallen war. Die beiden Weihnachtstage gingen dann unbehelligt vorüber [bzw. die deutschen Husaren wurden nicht mehr behelligt].

Angriff der Bolschewisten abgewehrt

[27.12.]
7 Uhr
[18 Uhr],
[bis 29.12.]

Tags darauf ritten wir morgends [sic] um 7 Uhr wieder [nach Westen] ab und landeten nach 11stündigem, äußerst beschwerlichen Marsch [bzw. Ritt] in dem Judenstädtchen Nowogrodeck. Kaum 20 klm waren zurück gelegt, aber bei schwerem Schneegestöber und Durchgraben unzähliger [Schnee]Dünen von 2-4 [m] Höhe noch eine gute Leistung. Da die vor uns [zu Fuß] marschierenden Truppen noch langsamer vorwärts kamen, so blieben wir hier wieder 2 Tage liegen.

weiter nach Westen

 

Als Nachhutregiment wurden wir auch hier angefallen. Abends gegen 9 Uhr entbrannte in der ganzen Stadt ein furchtbarer Straßenkampf.
Ich befand mich auf dem Marktplatz, wo drei M. G. aufgestellt waren, die den Platz  sauber [frei] hielten. In den angrenzenden Straßen floß auf beiden Seiten viel Blut. Erst gegen Morgen war die Ruhe hergestellt. Die folgende Nacht brannten [durch Brandstiftung] mehrere Pferdeställe nieder [vgl.1813: Moskau wurde angesteckt, um Napoleons Truppen zu vertreiben], uns glückte es aber in allen Fällen[,] Pferd[e] und Sattelgeschirr[e] zu retten. Zur Strafe wurden [durch uns] die Wohnhäuser abgebrannt, die dazu [zu den Ställen] gehörten. Aus einem Stall wurden drei Pferde gestohlen, zwei erwischten wir wieder bald wieder, das dritte[,] ein altes Schwadronspferd[,] blieb für immer verloren. So ließen uns die Bolschewisten nie zur Ruhe kommen.
 

Straßenkampf in Nowogrodeck

 

[31.12.1918-2.1.1919]

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Nach weiteren zwei Marschtagen bei großer Kälte und Schneetreiben erreichten wir die Bahnstation Novojelna [50 km nordwestlich von Baranowitschi]. Auch hier blieben zwei Liegetage für uns. Da hier noch ein großes, reich mit Vorräten aller Art versehenes Proviantlager lag, so deckten wir uns mit allen möglichen Sachen ein, da es den Russen doch überlassen wurde. In der folgenden Nacht fuhren die [deutschen] Eisenbahner mit dem letzten Zug ab. [Speziell aus dieser Stadt, im westlichen Russland war noch Bahnverkehr, s.u.] Alles was die nicht fortgeschaffen konnten, wurde in Brand gesetzt, so auch der große hölzerne Lokomotivschuppen. Auch wir sprengten bei unserem Abrücken die große  Eisenbahnbrücke in die Luft [, um Verfolger zu behindern], da nämlich bekannt wurde, daß große [feindliche] Truppenverbände diesem Punkte zustrebten.

 

[8.1. bis ] 26.1.

Hierauf erreichten wir nach sechs weiteren Marschtagen das kleine Städtchen Skidel [100 km südöstlich von Ostpreußen], etwa 30 klm hinter [südöstlich] Grodno gelegen. Dort lagen wir wieder bis zum 26. Januar 1919 fest. Während dieser Zeit mußten wir den Bahnschutz für die Truppen aus der nördlichen Ukraine übernehmen, denen es teilweise noch schlechter erging als uns.

Rückzugsdeckung

 

Daß es bei manchen deutschen Truppenteilen so übel aussah, war ihre eigene Schuld. Viele Kräfte waren am Werke, die Brandfackel in die eigenen Reihen zu werfen [wiegelten Soldaten gegen die eigene Führung auf]. Ich erinnere nur an den [marxistischen] Soldatenrat.

Zersetzung der Truppe

 

Hätten wir im Regiment nicht so einmütig zusammen gehalten, wäre noch mancher von uns, fern der Heimat, in den eiskalten Gefilden Rußland[s] zurück geblieben. Wer das also nicht wollte, durfte, solange er noch auf fremden Boden stand, die Unstimmigkeit nicht predigen. Das Armee-Oberkommando sprach dem Regiment wegen des energischen Verhaltens bei dem großen Rückmarsch seinen vollen Dank aus.

Zusammenhalt sichert Rückkehr

26.1.

Am 26. Januar wurden wir dann zum letzten Male [auf die Bahn] verladen, um in die Heimat befördert zu werden.

Rücktransport in die Heimatgarnison

1.2.1919,
17 Uhr

Am 1. Februar nachmittags 5 Uhr lief der Zug in den Bahnhof unserer alten Garnison [Wandsbek bei Hamburg] ein [für Gustav Ostendorf nach genau 4 Jahren und 6 Monaten im Kriegseinsatz]. Der Empfang war gut, trotz des traurigen
 

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Ausganges dieses gewaltigen Ringens.

 

 

Aber die [deutschen] Armeen wurde durch Waffengewalt nicht besiegt, sondern durch Umstände[,] die genügend bekannt sind. [Angeblich durch Verweigerung von Kriegsdienst und -material durch revolutionäre Soldaten (v.a. Matrosen) und Zivilisten. Tatsächlich stand trotz anfänglich großer Kriegserfolge im November 1918 der militärische Zusammenbruch kurz bevor, was wohl der Obersten Heeresleitung (OHL), nicht aber der Bevölkerung bekannt war.]

Mythos: „Im Felde unbesiegt“ (Dolchstoßlegende)

4.2.

Nach zweitägigen Aufenthalt in der Garnison fuhr ich auf Urlaub,

Urlaub

bis 16.3.

während dieser Zeit fand in Wandsbeck eine Abschiedsfeier statt, worauf dann alles [zunächst wohl nur die speziell kriegsrekrutierten Mannschaften] entlassen wurde. Ich blieb nach meinem Urlaub noch bis zum 16. März 1919 beim Regiment, da ich mich mit der Absicht trug, weiter zu dienen. Wegen vollständig ungewisser Verhältnisse aber [Friedenskonferenz in Versailles ab 18.1.1919, in Folge Reduzierung der deutschen Truppenstärke auf 100.000 Mann], gab ich mein Vorhaben auf

Entlassung der Soldaten

 

[, ließ sich nach insgesamt 6 Jahren und 4 Monaten Militärzeit, darunter 4 Jahre und 7 einhalb Monate Kriegsdienst, im Alter von 25 Jahren und 4 Monaten vom Truppendienst entlassen] und siedelte einige Tage später zur Eisenbahn über [ging in Dienst bei der Reichsbahn in Brake, seiner Heimatstadt].

im Bahndienst in Brake

 


Abb. 16. Kriegsauszeichnung: Ostendorfs Besitzurkunde des Eisernen Kreuzes, einer von zwei ihm verliehenen Orden.

 

 

An Orden erhielt ich das Eiserne Kreuz [II. Klasse] und [das] Friedrich August Kreuz II. Klasse [benannt nach dem (1919 abgedankten) Oldenburger Großherzog], wurde zu Anfang [Kriegsbeginn] zum Gefreiten und später [nach dem 22.9.1917, Datum obiger Ordensverleihung] zum Unteroffizier befördert.

Orden und Beförderungen

 

Die ruhmreiche, alte, deutsche Armee ist leider nicht mehr, der Friedensvertrag [von Versailles, am 28.6.1919 von Deutschland unterzeichnet] hat Deutschland die allgemeine Wehrpflicht verboten. Hoffentlich kehrt die Zeit bald wieder, wo unser Vaterland einen achtung gebietenden Platz einnimmt, so wie es ihn früher hatte.

Patriot bis zuletzt

 

Hiermit will ich schließen, vieles könnte noch nieder geschrieben werden, aber wohin würde das führen, da schon manches der Vergessenheit verfallen ist.

gez. Gustav Ostendorf.

 

 

Abb. 17. Der Schluss von Ostendorfs Haupttext.
 

Abb. 18. Förmliche Unterschrift des Kriegsveteranen.


Bei Ausbruch des Krieges standen im Regiment an Offizieren folgende [Kommandeur, Adjutant]:
Komdr. Oberst v. Zieten
Adjdt. Oberlt. Hardt
 

1. Esk. Rittm. v. Rieken
            Oberl. v. Braune
            Leutn. v. Düring 

2. Esk. Rittm. Freiherr v. Schetzler
            Oberl. v. Lettow Vorbeck
            Leutn. v. Sydow 


 

– 46 –

 

3. Esk. Rittm. Frh. v. Gültlingen
            Oberl. v. Trauwitz Hellwig
            Leutn. Schmidt

4. Esk. Rittm. v. Hanstein
            Oberl. Fuchs
            Leutn. Graf v. Hoffmannsegg

5. Esk. Rittm. v. Weltzien
            Oberl. v. Ploto
            Leut. v. Platen

 


Rittmeister: entspricht dem Rang eines Hauptmanns. Darunter: Oberleutnant, Leutnant.]

Die etatsmäßigen Wachtmeister [heute etwa Hauptfeldwebel-Rang] waren:
1. Esk. Wachtm. Warnstedt
2. Esk. “             Bobers
3. Esk. “             Bleichert
4. Esk. “             Höltig
5. Esk. “             Wolf

In meiner, der 5. Esk.[,] waren noch folgende Unteroffiziere:
Vizewachtm. [heutiger Rang etwa Feldwebel] Lückstädt
“                    Gagzow
“                    Hass
“                    Hars
“                    Tiede

Sergeant [heutiger Rang Stabs-Unteroffizier] Muhs
“             Krüger
“             Dammann

Unteroffz. Fischer
“              Rieken
“              Scharnberg
“              Dünfründ
[“ Gustav Ostendorf selbst]

[Dazu kamen dann mehrheitlich die Mannschafts-Dienstgrade, vor allem Gefreite.]
 

– 47 – und – 48 –

[Noch bezeichnete Seitenbögen, aber ohne Einträge.]

 


Abb. 19. Bahnbeamter Gustav Ostendorf in Reichsbahnuniform, 1936 im Alter von 43 Jahren.

 

Zur Quellenbeschreibung   Zur Ostendorf-Zeittafel

 


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